Vor 35 Jahren wurde das „Werkstättle“ als Kleinprojekt der evangelischen Kirche gegründet, um vier psychisch kranken Menschen eine Tagesstruktur mit Beschäftigung zu bieten. Heute sind in dem gemeinnützigen Beschäftigungsprojekt mehr als 100 Personen in Arbeit, Lohn und Brot und dazu kommen weitere 30 Mitarbeiter, die während der Saison der Fußballgolf- und Abenteuergolfanlage einen Job haben. Viele Menschen, die das Werkstättle beschäftigt, haben auf dem regulären Arbeitsmarkt, der derzeit über Fachkräfte- und Lehrlingsmangel klagt, keine Chance.
Vielfältige Krisen erreichen das Werkstättle
Auch großzügige Fördermöglichkeiten durch die Agentur für Arbeit oder das Jobcenter öffnen für die Betroffenen fast nie eine Unternehmenstür. Umso wichtiger ist das „Werkstättle“, das allerdings auf ein „brutales Jahr 2022“ zurückblickt, wie Joseline Reutter, die mit Dieter Lallathin den geschäftsführenden Vorstand bildet, bei einem SÜDKURIER-Gespräch erklärt. Bei dem Treffen im Werkstättle mit dabei ist Rüdiger Semet, Vorstandsvorsitzender und viele Jahre Hauptverantwortlicher für das Projekt. Das Jahr 2022 habe „überragend“ angefangen, bevor die vielfältigen Krisen auch das „Werkstättle“ erreichten. Mithilfe von Kurzarbeit, von der rund 30 Prozent der Belegschaft betroffen war, und staatlicher Corona-Hilfen wurde der Betrieb aufrecht erhalten. Besonders dankbar sind Reutter und Semet, dass der Hauptkunde für den Industrieservice sich flexibel und hilfsbereit zeigte: „Diese Unterstützung hat uns enorm geholfen!“
Jobcenter reduziert Fördermittel drastisch
Umso bitterer ist es für die Vorstandschaft, dass man zwei Projekte mangels Geld, Personal und Perspektive zum Jahresende 2022 beenden musste. Betroffen ist das „Bürgerprojekt“, in dem im vergangenen Jahr noch 13 Personen betreut waren und das an der Ecke Heiligenberger Straße seine Räumlichkeiten hatte. Auch beim „Campus Galli“ in Meßkirch, wo Beschäftigte des „Werkstättle“ mit entscheidend am Projekt mitgearbeitet haben, „mussten wir die Reißleine ziehen“, wie Rüdiger Semet erklärt.

Das Aus für die beiden Projekte zeichnete sich ab, nachdem das Jobcenter dem Werkstättle im November mitteilte, dass man die Finanzmittel für diese sogenannten Arbeitsgelegenheiten, sprich 1,50 Euro-Jobs, für 2023 massiv kürzen müsse. Ein Grund ist das am 1. Januar 2023 eingeführte „Bürgergeld“. Konkret muss das Jobcenter künftig die Qualifizierung von Bürgergeldempfängern forcieren, sodass für Beschäftigungsprojekte für Langzeitarbeitslose viel weniger Geld zur Verfügung steht.
Sanktionen nur noch in Ausnahmefällen möglich
Hinzu kommt, dass vom Jobcenter den Werkstättle-Projekten fast keine potenziellen Mitarbeiter mehr zugewiesen werden. Der Grund: Durch höchstrichterliche Entscheidung darf das Jobcenter nur noch in Ausnahmefällen Sanktionen gegen Betroffene verhängen, die beispielsweise Beschäftigungsangebote ablehnen oder gar nicht beim potenziellen Arbeitgeber auftauchen. Diese Abkehr vom Prinzip „Fördern und fordern“ sorgt dafür, dass die Zahl der Arbeitsverweigerer zunimmt, sich die Teilnehmerzahl bei den Projekten verringert und dadurch deren Finanzierung unmöglich macht. Denn bei Arbeitsgelegenheiten teilen sich Jobcenter und der Europäische Sozialfonds die Finanzierung.
Mitarbeiter bekommen zusätzliche Aufgaben
Die Werkstättle-Verantwortlichen wissen zudem um die Zwänge und Herausforderungen des Jobcenters, das unter Personalmangel leidet. Zudem hat die Bundespolitik der Behörde die Betreuung der Ukraine-Flüchtlinge übertragen, was zu einem zusätzlichen enormen Arbeitsaufwand führte.
Dass man das „Bürgerprojekt“ und „Campus Galli“ canceln musste, schmerzt Reutter und Semet, aber die Macher blicken nach vorne und entwickeln schon Ideen für neue Projekte, die das „Werkstättle“ wieder zu seinen Gründungswurzeln zurückführen sollen – Beschäftigungsangebote für psychisch Kranke zu schaffen.
Netzwerk für Projekte für psychisch Kranke bilden
Auch mit Blick auf die geplante Verlagerung der Psychiatrie vom Krankenhaus Sigmaringen nach Pfullendorf kann sich Semet vorstellen, 2024 oder 2025 entsprechende Förderanträge zu stellen. Zuvor müsse man allerdings ein entsprechendes Netzwerk bilden, weiß der erfahrene Sozialexperte. Abschließend erläutert er nochmals den wirtschaftlichen Status Quo des „Werkstättle“ im Jahr 2023. Nach dem Wegfall der beiden Projekte muss sich das gemeinnützige Beschäftigungsunternehmen zu 100 Prozent selbst finanzieren, und zwar durch die Abwicklung der industriellen Kundenaufträge.