Als Davide Martello vor ein paar Tagen sein Klavier vor der Marktstätte 22 aufstellt, bleiben die ersten stehen, manche rollen die Augen, einer sagt: der nächste Kriegsschauplatz. Jetzt ist die Marktstätte längst nicht der Taksim-Platz in Istanbul, auf dem Martello schon spielte, aber auch hier spielten sich Dramen ab. Im und um das damalige Scala-Kino. 78 Jahre wurden dort Filme abseits der Hollywood-Blockbuster gezeigt, ab heute wird Duschgel verkauft. Das kleine Kino und seine Schließung für die große Drogeriekette dm wurde zum Politikum. Was wurde aus der Debatte um die Kommerzialisierung der Altstadt?
„Der große Götz Werner hat über das kleine Provinzkino gesiegt; und wir schauen zu", sagt Theaterintendant Christoph Nix und spielt auf den dm-Gründer an. Nix hatte sich damals mit vielen anderen Kulturschaffenden und Bürgern zusammengetan, das Scala zu retten – vergeblich. Das Haus befand sich in Privatbesitz, die Stadt sah keine rechtlich wasserdichte Möglichkeit, das Vorhaben, einen rentableren Pächter wie dm ins Haus zu holen, zu verhindern. Doch ging es zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr um die Marktstätte 22, sondern um die ganze Stadt. Für wen soll die eigentlich da sein? Für allein kommerzielle Interessen und Kunden mit Ausfuhrschein? Das war der Tenor der Kritiker. "Die Dringlichkeit eines weiteren Drogeriemarktes auf der Marktstätte habe ich – wie viele Bürgerinnen und Bürger – auch nicht gesehen", erklärt OB Uli Burchardt heute. "Grundsätzlich gilt aber: Die Pläne der privaten Eigentümer und Investoren sind zu respektieren, soweit sie sich innerhalb des Bau- und Planungsrechts bewegen. Es steht aber auch außer Frage, dass die Schließung des Scala auf der Marktstätte ein großer Verlust für uns alle ist.“
Ein Verlust, den Scala-Betreiber Detlef Rabe versuchte, auszugleichen. Heute hängt der grüne Schriftzug "Scala" in Saal 9 des Cine-Star im Lago.
Sieben bis zehn Scala-Filme werden pro Woche gezeigt, erklärt Rabe. "Mal mehr, mal weniger" Besucher kämen, das hänge wie sonst auch vom Film und Bundesstart ab. Genaue Besucherzahlen könne er noch nicht nennen. Grundsätzlich aber, sagt Rabe, ist er zufrieden. "Wir hatten schon tolle Zeiten und ich habe das Gefühl, dass immer mehr alte Scala-Besucher auch hierher kommen."
Gisela Kusche gehört nicht dazu. Einmal sei sie dort gewesen, zur Eröffnung. "Seit man nicht mehr direkt vorbei läuft oder auch in den Gang und sich dort die Plakate ansehen kann, bekomme ich kaum noch mit, was überhaupt läuft", sagt die Stadträtin der Freien Grünen Liste. Auch sie hatte sich in der Initiative "Rettet das Scala" engagiert und es doch vor einem Jahr symbolisch zu Grabe getragen. Welche Lehren zieht sie als Stadträtin für die Kommunalpolitik? "Wir haben damals zu spät auf den Verkauf des Hauses reagiert, die Debatte hätte von Anfang an geführt werden müssen. Ob es geholfen hätte, weiß ich nicht, aber so bleibt immer ein 'hätten wir doch' im Gedächtnis. Die Stadtverwaltung sieht bis heute nicht, dass und ob man irgendwie anders hätte handeln können, und der Gemeinderat war immer gespalten." In der Folge um die Debatte gab es einen 10 000 Euro teuren Workshop zum Thema Entwicklung der Altstadt. Was kam dabei heraus? "Außer einer netten Broschüre nicht viel", sagt Gisela Kusche. "Es scheint nirgends wirklich einen Willen zu geben, die Innenstadt an bestimmten Stellen von Kommerz freizuhalten. Und einfach ist das natürlich auch nicht."
Nicht nur die Altstadt im Blickpunkt
Walter Rügert, städtischer Pressesprecher, zieht ein anderes Fazit. "Wesentliches Ergebnis war, dass man sich bei der Entwicklung der Stadt nicht nur auf die Altstadt konzentrieren sollte, sondern dass sich die Stadt rechtsrheinisch entwickeln wird. Es sollten hier Angebote geschaffen werden, wo die bevölkerungsreichsten Gebiete sind. Darüber hinaus hat das Scala-Thema auch die Bedeutung des öffentlichen Raums einmal mehr in den Blickpunkt gerückt und auf der anderen Seite gezeigt, dass Entwicklungen auf privaten Flächen eben nur begrenzt steuerbar sind."
Schwieriger als gedacht war es auch, als Ersatz ein Programmkino am Emmishofer Tor zu eröffnen. Das war eine Idee der Scala-Retter. Doch die großen Pläne für das Gelände am Hauptzoll haben sich erst einmal zerschlagen, "weil der Zoll die Gebäude und Flächen wohl nicht aufgeben möchte", erklärt Gisela Kusche. Dafür gebe es an verschiedenen Ecken Ansätze für mehr Kino in Konstanz und Kreuzlingen: im K9 würden verstärkt Filme gezeigt, auch mit Unterstützung und Filmvorschlägen der Scala-Initiative, im Talentcampus in Kreuzlingen werde eine Gruppe Berufsschüler im kommenden Sommer mit Unterstützung durch das Zebra Kino ein Open-Air Programm anbieten; und auf dem Schiesser Areal in Kreuzlingen soll auch ein neuer Bereich für Kultur entstehen mit der Möglichkeit, Filme zu zeigen.
Deutlich mehr Zuschauer fürs Zebra-Kino
Unterdessen läuft es für das Zebra-Kino ziemlich gut. Seit 2011 hat sich dort die Zuschauerzahl verdoppelt, berichtet Vorstand Stefan Schimek. Dieses Jahr rechnet er mit insgesamt 12 000 Zuschauern, die ins Zebra-Kino kamen. Darunter auch einige ehemalige Scala-Kinogänger, vermutet Schimek. "Wir versuchen, im Rahmen unserer Möglichkeiten auch das Scala-Publikum zu bedienen." Für die basisdemokratisch abgestimmten Programmsitzungen des Vereins heißt das: Es sollen nicht nur Filme laufen, die vor allem ein studentisches, junges Publikum ansprechen. "Ich glaube, wir finden da eine gute Mischung", sagt Schimek. Gut besucht waren beispielsweise die Vorstellungen von "klassischen Scala-Filmen" wie Josef Haders "Wilde Maus" oder "Manchester by the sea".
Fazit: Ganz so schwarz sieht es nicht aus für die Konstanzer Kinokultur seit der Schließung des Scala-Kinos.