Tiengen wurde erstmals im Jahr 858 urkundlich erwähnt und zählt damit zu den ältesten Städten der Region. Auch wenn die Stadttore und weitere historische Bauten einst einfach abgerissen wurden, sind zwischen Ringmauergasse und Seilerbergweg zahlreiche Gebäude zu finden, die 500 Jahre und älter sind.
Ronald Landwehr ist in der Weihergasse aufgewachsen und seit rund 14 Jahren Stadtführer, sein Tipp: „Nehmen Sie sich Zeit und schauen Sie auch mal in die Gassen hinter der Hauptstraße – es lohnt sich!“

Zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten gehören auch die Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt (Kirchplatz 6, 1753 bis 1755), das Alte und das Neue Schloss (Schlossplatz 1-3, 16. Jahrhundert), das Rathaus (Hauptstraße 34, um 1582) sowie der Josephs-Brunnen (vor Hauptstraße 31, um 1909) und der Marien-Brunnen (vor Hauptstraße 53, um 1930).
1. Wiege eines bekannten Komponisten
Die Hofkaplanei im Schlosshof (Schlossplatz 1-3) ist die Geburtsstätte von Heinrich Kaminski (1886). „Der Sohn einer Opernsängerin und eines altkatholischen Pfarrers zählt auch heute noch zu den bedeutendsten Komponisten“, weiß Stadtführer Ronald Landwehr zu berichten. Das „Kaminski Zimmer“ in den Schwarzenbergsälen zeigt wechselnden Ausstellungen zum Leben und den Werken des Tiengeners.
2. Wunderheilung im Gasthof
Der Gasthof „Zum Hirschen“ (Hauptstraße 35) war spätestens im 16. Jahrhundert Anlaufstelle für Speis und Trank. Und auch Wunderheilungen sollen hier stattgefunden haben: „Im Dezember 1146 hat der heilige Bernhard von Clairvaux hier genächtigt“, so Landwehr. „Dabei hat er zu Kreuzzügen aufgerufen und soll Menschen geheilt haben.“
In Reiseberichten soll zu lesen gewesen sein: „Elf Blinde sind sehend geworden, 18 Gelähmten ist die Fähigkeit zu gehen wiedergegeben worden, einer, der zuvor taub war, hörte.“
3. Ganz schön breit für ein Patrizierhaus
Das Haus Döbele-Schütz (Hauptstraße 42), auch Patrizierhaus Brandis genannt, ist eines der authentisch erhaltenen Schmuckstücke der Altstadt. Die Fassade des weinrote Wohnhaus einer wohlhabenden Bürgerfamilie (um 1587) ziert ein viereckiger Erker mit Wappentafeln sowie in Dreireihen angeordnete Steinpfostenfenster.
Für die damalige Zeit ist das Haus ungewöhnlich breit und besitzt einen versteckten Innenhof mit historischer Wackenpflasterung.
4. Ur-historisch dank Umbau in den 80er-Jahren
Das Haus Schilling (Hauptstraße 58) ist mit seiner tiefblauen Fassade samt hölzernem Erker und Fensterläden ein echter Blickfang. „Man könnte es tatsächlich für urhistorisch halten“, lacht Stadtführer Ronald Landwehr. „Aber: Das ist tatsächlich nur Fassade und wurde so erst in den 1980er-Jahren, im Zuge des Umbaus, gestaltet.“

5. Spannend auf beiden Seiten
Das Haus Schnitzer (Ecke Zubergasse/Fahrgasse ) aus dem Jahr 1503 war ein Bürgerhaus. Mit seinem großen Graffito, das die bogenförmige Durchgangsmauer bedeckt und die Einnahme der Stadt durch die Eidgenossen 1499 zeigt, ist es ein Hingucker.

„Aber so richtig spannend ist erst die Hinterseite“, sagt Ronald Landwehr, „denn im Untergeschoss befand sich zwischen 1866 und 1910 das jüdische Frauenbad“. Im „Mikwe“ fanden rituelle Waschungen statt. Ein Plan aus dem Stadtarchiv zeigt, dass Tauch- und Wasserbecken aus dem Stadtbach gespeist wurden, der ein mal durch das Gebäude floss.
6. Lotto-Gewinn ermöglicht Bau von Synagoge
Die ehemalige Synagoge (Fahrgasse 13) zeugt von einer großen jüdischen Gemeinde. Etwa 80 bis 90 Juden lebten zur Zeit der Eröffnung 1793 im Städtle. „Dem Lottogewinn eines Gemeindemitglieds war es zu verdanken, dass Tiengen eine eigene Synagoge bekam“, weiß Stadtführer Landwehr, „auf Anraten seines Rabbis spendete er seinen Gewinn für den Bau“.
Sogar aus Bad Säckingen und St. Blasien seien damals zu Feiertagen Gläubige nach Tiengen gepilgert – „mit Zylinder, das war die übliche Kopfbedeckung hier“, so Landwehr. Noch 1929 ein letztes Mal renoviert, zerstörten die Nationalsozialisten die Synagoge in der Reichsprogromnacht (9./10. November 1938), zertrümmerten Toraschrein, Leuchter und Gestühl.
7. Aus Nüssen entstehen wertvolle Öle
Die alte Ölmühle (Fahrgasse 3) steht nicht nur seit der frühen Neuzeit hier, sie läuft zu Museumszwecken auch wieder. Die hölzerne Vorrichtung mit Quetsche, Stampfe, Rührwerk und Presse wird mit einem Wasserrad angetrieben und holt wertvolle Öle aus Nüssen und Samen heraus.
Mitte der 1990er-Jahre gründete der verstorbene Tiengener Kurt Benda den Ölmühlen Verein zur Rettung und schrieb in einem Text: Was einst im Verarbeitungsprozess übrig blieb, „nahmen Bauern als Viehfutter mit“. Doch in den schweren Kriegs- und Nachkriegszeiten habe Öl-Mutter-Annele „den Kindern ein Stück nahrhaften Ölkuchen, das ‚Ölebrot‘, zugesteckt.“ Besichtigungen sind auf Anfrage möglich (Info: www.oelmuehle-tiengen.de).
8. Drucken nur auf Hebräisch erlaubt
Die hebräische Druckerei (Priestergasse 13) war eine der ältesten im deutschsprachigen Raum. Von 1559 bis 1560 druckten zwei Söhne eines Frankfurter Rabbiners hier sechs Bücher. Ursprünglich wollten sie sich in Zürich niederlassen, mangels Erlaubnis begannen sie stattdessen im Städtle zu drucken.

„Aber auch hier durften sie nur auf hebräisch und keineswegs in Deutsch drucken“, weiß Ronald Landwehr. Ab dem 17. Jahrhundert lebte in dem Haus der Stadtvogt, also quasi der Bürgermeister, später war hier eine jüdische Metzgerei.
Erst Finanzamt, dann Schule, dann Lager
Die neue Rentei und der Pfarrhof (Turmgasse 1 und Korngasse 4) liegen nebeneinander. „Die Rentei war im 18. Jahrhundert so etwas wie das Finanzamt der Landgrafschaft Klettgau“, sagt Landwehr. „Im 19. Jahrhundert wurden hier Buben unterrichtet.“
Während in vielen Häusern der Innenstadt im Erdgeschoss Stall und Werkstatt untergebracht waren, lagerte man unterm Dach Holz und Viehfutter. „Der Pfarrhof diente zwischen 1650 und 1882 zur Steuerung und Organisation der katholischen Kirchen im gesamten Klettgau bis rüber nach Schaffhausen“, so der Stadtführer.
Gefängnis, aber nicht Ort für Todesstrafen
Der Storchenturm (Ringmauergasse) ist Tiengens Wahrzeichen und der letzte Eckpfeiler der früheren Stadtbefestigung. „Er wurde auch Diebsturm genannt, weil er das Gefängnis für leichte Verbrechen war“, so Ronald Landwehr.

„Todesstrafen wurden entgegen vieler Meinungen nicht hier, sondern außerhalb der Stadt am Galgen vollzogen. Die Folterkammer befand sich im Rondell, das leider abgerissen wurde.“
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