Ein belgisches Musikfestival wirft die Münchner Philharmoniker wegen ihres israelischen Dirigenten aus seinem Programm. Lahav Shani, so lautet die Begründung, habe sich nicht deutlich genug vom „Regime in Tel Aviv“ abgegrenzt. Nun sitzt Israels Regierung nicht in Tel Aviv, sondern in Jerusalem. Auch handelt es sich bei ihr – man mag sie kritisieren oder nicht – statt eines Regimes um eine demokratisch legitimierte Instanz. Die eigentlich spannende Frage dieses Eklats aber ist eine andere: Münchner Philharmoniker? War da nicht was?

Tatsächlich hat das Orchester sich selbst erst vor kurzem aus politischen Gründen von seinem Chefdirigenten getrennt. Der russische Maestro Waleri Gergijew mochte sich nicht dazu überwinden, den Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine zu verurteilen. Und weil auch andernorts Auftritte russischer Künstler vor dem Hintergrund dieses von Russlands Staatspräsident Putin angeordneten Angriffs kritisch beäugt wurden, spricht der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats nun von einer „gewissen Ironie“.

Doch nicht alles, was auf den ersten Blick ähnlich scheint, eignet sich zum Vergleich. Das fängt schon bei zwei Kriegen an, die sich in ihrem ganzen Wesen fundamental unterscheiden: hier der Überfall auf einen souveränen Staat, dort die Reaktion auf einen Terroranschlag mit Geiselnahme. Vor allem aber handelt es sich um zwei völlig verschiedene Ansätze von Kulturpolitik.

Der russische Dirigent Waleri Gergijew ist nicht Unterstützer Wladimir Putins. Er befürwortet auch die Annexion ukrainischen Staatsgebiets.
Der russische Dirigent Waleri Gergijew ist nicht Unterstützer Wladimir Putins. Er befürwortet auch die Annexion ukrainischen Staatsgebiets. | Bild: Marc Müller

Russlands Regime – hier passt der Begriff – hat über Jahrzehnte hinweg Kultur für politische Zwecke missbraucht. Mithilfe großzügiger Sponsorengelder gelang es dem Kreml, Einfluss auf Spielpläne und Programmgestaltung bedeutender Veranstaltungen wie etwa der Salzburger Festspiele zu nehmen. Künstler wie die Starsopranistin Anna Netrebko wurden für die Propaganda russischer Separatistenführer eingespannt. Und Gergijew? Machte aktiv Wahlwerbung für Putin und warb offen für die Annexion der Krim.

Übervorsichtigkeit hatte guten Grund

Es mag auch in der Reaktion auf Russlands Angriffskrieg diskussionswürdige Konzertabsagen gegeben haben. Die Kartause Ittingen im Thurgau lud Anastasia Kobekina aus (später aber wieder ein). Einer Propagandatätigkeit für den Kreml war sie unverdächtig, von dessen Politik hat sie sich inzwischen klar distanziert. Doch erstens waren solche Vorfälle Ausnahmen, zweitens gab es für die Übervorsichtigkeit manches Veranstalters ja auch einen guten Grund: nämlich die massive Instrumentalisierung russischer Künstler für politische Zwecke.

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Israelische Unternehmen aber, die sich mit staatlicher Unterstützung in europäische Festivals einkaufen? Generalstabsmäßig geplante Einflussnahme auf Konzertprogramme, Opernspielpläne, Ausstellungskonzepte? Künstler, die hier gezielt proisraelische Narrative verbreiten? Vor Jahren hat Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu einmal versucht, die Bundesregierung zu Mittelkürzungen für palästinafreundliche Institutionen zu bewegen: Er scheiterte krachend.

Um ihre Taten muss es gehen

Gergijew musste gehen, weil er für Putin Wahlwerbung betrieben und öffentlich dessen Landraub in der Ukraine gefeiert hatte. Von seinem Nachfolger Lahav Shani dagegen wissen wir nicht mal, welche Partei er wählt. Es geht uns auch nichts an. So bleibt nur ein einziger Grund für seine Ausladung: sein israelischer Pass. Seine jüdische Identität.

Nein, es gibt keine „gewisse Ironie“, wenn blanker Antisemitismus auf politische Umsicht folgt. Weder lassen sich die beiden Regierungen miteinander vergleichen noch die von ihnen geführten Kriege. Schon gar nicht aber die Rolle von Künstlern, die sich grundsätzlich nur an ihren Taten messen lassen sollten, nicht aber an ihrer Herkunft.