Eine ungewöhnliche Verkehrsteilnehmerin wurde von einer Passantin, Lilo Beppler, auf der Bundesstraße an der Kreuzung Josenberg in Kalkofen entdeckt: eine freilaufende Schildkröte! Natürlich nahm Lilo Beppler an, dass es sich um eine entlaufene, zahme Schildkröte handelte und brachte sie zu Magdalena Gerwig, die selbst Schildkröten hält. Gerwig erkannte schnell, dass sich um eine Sumpfschildkröte handelte.
Sumpfschildkröten sind streng geschützt und äußerst selten. Man bekommt sie fast nie zu Gesicht, denn sie sind sehr scheu. Dies gehört zu ihrer erfolgreichen Überlebensstrategie, denn die Art existiert schon seit über 200 Millionen Jahren. Im Sommer wärmt sie sich im flachen, warmen Wasser und lässt nur die Nasenspitze herausschauen. Sie lässt sich im wahrsten Sinne des Wortes treiben. Sowie ihre Ruhe jedoch gestört wird, taucht sie lautlos unter und verschwindet im tieferen Wasser. Demzufolge ist es ein extrem seltenes Vergnügen, eine freilebende europäische Sumpfschildkröte zu Gesicht zu bekommen. In Süddeutschland gab es bislang nur ein bekanntes Vorkommen, und zwar im Pfrunger-Burgweiler Ried in Baden-Württemberg. Nach Schätzungen leben dort etwa 20 bis 25 erwachsene Tiere.
Noch im 18. Jahrhundert galten Sumpfschildkröten als kulinarische Delikatesse. So ließen die Fürsten von Baden die Schildkröten in rauen Mangen aus dem Bodensee fangen und auf ihre Schlösser liefern. Dies ging so lange, bis die Tiere im Bodensee ausgestorben schienen oder waren. Es gibt Bemühungen von etlichen Biologen, sie wieder anzusiedeln.
Allerdings lebt auch eine sehr kleine Population in den Schwackenreuter Seen und dort wurde die "Kalkofener Schildkröte" wieder ausgesetzt. In geschützten und ruhigen Gewässern mit viel Pflanzenwuchs und Sonne fühlt sich die Sumpfschildkröte wohl. Dort findet diese fleischfressende Schildkröte auch genug Nahrung. Mit ihren zwei Hornplatten als Maul jagt sie fast ausschließlich im Wasser nach Insekten, Schnecken, Würmern und Aas.
Aufs Land gehen Sumpfschildkröten nur sehr selten. Zuweilen zum Sonnen oder wenn andere Tümpel oder Teiche mehr Nahrung oder paarungswillige Partner vermuten lassen, die nicht übers Wasser zu erreichen sind. Sie haben es sowieso nicht allzu eilig mit dem Nachwuchs, denn sie werden erst bei optimalen Bedingungen mit 10 bis 15 Jahren geschlechtsreif. Auf der anderen Seite erreichen sie ein auch für das Tierreich enormes Alter. Sie können in freier Natur etwa 60 in der Gefangenschaft 70 Jahre alt werden. Im Frühjahr findet die Paarung statt, indem sich das Männchen mit allen Vieren auf dem Panzer der Weibchen festkrallt. Hierzu haben nur die Männchen einen nach innen gewölbten Brustpanzer. Dieser hilft ihnen beim Decken, was nur im Wasser geschieht, nicht von der Partnerin abzurutschen. Nach etwa zwei Monaten schleppt sich das Weibchen an Land, um einen geeigneten Platz für die Eierablage zu finden. Dieser sollte sandig und der Sonne zugewandt sein. Das Ausbrüten der Eier übernimmt die Sonne und Anfang September können die kleinen Schildkröten schlüpfen, die etwa die Größe eines Ein-Euro Geldstücks und einen noch weichen Panzer haben. Sie sind im wahrsten Sinne ein gefundenes Fressen für Amseln, Marder oder Wildschweine.
Es heißt also für die Kleinen, so schnell wie möglich ins Wasser zu kommen. Außerdem müssen sie sich auf den Winter vorbereiten, wobei nur etwa jedes zehnte Schildkrötenbaby wie die erwachsenen Tiere im Schlamm überwintert. Der gößte Teil verbringt die kalte Jahreszeit in einer Winterstarre in der Gelegekammer. Wenn man einen solchen Winzling findet schein er wie tot, aber meist sind nur alle Körperfunktionen drastisch heruntergefahren.
Im Frühjahr tauen die Schildkröten auf und ihr Lebenszyklus beginnt aufs Neue. Die Panzer erwachsener Tiere sind so hart, dass keine natürlichen Feinde sie durchbrechen können. Angeblich halten sie sogar der Belastung eines Lastwagens stand. Allerdings sollte man dies nicht auf die Probe stellen, wenn man eine Schildkröte auf der Straße laufen sieht, sondern sie zu einem Menschen bringen, der sich mit den Tieren auskennt. Die einheimischen Sumpfschildkröten erkennt man deutlich an den gelben Punkten und Strichen auf dem dunklen Panzer. Indem man sie wieder in das Wasser setzt, hilft man ihnen zu überleben.