Frau Paasikivi, am 16. Juli beginnen mit der Premiere von Georges Enescus Oper „Oedipe“ die 79. Bregenzer Festspiele. Wie geht es Ihnen so kurz davor?

Lilli Paasikivi: Nervös bin ich nicht, sondern voller Erwartung und Enthusiasmus. Seit Dezember 2022, als ich nominiert wurde, habe ich mit der Programmplanung begonnen. Aus Excel-Tabellen wird jetzt Kunst. Überall wird geprobt, überall blüht die Musik.

Welche eigenen Schwerpunkte möchten Sie in Ihrer ersten Spielzeit setzen?

Paasikivi: Mit der nordischen Perspektive kann ich etwas Neues mitbringen. Meine Heimat Finnland ist im Programm deutlich erkennbar. Es gibt finnische Dirigenten wie Hannu Lintu, der „Oedipe“ dirigieren wird, und Jukka-Pekka Saraste, der mit der „Kullervo-Symphonie“ von Jean Sibelius ein Werk vorstellt, das auf dem finnischen Nationalepos „Kalevala“ basiert. Wir werden auch am 11. August einen finnischen Tangoabend am See veranstalten. Ich möchte die Bregenzer Festspiele gerne zu einem Festival der Gesangskunst machen.

Sie haben im Vorwort zur Festivalbroschüre gesagt, dass Sie mit dem Programm Geschichten erzählen möchten. Ist Verständlichkeit Ihre wichtigste Maxime als Intendantin?

Paasikivi: Die Stoffe, die wir präsentieren, sollen das Publikum berühren und die Fantasie anregen. Storytelling ist ganz wichtig für mich – auch im Kleinen wie bei „Emily – no prisoner be“ mit Joyce DiDonato, Peter Maxwell Davies‘ „Songs for a mad king“ oder die im gleichen Konzert programmierte Uraufführung von „Farmer George“ über denselben König George III.

Die Bregenzer Festspiele sind seit vielen Jahrzehnten eine Erfolgsgeschichte. Sind Sie engagiert worden, um das Bewährte fortzusetzen oder um Veränderungen zu bewirken?

Paasikivi: Die Grundlagen und der Charakter der einzelnen Spielorte bleiben. Ich möchte nicht ändern, was gut funktioniert. Das Opernstudio, das Elisabeth Sobotka ins Leben gerufen hat, führen wir ebenfalls weiter. Im nächsten Jahr werde ich einige neue Projekte einführen. Ich möchte hier gerne auch spartenübergreifende Produktionen präsentieren, die man sonst nicht in Vorarlberg zu sehen bekommt.

In Finnland haben Sie zehn Jahre die Finnische Nationaloper in Helsinki geleitet und hier auch mit Virtual Reality gearbeitet. Wie sah das konkret aus? Gab es Inszenierungen, die nur mit VR-Brille erlebt werden konnten?

Paasikivi: Wir hatten ein mehrjähriges Entwicklungsprojekt „Opera beyond“ mit einer besonderen, externen Finanzierung – damit konnten wir experimentelle Produktionen machen. Für „Laila“ von Esa-Pekka Salonen haben wir den „Fedora Digital Prize“ gewonnen. Ich bin interessiert an allen neuen Technologien für die Bühne. Die VR-Brillen sind nicht die einzige Lösung. Immersiver Klang, Motion Capture, mit dem man menschliche Bewegungen mittels KI auf 3D-Modelle übertragen kann – da gibt es eine Fülle spannender Entwicklungen. Davon werden wir einiges in den Folgejahren zu sehen bekommen.

Die Intendantin sitzt schon mal Probe: Schon bald ist an der Seebühne wieder „Der Freischütz“ zu erleben.
Die Intendantin sitzt schon mal Probe: Schon bald ist an der Seebühne wieder „Der Freischütz“ zu erleben. | Bild: anja koehler

Sie haben eine große Karriere gemacht als Mezzosopranistin. Singen Sie noch?

Paasikivi: Nein. Ich hatte meine letzte große Opernpartie im Juni 2024 bei einer Uraufführung in Finnland. Ganz von der Bühne habe ich mich dann mit Gustav Mahlers 8. Symphonie unter Jukka-Pekka Saraste verabschiedet. Dann dachte ich: Halleluja, das ist das Ende. Nun kann ich mich zu hundert Prozent auf meinen neuen Job als Intendantin konzentrieren. Alles hat seine Zeit. Als Person bin ich aber immer noch eine Sängerin – egal, ob ich singe oder nicht. Deshalb finde ich es so schön, hier mit den jungen Sängerinnen und Sängern zu arbeiten wie bei „La Cenerentola“. Da kann ich meine große Erfahrung weitergeben, auch in Sachen Musikbusiness, Vermarktung, Verträge.

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Was hat Sie überhaupt daran gereizt, Kulturmanagerin zu werden?

Paasikivi: Ich war schon als Sängerin breit interessiert am großen Ganzen, an Organisationen und Leitungsmodellen. Dann habe ich in Finnland ein Sommerfestival gestartet. Dort habe ich gesungen, Programme geplant, produziert, Blumen für Künstler gekauft, Hemden gebügelt. Mein Mann kochte das Essen für alle. Das war eine gute Schule. Als ich gefragt wurde, ob ich die Leitung der Finnischen Nationaloper übernehmen möchte, habe ich die Chance ergriffen. Nach allen wunderschönen Rollen – Rosina, Octavian, Carmen, Amneris, Kundry, Fricka und so weiter – gefällt mir in der jetzigen Lebensphase die Rolle der Intendantin am besten.

Inwiefern profitieren Sie als Intendantin von Ihrem früheren Beruf? Haben Sie bessere Nerven als andere?

Paasikivi: Natürlich kenne ich die Bühnensituation – und kenne mich auch mit Künstlerseelen aus. Aber vieles, mit dem ich mich hier rund um die Oper auf der Seebühne beschäftigen muss, ist absolutes Neuland: Wasserqualität, Wettervorhersagen, Fische im Bodensee, Vögel. Ich habe jeden Abend Taucher im Wasser. Man muss als Intendantin wirklich Nerven wie Drahtseile haben – und Geduld. Nichts muss sofort gelöst werden.

Vom Land der Tausend Seen sind Sie nun an den Bodensee gekommen. Was gefällt Ihnen an der Gegend und an den Menschen?

Paasikivi: Ich liebe diese Gegend – sei es Vorarlberg, die Schweiz ist oder der Bregenzerwald, Lindau, Meersburg oder die Mainau. Ich schwimme im Bodensee, fahre täglich mit dem Fahrrad zur Arbeit und wandere auf dem Pfänder. Neben der großartigen Natur gibt es viel Kultur zu erleben in den Städten am Bodensee. Die Menschen hier sind ähnlich bodenständig wie in Finnland, aber noch ein bisschen lustiger als die Finnen. Ich fühle mich wirklich wohl hier.

Mitten in diese Aufbruchsstimmung kommt jetzt ein Dämpfer. Die Subventionen des Festivals werden ab dieses Jahr um 30 Prozent gekürzt. Sie haben 2025 und 2026 jeweils 2,1 Millionen Euro weniger zur Verfügung. Wie gehen Sie damit um?

Paasikivi: Das war für uns natürlich eine große Enttäuschung. Wir haben Rücklagen erwirtschaftet, die wir jetzt zum Teil aufbrauchen werden. Leider mussten wir auch die frisch vereinbarte, fünfjährige Zusammenarbeit mit dem Wiener Burgtheater für die nächsten zwei Jahre absagen. Die Entscheidung hat also direkte Folgen auf unser Programm. Dieses Jahr kann die geplante Uraufführung von „bumm tschak oder der letzte henker“ aber noch stattfinden.

Wo mussten Sie noch einsparen?

Paasikivi: Wir wollten das Soundsystem auf der Seebühne weiter verbessern, aber das haben wir jetzt verschoben. Ab nächstes Jahr müssen wir jede einzelne Produktion anschauen, weil wir lange im Voraus planen. Die Meldung kam so spät, dass unsere Reaktionsmöglichkeiten für 2025 begrenzt sind.

Was macht Ihnen am meisten Spaß am neuen Job?

Paasikivi: Die Vielseitigkeit der Aufgabe. Und der Kontakt mit den Künstlern und dem Publikum. Was wir machen, ist den Menschen wichtig. Ich kann in dem Bereich arbeiten, der meine große Leidenschaft ist. Deshalb fühlt sich die Arbeit nicht nach Arbeit an.

Und worauf könnten Sie verzichten?

Paasikivi: Wenn sich Umstände schnell verändern wie mit den kurzfristig beschlossenen Sparauflagen. Ich verstehe natürlich, dass die wirtschaftliche Situation in ganz Europa schwierig ist, aber für unsere Planung wäre es natürlich viel leichter gewesen, wenn wir früher informiert worden wären. Es ist nie so, dass alles ohne Probleme läuft. Überraschungen gehören dazu, auch kurzfristige Absagen. Eine Lösung haben mein Team und ich aber bisher immer gefunden.