Bei den Sondierungsgesprächen zu Deutschlands erster Brombeer-Koalition in Sachsen – also einem Bündnis zwischen CDU, SPD und dem Bündnis Sahra Wagenknecht – ist nach dem plötzlichen Abbruch der Sondierungsgespräche noch Luft nach oben. Aber Festzelt, das kann der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer. Bei der Mittelstandskundgebung beim Tengener Schätzele-Markt überzeugt der CDU-Politiker mit markigen Worten, flotten Sprüchen und einer gehörigen Portion politischem Charme.

Dabei habe er Tengen bei seinen vielen Besuchen im Landkreis Konstanz – und dies seien nicht wenige in den vergangenen Jahren gewesen, denn Kretschmer pflegt gute Verbindungen in den Hegau – gar nicht auf der Karte gehabt. „34 Jahre deutsche Einheit und den Posten als Ministerpräsident hat es gebraucht, damit ich hier nach Tengen eingeladen werde. Ihre Stadt wurde mir bisher immer vorenthalten“, ruft er den gut 2000 Zuhörern im Festzelt zu.

Verstanden sich von Anhieb an: Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU und Bürgermeister Selcuk Gök.
Verstanden sich von Anhieb an: Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU und Bürgermeister Selcuk Gök. | Bild: Hanser, Oliver

Kretschmers Rede umfasst viele Themen: Deutsche Einheit, krankelnde Wirtschaft, Arbeitszeiten und -moral, Überbürokratisierung, Bauernproteste, Klimaschutz und natürlich die Bedeutung des Mittelstandes. Und wie es sich für einen Spannungsbogen gehört, gibt es die Kernbotschaft ganz am Ende. Und die hat es in sich: „Die Ideologen in Deutschland müssen endlich zurücktreten. Und Pragmatiker an die richtigen Stellen.“

Zum Glück wurde es nicht Bremen Video: Arndt, Isabelle

Kretschmers Anliegen wird im Festzelt schnell deutlich: Er will die Menschen einschwören, zum Zusammenhalt aufrufen. Beispiele, dass die Deutschen das drauf haben, nennt er viele, und blickt dafür auch in die Vergangenheit: Nach der Wiedervereinigung hätten die alten Bundesländer die einstigen DDR-Bezirke beim Aufbau ihrer Verwaltung unterstützt. „Wir sind ein starkes und tolles Land, weil wir die Wende gemeinsam gemeistert haben“, sagt er.

Manches sei dabei jedoch auch Glückssache gewesen, so habe Sachsen bei der Wiedervereinigung Baden-Württemberg als Partner-Bundesland zugeteilt bekommen. Und dafür sei er dankbar. Warum? „Wäre es Bremen geworden, hätten wir heute wohl das Bildungsniveau von Mexiko“, so Kretschmer.

Kein Lari-Fari mehr mit Kretschmer

Die markigen Sprüche weichen schnell politischen Botschaften. Das politische Thermometer im Festzelt steigt schnell an. Als Kretschmer der Vier-Tage-Woche angekommen ist, hat er sein Sakko schon abgelegt. Kretschmer ist die Vier-Tage-Woche ein Dorn im Auge, daraus macht er am Mikrofon keinen Hehl. Deutschland habe aktuell so viele arbeitende Bürger, wie noch nie. Fünf Millionen mehr als noch vor etwa 20 Jahren. Aber gleichzeitig würde diese Rekordsumme nur so viele Arbeitsstunden leisten wie vor 20 Jahren.

Kein Fan der Vier-Tage-Woche Video: Arndt, Isabelle

Die Menschen hätten damals mit ihrer unermüdlichen Arbeit den Grundstein für unseren heutigen Wohlstand gelegt, ist sich Kretschmer sicher. Dieses Anpacken würde er sich heute noch wünschen. „Das Gerede über eine Vier-Tage-Woche, Work-Life-Balance und nur noch Homeoffice geht an den Realitäten vorbei und das müssen wir den Menschen sagen.“

Unter den rund 2000 Gästen im Tengener Festzelt tummelte sich jede Menge Politik-Prominenz aus dem Hegau.
Unter den rund 2000 Gästen im Tengener Festzelt tummelte sich jede Menge Politik-Prominenz aus dem Hegau. | Bild: Hanser, Oliver

Machen ihn solche Aussagen zum Hardliner oder ist er lediglich ein konservativer CDU-Politiker? Im Festzelt scheint seine Rede jedenfalls anzukommen. Der sächsische Ministerpräsident erntet Beifall für Aussagen wie: „Ich finde, dass für Fachthemen auch Fachleute da sein sollten.“ In den vergangenen Jahren hätten viel zu viele Bürokratie-Fäden die Wirtschaft am Boden gehalten. Und dies dürfe so nicht weitergehen: „Deutschland muss wachsen und darf nicht der kranke Mann Europas sein.“ Am wirtschaftlichen Erfolg hängen seiner Ansicht nach auch die Zukunft der Bundesrepublik.

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Hart in der Sache bleibt er auch beim Bürgergeld: Sozialleistungen seien wichtig für Menschen, denen es nicht gut gehe, die bedürftig seien. Aber: „Menschen, denen man Arbeit anbietet und die diese ablehnen, sind nicht bedürftig.“ Oder anders formuliert: „Die, die etwas leisten, müssen mehr haben als die, die nichts leisten“, so Kretschmer weiter. Dafür erntet er lauten Beifall.

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Für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands sei laut Kretschmer an vielerlei Stellen ein Umdenken nötig. So auch beim Thema Energie. Strom in Deutschland sei so teuer wie gefühlt, noch nie, viel teurer als etwa in den USA. Deutschland würde stets versuchen, mit neuen Regularien andere Länder zu übertrumpfen. „Wir setzen bei allem eine goldene Regel mehr obendrauf“, so Kretschmer. Damit müsse nun aber Schluss sein. „Die Energiewende muss neu aufgesetzt werden“, betont er, „ohne ideologische Scheuklappen“. Deutschland dürfe sich nicht mehr selbst behindern. Auch dafür erntet der Sachse in Baden viel Zustimmung.

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Bei der Auswahl des Festredners hat Bürgermeister Selcuk Gök ins Schwarze getroffen -scheint es zumindest, wenn man den Erfolg einer Rede an der Lautstärke und an der Dauer des Applauses messen will. Bereits im Vorfeld der Kretschmer-Rede verspricht der Tengener Ratauschef, dass der sächsische Ministerpräsident ein Politiker sei, der sich immer für den Mittelstand starkmache. Deshalb passe Kretschmer als Redner perfekt zur traditionellen Mittelstandskundgebung. „Unser Mittelstand ist das Rückgrat unserer Region. Es sorgt dafür, dass unsere Wirtschaft stabil und agil bleibt“, betont Gök.

Michael Kretschmer beim Schätzele-Markt Tengen Video: Arndt, Isabelle

Göks Blick in die Glaskugel

Auf Jahrmärkten und Volksfesten gibt es sie oft: Hellseher, die einem die Zukunft aus der Hand vorlesen oder einen Blick in die Glaskugel werfen. In diese muss wohl auch Selcuk Gök geblickt haben. Am Ende von Kretschmers Rede gibt es als Dank aus Tengen ein Buch. Das gleiche Buch, das auch Manuel Hagel, Landesvorsitzender der CDU, erhalten hat. „Über den Inhalt können Sie sich ja mit Manuel Hagel bei der Ministerpräsidentensitzung im kommenden Jahr unterhalten“, ruft Gök Kretschmer zu. Dieser muss kurz überlegen und lacht dann laut auf.

Denn Manuel Hagel gilt bei vielen Experten als potenzieller Nachfolger des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne). Es ist kurz vor 16 Uhr, als Gök diese Worte spricht. Cem Özdemir (Grüne), der am Tag zuvor seine Kandidatur als Ministerpräsident öffentlich gemacht hat, dürfte wohl der Kaffeelöffel in die Tasse gefallen sein. Und damit zeigt auch Gök, dass er Festzelt kann.