Irgendwann begegnet man ihm. Zwangsläufig. Zumindest dann, wenn man regelmäßig auf dem Bodanrück zwischen Wallhausen, Dettingen, Dingelsdorf, Oberdorf und Litzelstetten unterwegs ist. Werner Husemann ist so etwas wie der bunte Hund dieser Gegend.

Seit vielen Jahren ist er obdachlos und hier zu Fuß unterwegs. "Bestimmt 50 Kilometer am Tag", erzählt er. "Mehr schafft ja kein Mensch." Wie lange er mit seinen Taschen und seinem Rucksack umherzieht, weiß er nicht so genau. "Bestimmt sieben Jahre", erzählt er. "Oder länger. Oder erst seit zwei Jahren." Das ist ihm nicht wichtig. "Mir gefällt's hier", sagt er und schaut auf den See. "München ist nicht mehr das, was es einst war", fügt er hinzu.

München? "Ich bin dort geboren und aufgewachsen", erzählt Werner Husemann. In der bayerischen Hauptstadt arbeitet nach eigener Aussage als Betonpumpenfahrer. Irgendwann starb seine Frau und er verlor seinen Job. "Andere gehen nach Amerika für einen Neuanfang", sagt er. "Ich bin auf der Straße gelandet. Aber die in Amerika werden sich noch umschauen. Mir geht's hier viel besser."

Das "Werner-Kässle" finanziert sein Frühstück

Werner Husemann scheint nicht unglücklich zu sein. Nach anfänglicher Scheu öffnet er sich. Freundlich lächelnd und angenehm zurückhaltend. Hier sitzt niemand, der seinem Gegenüber zur Last fallen möchte. "Ich komme sehr gut alleine zurecht", erzählt er. Offensiv betteln möchte er nicht, auch wenn er vom Bettelgeld redet, von dem er lebt. "Die Menschen kommen auf mich zu und geben mir Geld und Essen."

Im Dorfladen Wallhausen zum Beispiel. Fast jeden Morgen sitzt er hier und frühstückt. Bernice Kaminskij arbeitet seit neun Jahren in dem Geschäft und kennt seither "den Werner", wie sie ihn nennt. "Ein sehr angenehmer Mensch", fügt sie hinzu. In der Schublade der Theke steht eine kleine Kasse. "Das Werner-Kässle", erzählt Bernice Kaminskij. "Fast jeder, der hier einkauft, wirft ein bisschen Geld hinein." Davon wird das Frühstück bezahlt. "Und wenn nichts mehr da ist, muss er nicht bezahlen, auch wenn er das immer will."

Das Werner-Kässle im Wallhauser Dorfladen. Mit dem gespendeten Geld wird Werner Husemanns Frühstück finanziert.
Das Werner-Kässle im Wallhauser Dorfladen. Mit dem gespendeten Geld wird Werner Husemanns Frühstück finanziert. | Bild: Andreas Schuler

Die Verkäuferin spricht mit großem Respekt von Werner Husemann. "Er ist sehr dankbar und besitzt Anstand." In den Gesprächen sei er stets klar und freundlich. "Außerdem ist er gut integriert und gehört fest zu Wallhausen", erzählt sie. Sandra Kern vom Vorstand des Dorfladens legt großen Wert darauf, "dass er ein ganz normaler Gast ist. Wir behandeln ihn so freundlich wie alle anderen auch. Außerdem ist er ein sehr angenehmer und zuvorkommender Mensch".

Sandra Kern mit dem "Werner Kässle" im Dorfladen Wallhausen.
Sandra Kern mit dem "Werner Kässle" im Dorfladen Wallhausen.

Werner Husemanns Schlafplatz: Die Bushaltestelle Linzgaublick

Rund 200 Meter vom Dorfladen entfernt in Richtung Dettingen hat Werner Husemann seine Schlafstätte an der Bushaltestelle Linzgaublick. Hier packt er jeden Abend seinen Schlafsack aus und macht es sich gemütlich – sofern das überhaupt möglich ist. "Es ist windgeschützt", sagt er. "Ich schlafe hier sehr gut." Nur im äußersten Notfall sucht er eine warme Herberge – sprich: wenn die Temperaturen weit unter den Gefrierpunkt fallen. Bei einer Familie in Wallhausen ist er schon untergekommen oder in einer städtischen Unterkunft.

Wobei er sich in diesen Einrichtungen nicht wohl fühlt. "Mir wurde schon öfter der Zigarettentabak geklaut", sagt er. "Das ist blöd." Finanzielle Hilfe will er auch nicht annehmen. "Ich habe doch alles, was ich brauche. Das Bettelgeld ist ausreichend." Und wieder erwähnt er, dass er niemandem zur Last fallen möchte. "Mir bringt es nichts, wenn ich Geld von der Stadt annehme."

 

Obdachloser Werner Husemann: Weihnachten liege ich im Schlafsack Video: Oliver Hanser

 

Viele Legenden ranken sich um Werner Husemann. Hier wird erzählt, er habe als Ingenieur gearbeitet und wegen eines selbst verursachten Arbeitsunfalls auf die schiefe Bahn geraten. Dort heißt es, der 58-Jährige war ein Universitäts-Professor und habe aufgrund privater Probleme den sozialen Halt verloren. Nur Werner Husemann selbst möchte dazu nichts sagen. Seine verstorbene Frau erwähnt er. Und seine Tätigkeit als Betonpumpenfahrer in München. Das muss genügen.

Heiligabend? Ein Tag wie jeder andere Tag

Wann er das letzte Mal an Heilig Abend eine warme Mahlzeit in einem beheizten Raum zu sich genommen hat, weiß er nicht genau. "So vor sieben Jahren vielleicht", schätzt Werner Husemann. "Das war wohl in München." Heute sind die Weihnachtstage für ihn Tage wie alle anderen. "Heilig Abend werde ich mich wie immer an der Bushaltestelle in meinen Schlafsack liegen." Sein Hab und Gut trägt er stets mit sich herum. In dem Rucksack und den zwei Taschen finden sich eine Matte, der Schlafsack sowie Klamotten zum Wechseln. An einer Tasche baumelt ein zweites paar Schuhe, Größe 45. "Die haben Löcher", erzählt er. "Neue Schuhe könnte ich gebrauchen. Und vielleicht einen neuen Pullover. Ansonsten habe ich alles, was ich zum Leben brauche."

Welche Angebote es in Konstanz für Obdachlose gibt

Jörg Fröhlich von der AGJ-Wohnungslosenhilfe in Konstanz kennt Werner Husemann vom Hörensagen. "Er ist ein Einzelgänger, der eigentlich nie bei uns auftaucht", sagt der Sozialarbeiter. An Heiligabend hat die Tagesstätte am Lutherplatz wie üblich von 9 bis 13 geöffnet. "Hier gibt es etwas Warmes zu essen und die Menschen können duschen, ein Buch lesen oder fernsehen", erzählt Jörg Fröhlich. "Wir können Herr Husemann nicht zwingen und respektieren seine Entscheidung."

Derzeit seien rund 25 obdachlose Personen in und um Konstanz auf der Straße. "Vor allem bei niedrigen Temperaturen machen wir uns Sorgen", sagt er. "Daher schauen wir auch regelmäßig nach, wie den den Menschen draußen geht." Regelmäßige Appelle, doch bitte das Recht auf Obdach in Anspruch zu nehmen, fruchten nicht immer.

So wie bei Werner Husemann. Nach zwei Stunden verabschiedet er sich in Richtung Linzgaublick. "Ich bin müde", sagt er, packt seine Taschen und verschwindet in der Dunkelheit.

Die AGJ

Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ) bietet in Konstanz eine Tagesstätte für Obdachlose am Lutherplatz an, in der sie sich von 9 bis 13 Uhr aufhalten können.