Sandra Markert

„Und noch so ein Psychopathen-Garten!“ Peter Berthold rollt mit seinem Auto im ersten Gang an einem Grundstück vorbei, das von einer säuberlich getrimmten Hecke aus Kirschlorbeer umsäumt wird. „Da kann man auch gleich eine Plastikhecke pflanzen, leben tut darin nix. Die Insekten mögen die giftigen Blätter nicht und den Vögeln fehlt die Nahrung“, sagt der Vogelkundler, der viele Jahre lang die Vogelwarte Radolfzell am Bodensee geleitet hat, eine Zweigstelle des Max-Planck-Instituts für Ornithologie.

90 Prozent der deutschen Gärten eine Katastrophe

Seit er im Jahr 2005 in den Ruhestand gegangen ist, versucht Berthold, die Menschen über Vorträge und Bücher dazu zu bewegen, mehr für die heimischen Vögel zu tun. Wie nötig das ist, will der 80-Jähriger bei dieser Autofahrt durch seine Heimat, das Bodenseehinterland bei Überlingen, zeigen. 90 Prozent aller deutschen Gärten seien für Vögel und Insekten inzwischen „eine Katastrophe“, sagt Peter Berthold. Der nächste Vorgarten – vollständig bedeckt mit schwarzen Granit-Steinchen – gehört auch dazu. „Diese Verschotterung der Gärten gehört verboten. Da könnte man genauso gut den Beton grün anmalen und eine Plastikblume drauf stellen, fertig ist der pflegleichte Garten. Bloß leben tut da nix.“

Der Ornithologe und Verhaltensforscher Professor Peter Berthold füttert auch in seinem eigenen Naturgarten im Überlinger Hinterland ...
Der Ornithologe und Verhaltensforscher Professor Peter Berthold füttert auch in seinem eigenen Naturgarten im Überlinger Hinterland – dem Gegenmodell zu versiegelten „Psychopathen-Gärten“ – die Vögel ganzjährig. Eine überdachte Fütterungsstelle ist ideal. | Bild: privat

Wo früher zehn Vögel gesungen haben, hört man heute zwei

Verständnislos schüttelt Berthold seinen weißen Nikolaus-Bart und drückt wieder aufs Gaspedal. Aber weit kommt er nicht, die „Psychopathen-Gärten“ sind überall: Hier eine zubetonierte Hofeinfahrt. Da ein großes Grundstück, auf dem die Besitzer sämtliche Hecken und Bäume entfernt haben, damit der Mähroboter besser seine Kreise ziehen kann. Und immer wieder Kirschlorbeer, Schotter und steingefüllte Gabionen als Sichtschutz. „Wegnehmen sollte man diesen Leuten ihre Gärten. Sie haben alle nicht verstanden, was sie da eigentlich besitzen, nämlich einen existenziellen Lebensraum“, wettert Peter Berthold und wird ernst. Aus dem leidenschaftlichen Vogelliebhaber, der seine Mitmenschen augenzwinkernd aufs Korn nimmt, wird einer der renommiertesten Ornithologen Deutschlands. Denn es geht um mehr als ein paar süße Vögelchen. Seit 1800 sei die Siedlungsdichte von Vögeln in Deutschland um 80 Prozent zurückgegangen. Wo früher einmal zehn Vögel gesungen haben, höre man heute nur noch zwei. „Wir können derzeit für keine einzige Vogelart in Deutschland mehr sagen, ob sie in einigen Jahrzehnten bei uns noch heimisch sein wird“, sagt Peter Berthold.

Im wuchernden Efeu versteckt, findet der Zaunkönig einen geschützen Platz für sein Kugelnest. Hier beim Füttern der Jungen.
Im wuchernden Efeu versteckt, findet der Zaunkönig einen geschützen Platz für sein Kugelnest. Hier beim Füttern der Jungen. | Bild: Frank Hecker

Zu extensiv sei über viele Jahrzehnte hinweg die Landwirtschaft betrieben worden, mit zu vielen Pestiziden. Hecken, Bäume und Sträucher – Schlaf- und Nistplätze der Vögel – wurden gerodet, damit Landmaschinen problemloser arbeiten können. Hinzu komme die Klimaerwärmung und ein dramatischer Insektenschwund von 80 Prozent – allein in den letzten 30 Jahren. Dieser Rückgang der Artenvielfalt mache das Ökosystem instabil. „Ein einziger neuer Schädling genügt heute, um unsere Ernte zu vernichten, weil die natürlichen Fraßfeinde fehlen und die Insektizide nicht wirken“, sagt Peter Berthold.

Das könnte Sie auch interessieren

Dann tritt er wieder auf die Bremse und zeigt auf ein Haus mit großer, kahler Rasenfläche. „Wenn wir alle Hausgärten in Deutschland naturnah gestalten würden, statt sie zu pflegeleichten ökologischen Wüsten verkommen zu lassen, könnten wir die Zahl der Naturschutzgebiete in Deutschland verdoppeln.“ Aber so ein naturnaher Garten mache eben ein wenig Arbeit. „Dreimal im Jahr in den Urlaub fahren ist da nicht mehr.“

Das könnte Sie auch interessieren

Peter Berthold biegt in die enge Straße ein, die zu seinem Haus führt. Noch lässt es sich hinter den vielen kahlen Sträuchern erkennen. „Wenn im Sommer alles grün ist, finden die Leute regelmäßig nicht zu uns, weil sie kein Haus sehen“, sagt Berthold. Selbst ohne Blätter lässt sich die von Wildrosen überwucherte Garage nur schwer ausmachen. Ein Schwarm Spatzen schreckt auf, landet aber schnell wieder in dem verzweigten Unterschlupf. Am steilen Weg zum Haus hinauf türmt sich der Winterrückschnitt und lässt erahnen, was Peter Berthold mit der Garten-Arbeit meint.

300 Vögel kommen zum Frühstück

In Deutschland, wo das Füttern wildlebender Vögel im 19. Jahrhundert mitentwickelt und wissenschaftlich untersucht wurde, sei es nach ...
In Deutschland, wo das Füttern wildlebender Vögel im 19. Jahrhundert mitentwickelt und wissenschaftlich untersucht wurde, sei es nach der Not des Zweiten Weltkrieges aus finanziellen und ideologischen Gründen falscher Propheten unter den Vogelschützern in Misskredit geraten, schreibt Berthold. | Bild: Peter Berthold

Überall flattert, pickt und piept es. In einem zweistöckigen Vogelhaus wuselt es wie auf dem Schulhof in der Pause. „Morgens frühstücken hier bis zu 300 Vögel“, sagt Peter Berthold. Er füttert sie ganzjährig. „Was es in der Natur gibt, reicht einfach nicht mehr. Vor allem wenn die Vögel Junge haben.“ Diese bräuchten alle noch auffindbaren Insekten, während die Eltern sich an den Futterstellen stärkten. Rund 25 verschiedenen Vogelarten bietet er auf seinem 500 Quadratmeter großen Grundstück Unterschlupf.

Doch auch dieser Garten war nicht immer ein Vogelparadies. „Als meine Eltern 1967 in dieses Haus eingezogen sind, wuchs hier fast nichts.“ Erst Bertholds Vater fing an, heimische Sträucher und Kletterpflanzen anzupflanzen. Dies würde er sich für die kahlen Rasenflächen in Deutschlands Gärten wünschen plus Futterhaus. „Die Leute könnten sofort erste Erfolge beobachten und ich müsste mich nicht mehr über die vielen Psychopathen-Gärten aufregen.“ Seufzend lässt Peter Berthold sich auf einem Holzstuhl nieder.