Herr Martin, Sie sagen, dass die Bürgergemeinschaft Allmannsdorf-Staad voll hinter der Initiative der Stadt steht, dringend benötigten Wohnraum zu schaffen. Warum sind Sie dann gegen so gut wie jedes Bauvorhaben?

Man muss das sehr differenziert betrachten. Wohnraum gibt es genügend in Konstanz. Was fehlt ist bezahlbarer Wohnraum. Wohnraum für Alle. Für junge Menschen, junge Familien, die hier groß wurden. Oder die Konstanz aus dem Studium kennen, sich vielleicht hier verliebt haben und niederlassen möchten. Die finden keinen Wohnraum und werden ins Umland abgedrängt.

Gleiches passiert mit dem Menschen die hier heimisch sind, die sich aber aufgrund gewisser Umstände eine neue Wohnung suchen müssen. Die stellen oft fest, dass sie sich Konstanz nicht mehr leisten können. Es gibt in Allmannsdorf beispielsweise Senioren, die sich gerne etwas verkleinern möchten, aber keine adäquate Wohnung finden. Oder ich kenne eine Familie, in der die Tochter ihre Eltern bis zum Tode gepflegt hat und das Haus gerne übernehmen würde. Da der Wert des Hauses aber so exorbitant gestiegen ist, ist sie nicht in der Lage, ihre Geschwister auszuzahlen.

Solche Immobilien landen dann im Portfolio von Investoren. Und das ist das Problem.

Um dieses Problem zu mindern, hat die Stadt das Handlungsprogramm Wohnen beschlossen. Mit sehr ehrgeizigen Zielen, um gerade jene Menschen, die Sie beschrieben haben, in der Stadt halten zu können.

Hinter diesen Zielsetzungen stehen wir. Das Programm wurde 2014 beschlossen. Bisher konnte die Stadt leider nicht nachweisen, dass es funktioniert und die Ziele erreicht werden. In Allmannsdorf entstehen derzeit – zusätzlich zum Handlungsprogramm – circa 100 Wohnungen. Keine einzige davon hilft den oben beschriebenen Zielgruppen.

Wir stellen also fest, dass an der relevanten Zielgruppe vorbei gebaut wird. Gebaut wird derzeit fast ausschließlich für Wohlhabende und reiche Zuzügler, in deren Fokus vor allem die Freizeitmöglichkeiten sind.

In den privaten Sektor einzugreifen, ist aber auch nicht einfach. In anderen Stadtteilen hat die Stadt allein in den vergangenen fünf Jahren mehr als 2400 neuen Wohnungen gebaut. Die erhoffte Entspannung hat das nicht gebracht, das stimmt. Aber deshalb hat die Stadt nach oben korrigiert: Zwischen 2016 und 2035 sind 7900 neue Wohnungen geplant.

Zu einer unserer Veranstaltungen in 2017 hatten wir Peter Schubkegel eingeladen, den Vorsitzenden des Bürgerforums Bauen Radolfzell. Der hat eindrucksvoll bewiesen, dass das verstärkte Bauen eher preistreibend wirkt – also genau den gegenteiligen Effekt erzielt, den die Stadt proklamiert. Diese Wahrnehmung teilen wir in Allmannsdorf. Wir beobachten, dass seit der Initiierung des Handlungsprogramms Wohnen die Preise für Wohnungen sowohl in der Miete als auch im Kauf seit 2011 eher schneller steigen als vorher.

Das sind aber auch allgemeine Preissteigerungen, wie man sie auch in anderen Städten ohne Handlungsprogramm verzeichnet. Da hilft nur: schneller bauen, oder?

Das ist es, was Oberbürgermeister Uli Burchardt sagt, dass wir schneller bauen müssen, um diese Spirale zu durchbrechen. Wachstum ohne Grenze hilft aber nicht, schon gar nicht in einer besonderen Stadt wie Konstanz, die durch den See und die Schweiz räumlich begrenzt ist. Wir sind ein Naherholungsraum für den Südwesten und eine sehr bevölkerte sowie verdichtete Region, das konnte man diesen Sommer sehr gut sehen. Wir und gerade Konstanz als größte Stadt am See haben eine große Verantwortung diese auch den kommenden Generationen zu erhalten.

Gleichzeitig haben wir in Deutschland eine stagnierende, teilweise leicht abnehmende Bevölkerung. Wenn sich also mehr Menschen am Bodensee ansiedeln, klaffen andernorts Lücken. Es kann nicht sinnvoll sein, dass sich am Bodensee immer mehr Menschen ansiedeln und wir andernorts Kindergärten und Hallenbäder schließen. Maßgeblich ist für uns das Bodenseeleitbild, das ganz klar aufzeigt, wie Entwicklung erfolgen kann – zum Beispiel nur in seeabgewandten Bereichen, Siedlungsentwicklung im Einklang mit Landschaft, sowie unter Respekt der hiesigen Baukultur.

Ist es einfacher, gegen neue Bauprojekte zu sein, wenn man schon lange hier wohnt?

Sollen die, die hier beheimatet sind, nicht mitreden? Diese Frage ist etwas polemisch – damit wird der Versuch unternommen, die Bürger, die hier wohnen gegen die auszuspielen, die potentiell hierher kommen möchten. Für uns ist es wichtig, dass neue Bauprojekte nicht den Charakter der Ortsteile zerstören, sondern diese weiterentwickeln. Insofern ist eine Verwurzelung, die Kenntnis der Entwicklung und der Geschichte hilfreich.

Gibt es denn aus ihrer Sicht auch gelungene Beispiele für Nachverdichtung in der Stadt?

Gelungen ist relativ zum Quartier – wenn in einer Einfamilienhaussiedlung ein weiteres Haus in den Garten gebaut wird, kann das passen. Wenn aber anstatt des Einfamilienhauses zwei oder drei Mehrparteienhäuser gebaut werden – wie beispielsweise in der Schiffsstraße oder in der Bettengasse – ist das keine maßvolle Weiterentwicklung, sondern überzogen und zerstört den Charakter des Quartiers.

Wir als Bürgervereinigung waren und sind immer bemüht, uns konstruktiv einzubringen. Bei unserer letzten Veranstaltung im Februar 2018 hatten wir mit Christoph Mäckler den sehr renommierten Stadtplaner und Direktor des Deutschen Instituts für Städtebaukunst der Technischen Universität Dortmund zu Gast. Er hat aufgezeigt, wie man Stadtquartiere gestalten muss, so dass sie lebenswert werden. Für ihn beginnt das mit der Gestaltung des öffentlichen Raums, jedes Gebäude wirkt nicht nur für sich selbst sondern hat auch eine Verantwortung eine Funktion im öffentlichen Raum. Er hat auch aufgezeigt, welche Wirkungen Innenhöfe und Plätze haben.

Gute Projekte in Konstanz, die in diese Richtungen gehen, sind zum Beispiel der Tannenhof, die Bebauung Jungerhalde oder auch die Schaudtbauten in Oberdorf. Die Projekte an der Bahnlinie in Petershausen oder die geplante Bebauung der Christiani-Wiesen sind leider eher Beispiele, wie man es nicht machen sollte.

Was müsste sich aus Ihrer Sicht politisch konkret ändern?

Problematisch ist, dass die Stadtentwicklung und Quartiersentwicklung derzeit von Investoren getrieben wird. Problematisch ist zudem, dass sich aufgrund der fehlenden und veralteten Bebauungspläne immer das Projekt durchsetzt, welches die maximale Ausnutzung des Grundstücks hat. Ein Beispiel aus der Schiffstraße: Dort sollen auf einem 1400 Quadratmeter großen Grundstück 20 Eigentumswohnungen entstehen. Die Tiefgarage geht über das komplette Grundstück. Auf diesem Grundstück wird es keinen hochstämmigen Baum mehr geben. Mit diesem Projekt verändert sich der Charakter des Ortsteils.

Oft wird in solchen Fällen nach Paragraph 34 des Baugesetzbuchs entschieden. Dieser Paragraph schadet Konstanz. Denn die Kriterien sind Auslegungssache, Transparenz gibt es kaum.

Wir kommen aber nicht umhin, die Stadtentwicklung und gerade auch die Verdichtung durch neue und aktualisierte Bebauungspläne zu steuern. Dies muss, wie Christoph Mäckler sagt, mit dem öffentlichen Raum beginnen. Jedes Gebäude hat eine Verantwortung für sich selbst, aber auch eine Verantwortung für das Quartier. Der Gestaltungsbeirat betrachtet nur das einzelne Gebäude.

Wir brauchen einen Beirat für Stadtentwicklung, der das Quartier im Auge behält und dieses behutsam weiterentwickelt. Projekte müssen so gestaltet werden, dass sie Bevölkerungsstruktur im Auge behalten, die soziale Mischung fördern und ganz wichtig: Grünräume und Verbunde berücksichtigen. Ein gutes Instrument ist der Rahmenplan, wie er zum Beispiel für das Quartier Staaderstraße und Schiffstraße entwickelt wurde, aber auch Erbpachtmodelle müssen wir in diesem Zusammenhang diskutieren, ebenso Millieuschutzsatzungen.

Das Motto lautet ja schon „Qualität statt Quantität“. Glauben Sie, dass Konstanz diesen Anspruch einhalten kann?

Der Architekt und Städteplaner Kees Christiaanse hat der Stadt bei einer Veranstaltung empfohlen, keine weiteren Flächen zu bebauen – insbesondere die Christiani-Wiese zu verschonen. Und wenn dann nur, wenn gleichzeitig andere Flächen entsiegelt werden.

Wie gesagt: Wir brauchen eine Vision, wohin sich Konstanz entwickeln soll. Zu einer Vision gehört aber noch viel mehr – nicht nur Wohnen, sondern auch Wirtschaft, Arbeiten und Verkehr. Es kann nicht sinnvoll sein, immer neue Pendlerströme zu produzieren, weil es in Konstanz keine adäquaten Arbeitsmöglichkeiten gibt.

Aktuell sehe ich ein Umschwenken zur Qualität nicht, die abgeschlossenen Projekte zum Beispiel am Bahnhof Petershausen und auf der Fläche Graf Hardenberg, Wollmatingerstraße, Vincentius sind Projekte des letzten Jahrhunderts, wo rein die Menge zählt.

Ein Schlüsselprojekt, wo diese Maxime der Stadt umgesetzt werden könnte, ist das ehemalige Siemensareal an der Bücklestraße. Dieses bietet das ideale Umfeld für Baugruppenkonzepte, die Kombination aus Leben und Arbeiten, gemischte Bevölkerung, innovative, nachhaltige Verkehrskonzepte. Leider zeichnet sich ab, dass die Stadt auch hier wichtige Hebel aus der Hand gegeben hat und eine quantitative Maximierung zu befürchten ist.

Ein wichtiges Schlüsselprojekt für Allmannsdorf ist die Gestaltung der Ortsmitte, die nach dem Umzug des Kindergartens St. Georg in 2020 nun angegangen werden muss. Hier werden wir die Stadt beim Wort nehmen und eine lebendige Ortsmitte gestalten. Bewährungsprobe wird sein, eine maßvolle Verdichtung zu finden und nicht, wie in der Ortsmitte von Litzelstetten ein maximales Bauvolumen zuzulassen.