Was der Verband Deutscher Sinti und Roma (VDSR) am Mittwoch per Pressemitteilung aus Singen zu vermelden hat, hat das Zeug zum Skandal. Auf jeden Fall dürfte es die Debatte um Rassismus bei der Polizei anregen. Polizisten hätten am vergangenen Samstag ein elfjähriges Kind in Handschellen gelegt und zur Polizeiwache gebracht, ist da zu lesen. Der Junge gehöre der Minderheit der Sinti und Roma an.

Der Grund für den Vorfall laut der Mitteilung: Eine spielende Kindergruppe sei von Polizisten kontrolliert worden, und zwar kurz hintereinander zweimal von unterschiedlichen Beamten. Bei der zweiten „anlasslosen Personenkontrolle“ hätten die Polizisten ein „kleines Klappmesser“ bei dem Jungen gefunden. Der Junge habe zwar gesagt, dass er das Messer nur für Arbeiten im Garten bei sich trage. Außerdem habe der Elfjährige die Beamten auf sein Alter hingewiesen und darauf, dass er Asthma sowie von einem früheren Unfall drei angebrochene Rippen habe. Dennoch hätten ihm die Polizisten die Arme mit Handschellen auf den Rücken gefesselt und den Jungen „mit körperlicher Gewalt auf den Rücksitz des Einsatzwagens verbracht“, heißt es in der Mitteilung.

„Wenn nur die Hälfte davon stimmt, ist es eine unglaubliche Schweinerei.“ Mehmet Daimagüler, Anwalt der betroffenen Familie
„Wenn nur die Hälfte davon stimmt, ist es eine unglaubliche Schweinerei.“ Mehmet Daimagüler, Anwalt der betroffenen Familie | Bild: Kay Nietfeld / dpa

Die Beamten hätten bei der Kontrolle den Kindern zudem verboten, an ihre Handys zu gehen, wo deren Eltern bereits versucht hätten, sie zu erreichen, um sie zum Essen nach Hause zu holen. Der Elfjährige sei dann 30 Minuten lang in einem Verhörzimmer festgehalten worden, ehe er freigelassen worden sei. Ein Elternteil sei nicht dabei gewesen, wie aus der VDSR-Mitteilung hervorgeht. Am Ende sei das verängstigte Kind allein nach Hause gelaufen, die Mutter habe keine Auskünfte bekommen.

Strafanzeige ist gestellt, Anwalt Mehmet Daimagüler vertritt die Familie – er hat schon im NSU-Prozess die Nebenklage vertreten

Die Meldung ruft auch bundesweit ein großes Medienecho hervor. Und die Polizei sieht sich mit Rassismus-Vorwürfen konfrontiert. Denn in der Mitteilung des VDSR steht auch, dass einer der Polizisten den Jungen in gebrochenem Romanes angesprochen habe, der Sprache der Sinti und Roma. Die Schlussfolgerung, die der Verband zieht: Die Beamten müssen gewusst haben, dass der Junge zu dieser Minderheit gehört. Sinngemäß seien dabei unter anderem Sprüche gefallen wie „Der Tod kommt dich holen“. Die betroffene Familie habe am Dienstagabend Strafanzeige gestellt, Anwalt Mehmet Daimagüler sei eingeschaltet, so die Meldung. Dieser ist unter anderem als Nebenklagevertreter im NSU-Prozess aufgetreten. Die Formulierung des VDSR zeigt, wie der Verband die Angelegenheit einschätzt: Daimagüler habe in zahlreichen Prozessen Opfer politisch motivierter Gewalt vertreten.

„Ein Vorfall, bei dem sich derartige Ereignisse in Singen zugetragen haben sollen, ist uns nicht bekannt.“ Uwe Vincon, ...
„Ein Vorfall, bei dem sich derartige Ereignisse in Singen zugetragen haben sollen, ist uns nicht bekannt.“ Uwe Vincon, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Konstanz | Bild: Polizeipräsidium Konstanz

Auf Anfrage erklärt Daimagüler, wie er die Sache einschätzt: „Wenn nur die Hälfte davon stimmt, ist es eine unglaubliche Schweinerei.“ Er listet gleich eine Reihe von Fragen auf, weshalb der Vorfall strafrechtlich relevant werden könnte. Warum wurden die Kinder überhaupt zweimal kontrolliert? Warum verbieten die Polizisten den Kindern, ans Telefon zu gehen, was diese nicht dürften? Warum sei kein Elternteil dabei gewesen, wozu sie das Recht hätten? Es ergäben sich eine ganze Reihe von Anfangsverdachten, so Daimagüler. Er betont aber auch, dass diese Einschätzung auf den Schilderungen der Betroffenen beruhe. Die Strafanzeige diene nun dazu, dass ermittelt werde, sagt der Anwalt am Telefon: „Ich will vor allem, dass gründlich aufgeklärt wird. Das ist auch im Interesse der Polizei, denn es geht auch um das Vertrauen in die Sicherheitskräfte. Wir müssen nun abwarten, wie sich die beteiligten Polizeibeamten äußern.“

Uwe Vincon, Sprecher des Polizeipräsidiums Konstanz, will die Vorwürfe des VDSR nicht auf seinen Kollegen sitzen lassen: „Ein Vorfall, bei dem sich derartige Ereignisse in Singen zugetragen haben sollen, ist uns nicht bekannt. Wir können uns so einen Fall auch nicht vorstellen“, schreibt er in einer Stellungnahme. Bislang lägen allerdings auch bei der Polizei nur die Informationen aus den Medien vor, die Anzeige, in der nähere Informationen enthalten seien, sei noch nicht eingegangen. Weitere Angaben könne er erst machen, wenn der Sachverhalt genau geprüft worden sei – unter Berücksichtigung des Persönlichkeitsschutzes des Kindes.

Und Vincon bricht eine Lanze für die Neutralität der Polizeiarbeit. Es komme zwar immer wieder aus verschiedenen Kulturkreisen zu Vorwürfen gegen die Polizei. Er skizziert die Sichtweise der kontrollierten Personen: „Wir können damit umgehen, weil es in der Natur der Sache liegt, notwendige Eingriffsmaßnahmen subjektiv auch auf die Angehörigkeit eines Kulturkreises zu reduzieren.“ Doch er betont auch: „Unabhängig davon behandeln wir aber jeden Einsatz so, wie die Sachlage es erfordert, und wir treffen unsere Maßnahmen fernab jedweder Nationalität oder Herkunft immer gleich.“