Es verhält sich mit der Rente wie mit so vielen anderen politischen Herausforderungen unserer Zeit: Eigentlich wissen alle, dass in einer komplexen Wirklichkeit filigrane Feinarbeit statt populistischer Vorschlaghammer gefragt ist. Und doch sind es wieder Extrempositionen, die den Diskurs bestimmen.
Die Politik setzt auf magisches Denken. Dann sorgen auf ewig steigende Aktienkurse für wundersame Geldvermehrung und anstrengungslosen Wohlstand. Freiwillige Angebote beglücken die Arbeitssüchtigen, füllen dabei ganz nebenbei die Rentenkasse.
Oder man macht es gleich wie Ex-Kanzler Olaf Scholz. Der riet im zurückliegenden Wahlkampf zur Taktik „Augen zu und durch“: Experten hätten schon vor Jahren mit ihren Warnungen daneben gelegen, wird auch diesmal schon irgendwie gut gehen.
Hohe Zahl und kühler Kopf
Dagegen hält die Wissenschaft. Ökonomen gefallen sich in der Rolle der nüchternen Rechenmeister. Längeres Leben plus geringere Beiträge gleich höheres Renteneintrittsalter. Wer mit der höchsten Zahl schockt, gilt als kühlster Kopf: Ruhestand erst mit 70! 72! Gar keine Rente!
Seriöse Politik ist weder Alchemie noch bloße Rechnerei. Sondern der Versuch, Wunsch und Wirklichkeit zusammenzubringen. Der Wunsch lautet: Wir wollen langen Ruhestand ohne Wohlstandsverlust. Die Wirklichkeit sind sinkende Beitragszahlungen und steigende Lebenserwartung. Ganz gleich, an welcher Stelle man die Sache anpackt: Es wird weh tun. Aber je großflächiger sich Schmerz verteilt, desto leichter lässt er sich ertragen.

Beispiel Freiwilligkeit. Es ist ja tatsächlich kaum einzusehen, warum Menschen mit ausreichend Kraft und Willen vorzeitig in den Ruhestand gedrängt werden sollten. Doch erstens ist das ja schon heute gar nicht der Fall, weshalb die Regierung allenfalls mit zusätzlichen Prämien die Zahl der arbeitenden Senioren weiter steigern könnte. Zweitens haben solche zusätzlichen, lukrativen Angebote eine unangenehme Eigenschaft: Sie entwickelt sich schon bald zur allgemeinen Notwendigkeit. Es beginnt als freiwillige Option und endet mit neuen Standards, Ehepaare ohne doppeltes Einkommen etwa erwerben so leicht kein Eigenheim mehr.
„Wie, du willst ganz regulär in Rente gehen: Kannst du dir das denn leisten? Dann bist du aber selbst schuld, wenn die Bank dir keinen Kredit geben will!“ Eine Rentenzukunft, die so aussieht, kann kein lohnendes Reformziel sein. Auch andere Probleme sind absehbar: zum Beispiel Senioren, die vorzeitig ihre Rente beantragen, weil sie mit dem steuerfreien Zusatzverdienst mehr in der Tasche haben.
Kleiner Baustein statt großer Wurf
So schlimm muss es nicht kommen, wenn eine Politik bereit ist, den vermeintlich großen Wurf als das anzuerkennen, was er nur sein kann: nämlich einfach ein kleiner Baustein neben vielen anderen. Ein Stein, der manchem erst mal auf die Füße fallen und am Ende womöglich etwas unschön aus der Mauer ragen wird. Der aber trotz allem hilft, das Haus zu tragen.
Ein weiterer Stein – oder vielmehr ein Steinchen – kann die Aktienrente sein, wenn man sich etwa Schweden zum Vorbild nimmt. Dessen in wirtschaftsliberalen Kreisen gerne zum ultimativen Zukunftsmodell hochgejubelter Staatsfond AP7 steuert zwar gerade mal 5,5 Prozent bei, also überschaubare 70 Euro der Durchschnittsrente. „Ein netter Bonus, mehr nicht“, sagt die Ökonomin Lisa Laun. Aber klar, in einem Gesamtkonzept zählen auch Kleinigkeiten.

Höhere Beiträge? Das senkt die Konsumkraft, hemmt damit unsere Wirtschaft. Doch auch hier gilt: Ganz ohne wird es nicht gehen. Und solange es sich nur um einen von mehreren Faktoren handelt, wird der Preis verkraftbar sein.
Mehr Zuwanderung von Arbeitskräften: Auch dieser unverzichtbare Baustein dürfte nicht nur Beifall finden. Bessere Kinderbetreuung, damit sich für Mütter die Erwerbstätigkeit lohnt. Und natürlich: eine Anhebung des Renteneintrittsalters – in moderaten Schritten. Wenn alle anderen Maßnahmen greifen, braucht es vielleicht nur ein paar Monate, ein Jährchen mehr.
Märchenhafte Versprechungen und Horrorzahlen aus dem ökonomischen Gruselkabinett lohnen keine politische Debatte. Worüber es wirklich zu diskutieren gilt: Wann fangen wir endlich an, das Haus zu bauen? Welchen Baustein setzen wir als Erstes? Wohin soll er kommen, wie groß soll er sein und was kommt danach? Wenn alle Beteiligten sich ihrer Verantwortung besinnen, ist das Thema in wenigen Jahren erledigt.