Die vierte Singener Vesperkirche startete mit einem ökumenischen Gottesdienst, musikalisch umrahmt von Organistin Martina Bischofberger und dem Posaunenchor der Luthergemeinde unter Leitung von Andreas Gerlach. Wo sonst Kirchenbänke stehen, sind jetzt viele Tische aufgebaut, die durch weiße Tischdecken und blumige Dekoration sehr einladend wirken. Die 15-tägige Aktion soll Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten zusammenführen.
Traditionell wurde im Rahmen des Gottesdienstes unter den Gläubigen Brot geteilt. "Mögen viele Menschen an Leib und Seele gestärkt werden", erbat Andrea Fink-Fauser für die Vesperkirche 2019. Die Spaltung von Arm und Reich sei nicht von Gott gewollt. Vesperkirche bedeute Gemeinschaft über Grenzen hinweg, erklärte die Pfarrerin der evangelischen Luthergemeinde. Man treffe Menschen, denen man sonst nie begegnen würde, stellte sie fest.

Für das Großprojekt unter Federführung der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Singen (ACK) und der Singener Tafel seien diesmal fast 700 ehrenamtliche Helfer im Einsatz. Alles sei vorbereitet. Jetzt würden sich Helfer und Organisatoren auf zahlreiche Gäste freuen, sagte Andrea Fink-Fauser.
Fast 700 Ehrenamtliche im Einsatz
Pastor Reiner de Vries von der Singener Friedenskirche erhoffte sich im Gebet, dass durch das gemeinsame Essen in der Vesperkirche eine Brücke zu anderen Menschen geschlagen werde. Besuchern wünsche er, dass sie Begegnungen als großes Geschenk empfinden könnten.

Das Thema Begegnung war auch Teil der Festpredigt von Holger Gohla. Der aus Karlsruhe stammende Redakteur für Kirche und Kultur des Südwestrundfunks zitierte zunächst aus der Bibel: "Es ist nicht gut, dass der Mensch alleine ist", sagte er. Diese Erfahrung gelte bis heute. Alleinsein könne krank machen, betonte Gohla. Der Mensch als soziales Wesen sei nicht für Einsamkeit auf Dauer geschaffen. Alleine könne man die Orientierung verlieren oder sogar in eine Depression geraten, erklärte er.
Am Beispiel der Emmaus-Jünger machte er deutlich, wie wichtig es sei, zu wissen, dass Gott den Menschen beistehe. Auch Begegnungen bei der Vesperkirche seien oft eine hilfreiche Erfahrung, die zeige, dass man nicht alleine sei, sagte Holger Gohla. Vor allem in orientierungslosen Zeiten brauche es manchmal einen Anstoß von außen, stellte er fest.
Aktion läuft bis 27. Januar
In den Fürbitten ging es ebenfalls um Begegnungen während der Vesperkirche. Die Gläubigen baten um Unvoreingenommenheit gegenüber anderen Menschen und darum, die Würde jedes Einzelnen wahrnehmen zu können sowie sich nicht vom schönen Außen beeinflussen zu lassen.
Bis Sonntag, 27. Januar, gibt es in der zum Gasthaus am Weg umgebauten Lutherkirche täglich von 11.30 bis 14 Uhr ein warmes Mittagessen, bei dem zwei Menüs – eines davon vegetarisch – zur Auswahl stehen. Zum Angebot gehören auch kalte Getränke sowie Kaffee und Kuchen. Jeder Gast kann dafür geben, was er möchte. Jeder ist willkommen – ganz gleich, ob Arm oder Reich, Jung oder Alt.
Einsamkeit
Etwas mehr als die Hälfte der Gäste der Vesperkirche ist von Armut betroffen. Von Jahr zu Jahr kommen aber auch immer mehr Menschen, die sich einsam fühlen. Laut Studien hat soziale Isolation auf Dauer negative Folgen für Körper und Psyche. Wer kaum soziale Kontakte hat, habe ein viel höheres Herzinfarkt- und Schlaganfall-Risiko. Offenbar gibt es den Zusammenhang auch bei Schlafstörungen, Depressionen und beschleunigtem kognitivem Abbau im Alter. Als Risikogruppen gelten Senioren, Studierende, chronisch Kranke, Alleinerziehende, Behinderte, Ausländer, Migranten, Strafgefangene, Arbeitslose und Hochbegabte.