Ringen: Egon Bader schließt kurz die Augen und ringt um die passenden Worte. „Der Rafael“, sagt er, „der war immer der Rafael, der war ein Siegertyp, bei jedem Training dabei, ein Ausnahmetalent eben.“ Der Rafael heißt mit Nachnamen Kinsfater und sitzt an diesem Abend im November keine zwei Meter entfernt vom Zweiten Vorsitzenden der Radolfzeller Eiche-Ringer. Es ist kurz still im Massageraum der Teggingerhalle, in dem der 19-Jährige zuvor von seinem sportlichen Werdegang erzählt hat, von Titeln und Erfolgen be Deutschen Meisterschaften und Internationalen Turnieren, von olympischen Träumen und von jenem Abend im Keller eines Stockacher Bauernhofs, der nicht alles, aber doch vieles veränderte.

Egon Bader, Zweiter Vorsitzender Eiche Radolfzell.
Egon Bader, Zweiter Vorsitzender Eiche Radolfzell. | Bild: Salzmann, Dirk

Der Rafael von damals, der ist kaum zu bezwingen. Seit seinem fünften Lebensjahr ein Ringer, fasziniert von diesem Sport, der schon im antiken Griechenland praktiziert wird. Ein Leben ohne Ringen? Geht nicht, schon gar nicht für einen jungen Mann, dessen Eltern aus Kirgisistan stammen, wo Ringen Nationalsport ist.

Ein Bild vergangener Tage: Kinsfater als Nachwuchsringer.
Ein Bild vergangener Tage: Kinsfater als Nachwuchsringer. | Bild: sk

Als die Corona-Pandemie jegliches Vereinsleben verhindert, mietet er mit einigen Freunden eine provisorische Halle in Stockach an. „Wir haben Matten besorgt und trainiert“, erinnert sich Kinsfater. Dann geschieht der Unfall, der ihn beinahe die Karriere gekostet hätte. Eine unglückliche Bewegung, ein Knacken in der Schulter, ein tauber Arm, das sei „alles zunächst nicht besonders schlimm gewesen“. Er ignoriert die Verletzung, zumindest solange, bis der Arm ausgekugelt ist. Untersuchungen zeigen später, dass mehrere Sehnen der Schulter durchgerissen sind, immer wieder springt der Arm in den kommenden Monaten aus dem Schultergelenk, eine erste Operation kann daran nichts ändern.

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„Diese Zeit war ein Albtraum, ich habe zehn Kilogramm zugenommen. Ich konnte bei den Kämpfen meiner Teamkollegen auch nicht mehr zuschauen, ich habe es einfach nicht ertragen“, erzählt Kinsfater mit ruhiger Stimme. Erst als ihm die Ärzte bei einem zweiten Eingriff Schrauben und Platten einsetzen, wird es besser. Entlassen wird er mit der Ansage, dass er nie wieder werde ringen können, wenn mit der Schulter noch mal was passieren sollte. Die Schulter hält, aber der Kopf macht nicht mehr mit.

Kinsfater zeigt die Narbe an der Schulter, die ihn an den Trainingsunfall erinnert.
Kinsfater zeigt die Narbe an der Schulter, die ihn an den Trainingsunfall erinnert. | Bild: Salzmann, Dirk

Der Rafael, der ist nicht mehr der Rafael von früher. Der Unbekümmerte. Der harte Hund, der sich für den Erfolg quälen kann wie kaum ein anderer. Der im Schwitzanzug joggen geht, sich danach in die heiße Badewanne legt und unter eine Spezialdecke noch im Schlaf, die das Wasser aus seinem Körper treibt, um das für ihn vorgegebene Gewicht von 75 Kilogramm zu erreichen. Er verliert plötzlich Kämpfe, die er früher gewonnen hätte. Aber er kämpft sich heran, gibt nicht auf. „Ich liebe Ringen. Für mich ist das der härteste Sport überhaupt, einfach weil der ganze Körper gefordert und trainiert werden muss.“ Er spricht gerne über diesen Sport, dessen Ästhetik viel zu wenige Menschen erkennen würden. „Die Griffe, das Taktische, die Würfe, das ist komplex, aber gerade deshalb auch so faszinierend.“

Kinsfater als Schiedsrichter beim Jugend-Turnier in Radolfzell am vergangenen Wochenende.
Kinsfater als Schiedsrichter beim Jugend-Turnier in Radolfzell am vergangenen Wochenende. | Bild: Salzmann, Dirk

Wer mag, kann sich davon am Samstag selbst überzeugen. Dann treffen die Eiche-Ringer auf die Mannschaft aus Furtwangen. Es ist der drittletzte Kampf der Oberliga-Saison, statt in Böhringen werden die Athleten erstmals in der neuen Markelfinger Halle auf die Matte gehen (siehe Infoleiste). Mit einem Rafael Kinsfater, der seine Kopfblockade inzwischen überwunden hat, wie er selbst sagt. Er möchte wieder der alte Rafael werden, was bei einem 19-Jährigen schon ungewöhnlich klingt.

Alles im Griff: Rafael Kinsfater.
Alles im Griff: Rafael Kinsfater. | Bild: Salzmann, Dirk

Und da ist er auf dem besten Weg. Wer an sich selbst zweifelt, sich dann aber seinen Dämonen stellt und sie bezwingt, muss auch auf der Matte vor keinem Gegner Angst haben.

Kinsfater, das Ringen und Eiche Radolfzell

  • Zur Person: Rafael Kinsfater ist 19 Jahre alt und wohnt in Rielasingen. Seine Eltern Nadja und Ruslan stammen aus Kirgisistan und leben seit 2003 in Deutschland. Er hat eine siebenjährige Schwester namens Laura, sein Bruder Marcel ist zehn Jahre alt und natürlich auch ein Ringer. Rafael Kinsfater hat vor wenigen Wochen eine dreijährige Ausbildung zum Pflegefachmann im Klinikum Singen begonnen.
  • Die Sportart: Ringen ist ein Kampf- und Kraftsport mit Ganzkörpereinsatz ohne weitere Hilfsmittel. Man unterscheidet zwischen Freistil und Griechisch-Römisch. Beim Freistil gilt der gesamte Körper, vom Kopf bis zu den Füßen, als Angriffsfläche. Im Stil Griechisch-Römisch (kurz auch Greco) gilt nur der Körper oberhalb der Gürtellinie als Angriffsfläche.
  • Der Verein: Eiche Radolfzell wurde 2016 gegründet, viele Athleten waren zuvor beim StTV Singen aktiv. Der Verein musste in der untersten Liga, der Bezirksklasse anfangen. Es folgte fast in jedem Jahr ein Aufstieg, aktuell ist die Erste Mannschaft auf dem zweiten Tabellenplatz der Oberliga und damit der höchstklassige Club der Region. Zum Team der Trainer Simon Rebholz, Ghenadi Tulbea und Dawid Solich gehören viele junge Talente, aber auch einige Routiniers. Erfolgreich sind auch die Zweite Mannschaft und die Schüler-Riege, die ungeschlagen Meister wurde.
  • Die Oberliga-Kämpfe: Trainiert wird in der Radolfzeller Teggingerhalle, die Kämpfe finden vor meist 150 Zuschauern in Böhringen statt. Die beiden noch ausstehenden Oberliga-Duelle werden allerdings in der neuen Halle in Markelfingen ausgetragen. Diesen Samstag gegen die Riege aus Furtwangen, am 16. Dezember gegen VfK Mühlenbach. Los geht es jeweils um 20 Uhr, der Eintritt kostet für Erwachsene über 18 Jahren fünf Euro. (sal)