Christian Drosten, Sandra Ciesek, Jonas Schmidt-Chanasit: Namen, die seit der Corona-Krise klingen wie Donnerhall, stehen sie doch für wissenschaftliche Kompetenz und Seriosität. Wenn es gilt, in unübersichtlichen Zeiten Orientierung zu finden, sind Professoren wie sie erste Wahl. An Universitäten nämlich wird konstruktiv diskutiert statt emotional drauflosgequatscht. So jedenfalls stellt man sich die Sache ja vor, daraus bezieht der Forschungsbetrieb seine Glaubwürdigkeit.
Die Realität ist auf Elon Musks Internetplattform X (vormals Twitter) zu besichtigen. „Ach komm“, geht Prof. Dr. Ciesek ihren Kollegen Prof. Dr. Schmidt-Chanasit an: Seine „unterkomplexe Darstellung“ der Corona-Krise sei doch „unwürdig“. Und Prof. Dr. Drosten ätzt: „Tut mir leid, aber es geht so nicht mehr.“ Schmidt-Chanasits „jahrelange Stichelei“ sei einfach „hinterhältig“. Der so Gescholtene ringt um Mäßigung: „Wichtig!“, fleht Schmidt-Chanasit. „Immer sachlich bleiben und im Ton angemessen.“
Auf Plattformen wie X wird der akademische Olymp zum Sandkasten, der Halbgott in Weiß zum Kleinkind. Man könnte das als amüsante Petitesse abtun, doch es geht um mehr. Es geht darum, dass es gar nicht erst Elon Musks jüngster Einmischung in den Bundestagswahlkampf bedarf, um es für problematisch zu halten, wenn Personen mit öffentlichem Auftrag sein Geschäft bedienen.
Eine Wissenschaft, die sich auf die Empörungskultur sogenannter sozialer Netzwerke einlässt, setzt ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Das gilt schon für Rangeleien untereinander, mehr noch aber für Vertreter, die sich mit sogenannten Trollen prügeln: wildfremden, anonymen Internetnutzern.
„Mal wieder ins Klo gegriffen, Buddy“
Carlo Masala, Politikwissenschaftler mit Professur an der Universität der Bundeswehr, ist als Experte für den Ukraine-Krieg derart eingespannt, dass sich mancher fragen mag, ob überhaupt Zeit zum Forschen bleibt.
Umso erstaunlicher erscheint sein tägliches Engagement im Netz. „Mausebär. Suchst du Aufmerksamkeit? Geh woanders hin“, „Hau ab“, „Mal wieder ins Klo gegriffen, Buddy“: Worte eines Hochgelehrten. Sie gelten Debattenteilnehmern, die „Ralf“ heißen oder „Bärtigerbär“, man gewinnt nicht den Eindruck von fachlicher Dringlichkeit.
Dass es auch anders geht, beweist der Soziologe Harald Welzer. Auf Bitten eines Zeitungsredakteurs, berichtet er in seinem Podcast, habe er sich Twitter-Reaktionen zu einem von ihm verfassten Gastbeitrag durchgelesen. „Da dachte ich: Moment! Ich weiß überhaupt nicht, wer der Absender ist, ich kenne nicht die Qualifikation dieser Person – woher sollte die Notwendigkeit kommen, sich damit auseinanderzusetzen?“
Mag sein, dass sich mancher Forscher von diesen Plattformen eine wie auch immer geartete Horizonterweiterung verspricht. Oft aber dürfte Eitelkeit das gewichtigere Motiv sein als Hoffnung auf Erkenntnisgewinn.
Wo bleibt das Verantwortungsbewusstsein?
Wer mit solchen Wissenschaftlern spricht, bekommt bisweilen zu hören, sie seien ja nur privat auf diesen Plattformen unterwegs. Es sei doch ihr gutes Recht, am öffentlichen Diskurs teilzunehmen: nicht als Experte, sondern als ganz normaler Bürger! Doch Privatheit verträgt sich schlecht mit hunderttausend Followern.
Und wer seine persönliche Auffassung nur als gewöhnlicher Bürger einbringen möchte, missbraucht dafür nicht seine berufliche Kontaktliste: Eine von Wissenschaftlern auf Plattformen wie X erlangte Publikationsmacht verdankt sich ja weniger deren bescheidener Privatmeinung als akademischen Posten, Titeln und Meriten, die erhöhtes Verantwortungsbewusstsein erfordern sollten.
Schlimm genug, dass viele Politiker und manche Journalisten Probleme haben, ihren publizistischen Geltungsdrang auf einen angemessenen Rahmen zu begrenzen. Das hat ja auch etwas mit Würde zu tun. Professoren aber genießen berufliche Freiheiten und Privilegien, damit sie unbelastet von derlei Zwängen im Dienste der Gesellschaft arbeiten können. Manche scheinen es gar nicht zu wissen.