Singen Der bekannte Politikwissenschaftler und Armutsforscher Christoph Butterwegge war in unserer Region zu Gast. Er referierte in der VHS-Zentrale in Konstanz und im Bildungszentrum Singen in der Zelgestraße. In Singen war die Resonanz mit etwa 100 Gästen hoch. Eingeladen hatten ihn der DGB, die Volkshochschule Konstanz, das Bildungszentrum Singen, die Rosa-Luxemburg-Stiftung und das Online-Magazin „Seemoz“.

Der zur linken politischen Szene gerechnete, inzwischen emeritierte Professor, der von 1998 bis 2016 Politikwissenschaften an der Universität zu Köln lehrte, stellte seine Ausführungen unter die provokante Frage: „Von der militär- zur sozialpolitischen Zeitenwende: Wer zahlt für die Aufrüstung?“ In seiner Begrüßung bat der DGB-Kreisvorsitzende Klaus Mühlherr darum, sich in der Diskussion bitte auf die sozialpolitischen Themen zu konzentrieren, was sich nicht durchhalten ließ.

Christoph Butterwegge kritisierte in seinen Ausführungen unter anderem, dass die neue Regierung laut Koalitionsvertrag das Bürgergeldsystem zu einer „neuen Grundsicherung“ umgestalten und damit die meisten Verbesserungen für Arbeitsuchende, die mit der Bürgergeld-Reform der Vorgängerregierung verbunden seien, wieder abschaffen wolle. „Damit forciert die schwarz-rote Koalition unter Friedrich Merz den sozialen Klimawandel hin zu größerer Eiseskälte und weniger Solidarität“, sagte Butterwegge. Von der massiven Aufrüstung profitierten laut ihm hingegen die Reichen, die Aktien von Rüstungskonzernen besäßen. Per Grundgesetzänderung habe sich die neue Regierung einen Blankoscheck zugunsten des Militärs ausstellen lassen, und deshalb laute die Alternative der Gesellschaftsentwicklung in Zukunft: Rüstungs- oder Sozialstaat?

Nicht alle Anwesenden wollten dieser These folgen, wie zum Beispiel Udo Engelhardt, Leiter der Tafeln im Landkreis Konstanz, der dazu äußerte, dass er mit der engen Verknüpfung zwischen Armut und Aufrüstung ein Problem habe, denn aus seiner Erfahrung heraus seien die Gründe für Armut vielfältig. Ihn störe auch, dass immer gegen „Die da oben“ geschimpft werde. Aus seiner Sicht gehen diese Missstände doch jeden Einzelnen an, und damit sei auch die Zivilgesellschaft gefragt, sich zu kümmern und den Armen zu helfen.

Dem widersprach Butterwegge vehement und vertrat die Auffassung, dass die Armutsbekämpfung Aufgabe des Staates sei. Aus seiner Sicht dienten die Tafeln im Land als Legitimation dafür, den Sozialstaat abzubauen. Deshalb brauche es mehr finanzielle Mittel des Staates für Investitionen in die Armutsbekämpfung. Sparen, so der Referent, sollte der Staat bei den Militärausgaben. Er lehnt die militärpolitische Zeitenwende ab. Putin sei ein Machtpolitiker, doch bei klarem Verstand. Deshalb ist sich Butterwegge sicher, dass die Russische Föderation die Nato nicht angreifen werde. Dass die Russen vehement gegen die Osterweiterung der Nato eintreten würden, sei aus deren Sicht verständlich, denn schließlich sei Russland/die Sowjetunion in seiner Geschichte schon viermal vom Westen angegriffen worden, aber nie umgekehrt. Auch zu diesem Thema gab es zum Teil andere Meinungen, etwa die, dass Russland doch längst schon einen hybriden Krieg gegen den Westen führe, etwa mit seinen „Trollfabriken“, die über die sozialen Medien Falschinformationen und Propaganda streuten, um die Gesellschaft zu spalten. Auch werde mit Hackerangriffen auf Parteien, Institutionen und Unternehmen versucht, diese zu sabotieren.

Butterwegge lehnt auch die Unterstützung der Ukraine durch Deutschland ab und argumentiert historisch: Für ihn sei es nur schwer hinnehmbar, dass deutsche Panzer bei der ukrainischen Kursk-Offensive zum Einsatz kämen, dort, wo im Zweiten Weltkrieg eine der größten Panzerschlachten der Geschichte geführt worden sei. Zudem sieht er die militärische Stärke Russlands im Westen als überschätzt an, weil es Russland in dreieinhalb Jahren nicht gelungen sei, mehr als ein Fünftel der Ukraine zu besetzen.

Ralph Bürk aus Engen sprach zum Schluss das Thema an, dass Personal aus der im Wandel befindlichen Automobilindustrie in die Rüstungsindustrie wechselt. Bürk und andere brachten dazu ihr Unbehagen zum Ausdruck.

Politische Aktivitäten des Referenten

  • Parteimitgliedschaft: 1970 bis 1975 war Christoph Butterwegge Mitglied der SPD und bei den Jusos in NRW aktiv. In einem Parteiordnungsverfahren wurde er wegen parteischädigendem Verhalten ausgeschlossen. Von 1987 bis 2005 war er erneut Mitglied der SPD und trat dann wieder aus.
  • Als Kandidat der Linken bei der Wahl des Bundespräsidenten wurde Christoph Butterwegge der breiten Öffentlichkeit bekannt, als er vor acht Jahren gegen Frank-Walter Steinmeier antrat. Er erzielte einen Achtungserfolg, als er 128 von insgesamt 1239 Stimmen auf sich vereinigen konnte.
  • Er war Mitunterzeichner des „Manifests für Frieden“, der Anfang 2023 von der Politikerin Sahra Wagenknecht und der Publizistin Alice Schwarzer gestarteten Online-Petition. Sie rief den damaligen Bundeskanzler Olaf Scholz dazu auf, als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine „die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen“ und sich „für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen“ einzusetzen.
  • Er war auch Unterzeichner des sozialdemokratischen Grundsatzpapiers, das vor wenigen Wochen für Unruhe innerhalb der SPD sorgte. Darin heißt es, dass es statt immer mehr Geld für die Nato „mehr finanzielle Mittel für Investitionen in Armutsbekämpfung, für Klimaschutz und gegen die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen“ brauche. Die Verteidigungsfähigkeit solle mit einer „Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik“ verknüpft werden. Zunächst brauche es unter anderem die „Begrenzung weiterer Eskalation“. Zu den mehr als 100 Unterzeichnenden gehörte auch Rolf Mützenich, wobei Butterwegge in seinem Vortrag erwähnte, dass dieser bei ihm promoviert habe.