Es klingt nach Ramsch. Allein schon dieses Wort – Nicht-Erfüller – das fühle sich falsch an. „So abschätzig“, sagt Uta Bösinger. So bürokratisch. Dabei ist die Tennenbronnerin eine, die gebraucht wird. Weil hierzulande Tausende Lehrer fehlen. Und Unterrichtsangebote nicht ausfallen dürfen.
Alle nötigen Referenzen und doch keine vollwertige Lehrerin
Nicht-Erfüller: Das sind Seiten- oder Quereinsteiger ohne Lehrerausbildung. Nicht-Erfüller: Das klingt aber auch nach einer völlig ungelernten Kraft. Nach jemandem, der nicht die gleiche Arbeit leistet, wie Lehrer im Staatsdienst.
Doch Bösinger, die an den Grundschulen in Tennenbronn und Lauterbach Sport und Schwimmen unterrichtete – und ab dem Herbst statt in Tennenbronn an der Grund- und Werkrealschule in Sulgen sein wird – hat alle nötigen Nachweise.
Ein Brief an Kretschmann
Ein abgeschlossenes Studium als Diplomsportwissenschaftlerin. Mit abgeschlossen sportpädagogischen Kursen. Was sie wurmt? Die Geringschätzung, die ihr entgegenkommt. So sehr, dass sie jetzt einen Brief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann schrieb. Und sich an den SÜDKURIER wandte.
Doch von vorn: Das Fass zum Überlaufen brachte ein Schreiben von Kretschmann und Kultusministerin Theresa Schopper. Darin hatten sie Lehrer gebeten, doch „eins, zwei oder vielleicht sogar drei zusätzliche Stunden zu unterrichten“. Oder einen anstehenden Ruhestand zu verschieben.
Um den Lehrermangel im Land auszugleichen.
Das Sache mit der Arbeitslosigkeit im Sommer
Und das – kurz vor den Sommerferien – , wo das Land jährlich Nicht-Erfüller in die Arbeitslosigkeit schickt. Oder wie in Bösingers Fall sie schlicht seit fünf Jahren in Ketten-Befristungen hält.

Obwohl sie nichts falsch gemacht hat. Obwohl sie – wie andere Lehrer auch – oft unter zermürbenden, schwierigen Bedingungen arbeitet.
Und oft – ohne zusätzliches Honorar – noch Projektwochen und Bundesjugendspiele mitgestaltet. Oder: Obwohl sie sich bemüht, Kinder einzufangen, die die Pandemie abgehängt hat.
„Eigentlich müsste das Land pflegen, was es hat“, sagt Bösinger – und meint, die Arbeitsverhältnisse, die schon bestehen. Doch: Statt Lehrer zu entfristen oder im Sommer nicht zu entlassen, würde den „Erfüllern“, also den „richtigen“ Lehrern, einfach Mehrarbeit aufgebürdet.
Wenn die Wertschätzung fehlt
Das Land fordert– und man könnte ernsthaft streiten, ob es das in Zeiten der Not nicht darf, ja sogar muss.
Aber: Das Land fordert mehr. Und setzt derweil andere auf die Straße. Das wirkt nicht gerade wertschätzend, ja sogar ein bisschen frech. Bösinger formuliert es in ihrem Brief an Kretschmann zaghafter. Und schreibt von „wenig Anerkennung, Honorierung und Fairness“.
Eine, die für den Sport brennt
Dass sie für den Sport – den sie unterrichtet – auch brennt, merkt man sofort. Für ein Treffen mit dem SÜDKURIER ist sie mal schnell von Tennenbronn noch Villingen geradelt. Als wäre es nichts. Dass bisschen Sport.
Und als sie von ihrer Arbeit mit den Kindern erzählt, erwähnt Bösinger fast nebenbei: Dass sie überlegt, ein Buch zu schreiben. Zum Schwimmen lernen. Und nein, kein Buch nur zum Lesen. Sondern eins, wo sich für Kinder und Eltern über QR-Codes ein Video öffnet, das ihnen die Übungen auch praktisch zeigt.
Wie sie zur Schule kam? „Ich bin da reingerutscht. Und hängengeblieben“, sagt sie. Denn: Eigentlich war sie einmal Personaltrainerin. Und eigentlich führt sie neben ihrer Arbeit in der Schule auch noch einen Bauernhof. Acht Stunden in der Woche ist sie trotzdem in den Schulen unterwegs.
Keinen unbefristeten Vertrag
Und es ist auch nicht so, dass Bösinger nur acht Stunden arbeiten will. „Ein paar Stunden mehr könnte ich neben dem Bauernhof schon stemmen.“ Mehr Stunden – oder gar unbefristete Verträge – bekomme sie aber gar nicht erst.
Schulschwimmen gerade jetzt wichtig
Und das, obwohl die Zahl der Nichtschwimmer zunimmt. Eigentlich: War das schon vor Corona ein Problem. Doch seit der Pandemie ist es viel schwerer, einen Platz im Schwimmkurs zu bekommen, weiß Bösinger. „Das Schulschwimmen wird daher umso wichtiger.“
Doch richtig ernst genommen fühlt sich Bösinger im Schulsystem nicht. Im Gegenteil: „Man drückt mir den Stempel Nicht-Erfüllerin auf. Und will mich nicht sehen.“ Auch das schrieb sie Winfried Kretschmann – und erhielt sogar eine Antwort.
Was Staats- und Kultusministerium dazu sagen
Nur: Nicht von ihm. Sondern lediglich aus dem Staatsministerium. In dem Schreiben, das dem SÜDKURIER vorliegt, heißt es unter anderem: „Es ist durchaus üblich, dass Teilzeitlehrkräfte mit der Bitte angeschrieben werden, ihr Deputat aufzustocken.“ Und: „Uns tut es sehr leid, dass Betroffene […] dies als Ärgernis empfinden.“
Zur Schließung von befristeten Verträgen heißt es im Schreiben und – und auch auf SÜDKURIER Nachfrage beim Kultusministerium – fast wortgleich: Dass nur drei Prozent aller Lehrkräfte im Land – 4200 Lehrer – befristet angestellt sein. 90 Prozent sein verbeamtet. Und sieben Prozent unbefristet angestellt. Das Problem sei also gar nicht so groß.
Zudem würden die Lehrer nicht entlassen: „Sondern ein befristeter Vertrag, dessen Enddatum bei der Unterschrift bekannt war, läuft aus“, sagt Benedikt Reinhard, Sprecher des Kultusministeriums.
Auch würden befristete Verträge nur geschlossen, wenn Stammlehrer ausfallen. Und vertreten werden müssten – etwa durch Krankheit oder Schwangerschaft. Darum sein die Verträge auch befristet.
Vom Mut, andere Wege zu gehen
So steht es in den Schreiben, das Bösinger erhielt. So erklärt es Reinhard.
„Ich war überrascht, überhaupt eine Antwort zu bekommen“, sagt Bösinger. Doch: Wertgeschätzt fühlt sie sich immer noch nicht. Was sie sich wünscht? „Ein bisschen Mut, fähige Lehrer zu entfristen.“ In einer Zeit, in der man doch so dringend welche suche.