Herr Brüggemann, alle Welt diskutiert über Klassik-Stars wie Anna Netrebko und Waleri Gergijew. Sie haben zum Einfluss des Kreml auf unsere Kultur recherchiert. Dabei sind sie auf weit weniger klangvolle, aber umso bedeutsamere Namen gestoßen: Hans-Joachim Frey zum Beispiel oder auch Sergei Roldugin. Was sind das für Leute?
Klassikkonsumenten sehen ja meist nur die Oberfläche des Betriebs. Weniger bekannt ist der Markt hinter den Stars. Die Menschen, die diesen Markt steuern, sind sehr gut vernetzt und einflussreich.
Beginnen wir mit einem Fall im österreichischen Linz. Dort soll der Cellist Sergei Roldugin am Brucknerhaus noch bis zum Einmarsch von Putins Truppen in die Ukraine eine Konzertreihe geleitet haben. Der Mann war eine Schlüsselfigur im Skandal um die Panama-Papers und steht jetzt auf der Sanktionsliste der EU.
Die Geschichte um Roldugin reicht zurück ins Jahr 2009. Damals hatte der Kulturmanager und Gründer des Semperopernballs, Hans-Joachim Frey, die Idee, Russlands Staatspräsident Wladimir Putin den Sächsischen Dankesorden zu verleihen. Putin war ja zu Sowjetzeiten als KGB-Offizier in Dresden stationiert gewesen. Mit der Ordensverleihung wollte man ihn nun wie einen verlorenen Sohn wieder willkommen heißen.
Im Rahmen dieses Festakts trat Herr Roldugin auf. Was niemand ahnte: Hier spielte nicht nur ein von Putin zufällig geschätzter Cellist. Sondern der Taufpate seiner ersten Tochter, Schul- und Studienfreund.
Später stellte sich heraus, dass er sage und schreibe zwei Milliarden Dollar in Scheinfirmen verwahrte...
Wem würden Sie zwei Milliarden Dollar Schwarzgeld anvertrauen? Bestimmt nicht irgendeinem Geschäftspartner! Herr Roldugin wird also als engster Vertrauter Wladimir Putins dieses Geld bekommen haben, um es in verschiedenen Briefkastenfirmen in Panama anzulegen.
Was hat Herr Frey damit zu tun?
2013 wurde Frey Chef des Brucknerhauses in Linz. In dieser Funktion verpflichtete er Putins Freund für acht Konzerte: zum großen Teil schwach besucht, dafür aber gut bezahlt. Im Anschluss daran erhielt der Cellist sogar eine eigene Reihe mit dem Titel „Russische Dienstage“. Das Besondere daran: Selbst Hans-Joachim Frey hatte als Intendant des Brucknerhauses keinen Einfluss auf deren Inhalte! Über Programm und Solisten bestimmte allein Roldugin.
Frey gründete unterdessen ein „Kultur- und Wirtschaftsforum“...
Dieses Forum sollte offiziell dem Brucknerhaus helfen. Tatsächlich unternahm man mit Großindustriellen aus Linz Reisen nach Russland. Um Kultur ging es dabei nur noch scheinbar. In Wahrheit handelte es sich um Wirtschaftspolitik: Unternehmer, die ursprünglich glaubten, etwas Gutes fürs Brucknerhaus zu tun, fanden sich in irgendwelchen Moskauer Hotels wieder.
Wie kommen Sie darauf, dass Wirtschaftsinteressen im Vordergrund standen?
Nach Freys Abschied aus Linz wollte sein Nachfolger Dietmar Kerschbaum die „Russischen Dienstage“ wieder abschaffen. Welcher Intendant will sich schon aus Russland vorschreiben lassen, was in seinem Haus gespielt wird? Da kam plötzlich ein Anruf aus dem österreichischen Kanzleramt unter Sebastian Kurz.
Ich muss betonen, dass mir das zwei Quellen unabhängig voneinander bestätigt haben, weil es so unglaublich scheint: Das Kanzleramt sagte tatsächlich dem Intendanten, die Reihe „Russische Dienstage“ solle im Interesse der russisch-österreichen Beziehungen erhalten bleiben.
Hatte Kurz Angst vor Repressalien aus Moskau?
Hier kommen wir ins Feld der Spekulation. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass hinter dem ganzen Zinnober der klare Wunsch des Kreml steht, unter dem Deckmantel der Kultur deutsche und österreichische Wirtschaftsführer nach Russland zu locken. Das wird man auch dem Kanzleramt vermittelt haben. Roldugin ist als Musiker sehr mittelmäßig, aber einer der einflussreichsten Menschen Russlands.
Warum hat Kerschbaum diesen Vorfall nicht einfach öffentlich gemacht?
Sein Vorgesetzter ist der Bürgermeister von Linz. Hans-Joachim Frey hat sich von ihm noch an seinem letzten Linzer Arbeitstag zusichern lassen, dass Waleri Gergijew einen ungewöhnlich hoch dotierten Vertrag für die Einspielung aller Bruckner-Sinfonien erhält. Frey legte also seinem Nachfolger ein vertraglich fixiertes Ei ins Nest. Das dürfte einiges darüber aussagen, wie viel Handlungsspielraum Kerschbaum so bleibt.
Was sagen die Beteiligten heute eigentlich dazu?
Ich habe sowohl beim Linzer Bürgermeister als auch bei Dietmar Kerschbaum angefragt. Sie wollen aus vertragsrechtlichen Gründen nichts sagen.
Schauen wir nach Salzburg. Dort hat Festspielintendant Markus Hinterhäuser Münchens Oberbürgermeister für dessen Rauswurf des russischen Stardirigenten und Putin-Freundes Waleri Gergijew bei den Philharmonikern kritisiert. Wie bewerten Sie das?
In Salzburg gibt es seit 2013 die Gesellschaft der russischen Freunde der Salzburger Festspiele. Man muss sich das wie einen Verbund mit einigen Oligarchen vorstellen, gegründet auf Anregung des österreichischen Kanzlers. Diesmal war es allerdings nicht Sebastian Kurz, sondern sein Vorgänger, Wolfgang Schüssel.
Er ist so etwas wie der Gerhard Schröder der Alpenrepublik, saß noch bis vor kurzem im Aufsichtsrat der Ölfirma Lukoil. Die Gesellschaft also zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Festspiele projekt- oder sogar personengebunden fördert. Es heißt also: Wenn ihr, Salzburger Festspiele, den russischen Staatskünstler Teodor Currentzis „La Clemenza di tito“ dirigieren lasst, bekommt ihr eine Million Euro.
Die Mozart-Oper wurde 2017 aufgeführt. Lief das damals so?
So lief es. Leonid Michelson, angeblich reichster Mann Russlands, finanzierte 2019 fast im Alleingang Romeo Castelluccis „Salome“-Inszenierung. Im selben Jahr saß die damalige Festspiel-Präsidentin, Helga Rabl-Stadler, in der Firmenzentrale von Gazprom und unterschrieb einen sehr, sehr lukrativen Sponsoringvertrag. Dabei stellte man ihr wohl auch einen Besuch Wladimir Putins in Salzburg in Aussicht. Fotos von der Vertragsunterzeichnung finden sich heute nur noch auf der Internetseite von Gazprom.
Corona hat den Putin-Besuch verhindert.
Ja, aber nun verstehen Sie vielleicht, warum sich Herr Hinterhäuser mit Kritik an Waleri Gergijew schwer tut.
War der künstlerische Eingriff russischer Geldgeber allein auf Personen und Programmauswahl begrenzt? Oder hätte Regisseur Castellucci Proble mit einer Spitze gegen Putin in seiner „Salome“-Inszenierung Probleme bekommen?
Das ist vorstellbar, aber nicht zu beweisen. Beim Dresdner Opernball soll es vor ein paar Jahren bei der Preisverleihung an das Model Naomi Campbell einen interessanten Vorfall gegeben haben: Angeblich wurde aus der Laudatio im Vorfeld ein Satz mit Anspielungen auf das gute Leben homosexueller Menschen gestrichen, weil er den Oligarchen im Publikum nicht gefallen hätte.
Sie haben Teodor Currentzis erwähnt, den griechisch-russischen Chefdirigenten des SWR-Symphonieorchesters. Vor Jahren hatte er sich kritisch gegenüber der russischen Staatsführung geäußert, inzwischen hört man diesbezüglich nichts mehr. Woran liegt‘s?
Woran so etwas liegen könnte? Nicht ganz unwahrscheinlich, dass es ums Geld geht! Herr Currentzis hat seinen Hauptwohnsitz in Russland. Für mögliche Gründe googeln Sie einfach mal die Steuersätze für Prominente. Hinzu kommt: Die VTB-Bank unterstützt inzwischen das von Currentzis gegründete Ensemble „MusicAeterna“. Der Vorstandsvorsitzende dieser Bank wird per Dekret vom russischen Präsidenten ernannt.
Der Verein des Dresdner Semperopernballs hat den an Putin verliehenen Preis inzwischen aberkannt. Hans-Joachim Frey aber sitzt weiter fest im Sattel, gleichzeitig ist er Intendant in Sotschi...
Warum sich aus diesem Dresdner Kreis niemand von Frey distanziert, ist mir ein Rätsel. Um die Fortsetzung des Opernballs kann es dabei nicht gehen, den wird es so ohnehin nicht mehr geben können. Mir bleibt nur die Spekulation, dass der Grund wieder in Geld und persönlichen Interessen zu finden ist.
Überraschung...
Man kann es nicht deutlich genug sagen: Es geht hier nicht um irgendein Kulturfutzi-Dingsdabumsda. Wenn wir eine Sache gelernt haben sollten, dann die, dass man Wladimir Putin nicht unterschätzen darf. Es gibt bei ihm keine Zufälle. Die Kultur gehört zu seinem Plan.
Künstler sehen sich ja so: Anders als Geschäftsleute oder Politiker riechen sie den moralischen Abgrund schon Kilometer gegen den Wind, nichts liegt ihnen so fern wie Käuflichkeit, Duckmäusertum, Korruption. Wie kann es sein, dass bei alldem keine einzige Regisseurin, kein Schauspieler, keine Musikerin aufschreit?
Das ist die Schlüsselfrage. Seit 2013 frage ich regelmäßig den Intendanten der Münchner Philharmoniker, Paul Müller, warum sein staatlich subventioniertes Theater einen Menschen engagiert, der sich für homophobe Gesetze und die Annexion der Krim ausspricht. Die Antwort: Das sei Herrn Gergijew Privatmeinung, die man nicht zu kommentieren habe.
Das funktioniert heute nicht mehr!
Hoffentlich! Ich sage nicht, dass diese Leute alles schon vor sechs Jahren hätten durchschauen müssen. Aber spätestens jetzt, wo wir sehen, wie Menschen eines souveränen Staates in einem Angriffskrieg mit terroristischen Dimensionen einfach ermordet werden: Jetzt muss es vorbei sein! Wenn es selbst einem Fußballverein wie Schalke 04 gelingt, sich von Gazprom loszusagen, dann müssen wir es von Kulturschaffenden allemal erwarten.