Erst wenige Minuten sind vergangen, da gibt es schon zwei Leichen. Agathe wird zu Grabe getragen, und Max, dessen Kugel sie tödlich getroffen hat, zur Strafe am Baum aufgeknüpft und im Wasser versenkt. Aus dem Gewand des Pfarrers schält sich Samiel, der Teufel, heraus und beginnt in geschliffenen Versen zu erzählen. Und schon sind wir drin in der Geschichte von Carl Maria von Webers Oper „Der Freischütz“, die auf der Seebühne der Bregenzer Festspiele Premiere hatte.

Es ist die Geschichte vom Amtsschreiber Max, einem miserablen Schützen, der sich aus Liebe zu Agathe und weil er die Tochter des Försters nur heiraten darf, wenn sein Probeschuss das vorgesehene Ziel trifft, auf einen Pakt mit dem Teufel einlässt. Der gewährt ihm Freikugeln.

Max (Mauro Peter, Mitte) hat einen Adler geschossen. Agathe (Nikola Hillebrand, links) und Ännchen (Katharina Ruckgaber) ist das nicht ...
Max (Mauro Peter, Mitte) hat einen Adler geschossen. Agathe (Nikola Hillebrand, links) und Ännchen (Katharina Ruckgaber) ist das nicht geheuer. | Bild: Anja Köhler

Was Max nicht weiß: Sechs der Kugeln treffen zwar, wie er möchte, die siebte aber lenkt der Teufel. Wohin er sie schließlich gelenkt hat, das erfahren wir also gleich am Anfang im Prolog, den Regisseur Philipp Stölzl und sein Librettist Jan Dvorak eigens für Bregenz hinzuerfunden haben.

Spannung ab der ersten Minute

Ein Spoiler gleich zu Beginn? Keineswegs. Im Gegenteil, Spannung ab der ersten Minute lautet das offensichtliche Credo des Regisseurs, der nach Verdis „Rigoletto“ zum zweiten Mal auf dem Bodensee inszeniert. Bot der Clownskopf des „Rigoletto“ schon ein effektsicheres Schauspiel der Sonderklasse, so mag er im Rückblick doch nur wie eine Art Generalprobe für den „Freischütz“ wirken.

Stölzl zieht nun wirklich sämtliche Register, die ihm zur Verfügung stehen. Es dampft und brodelt, schauriges Vogelgeschrei umschwirrt die Bühne mit ihren windschiefen Häusern, aus dem See steigt ein schimmelreiterartiges Pferdeskelett auf, eine raffinierte Lichtregie sorgt für unheimliche Stimmung. Die Geschichte, die ja primär ein Gruselmärchen ist, und die Seebühne multiplizieren sich hier zu dem Maximum an Schauwerten, das gerade noch möglich ist, ohne das Spektakel ins rein Oberflächliche kippen zu lassen.

Samiel (Moritz von Treuenfels) erscheint auf einem feuerspeienden Drachen.
Samiel (Moritz von Treuenfels) erscheint auf einem feuerspeienden Drachen. | Bild: Anja Köhler

Wobei Stölzl hin und wieder auch übers Ziel hinausschießt. Das neue Wasserbecken vor der Tribüne, das unabhängig vom Pegelstand des Bodensees bespielbar ist, hat es dem Regisseur derart angetan, dass er gefühlt die halbe Zeit im statt auf dem Wasser spielen und die Figuren kaum noch an Land kommen lässt.

Fast schon zu niedlich hingegen ist der feuerspeiende Drachen, auf dem Samiel erscheint. Auch Max‘ Visionen in der Wolfsschlucht – die Mutter im Sarg und die zappelnde Agathe im Bett – schrammen knapp an der Lächerlichkeit vorbei.

Der Teufel spielt eine entscheidende Rolle

Die ist an anderen Stellen freilich ein gewolltes und hochwillkommenes Mittel. Und zwar dort, wo die altertümlichen Handlungselemente kaum einen anderen Zugang zulassen als eine ironische Distanz.

Jan Dvoraks neue Dialogfassung ist dafür und für das Gelingen der Produktion überhaupt entscheidend. Sie baut die Figur des Samiel im Sinne einer omnipräsenten mephistophelischen Kraft aus, die stets das Böse will und am Schluss sogar das Gute schafft.

Genial: Moritz von Treuenfels

In Reimen voll herrlicher Ironie übernimmt Samiel nun die Rolle des Erzählers einer Handlung, deren Fäden er freilich selbst in der Hand hält. Er schafft dabei die nötige Distanz und erfüllt zugleich dramaturgische Aufgaben, indem er Übergänge moderiert und die Handlung erklärt. Wie Schauspieler Moritz von Treuenfels diese Figur ausfüllt und zu einem aalglatten Zyniker macht, ist schlichtweg genial.

Zum andern haucht die neue Textfassung den im Original ziemlich holzschnittartigen Figuren neues Leben ein. Agathe und Ännchen werden so zu modernen, aber ungleichen Freundinnen. Während Erstere ganz traditionell von einer Hochzeit mit Max träumt, kann Ännchen nicht verstehen, was Agathe überhaupt an diesem Schreiberling findet.

Viva Foster als Agathe-Double erscheint Max in einer unheimlichen Vision.
Viva Foster als Agathe-Double erscheint Max in einer unheimlichen Vision. | Bild: Anja Köhler

Die Ablehnung erklärt sich allerdings auch aus ihrer Eifersucht: In Gedanken an Agathe kann das unkonventionelle Ännchen plötzlich ähnlich kitschigen Träumen nachhängen wie die traditionelle Agathe – was die Regie augenzwinkernd in ein Wasserballett mit blinkenden Haarkränzen fasst. Entsprechend singt Ännchen (Katharina Ruckgaber) in ihrer Ariette statt vom „schlanken Bursch“ eben von der „schlanken Maid“. Die neue Textfassung betrifft also nicht nur die gesprochenen Dialoge, sondern teilweise auch die gesungenen Partien.

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Gerät die Musik bei all dem Spektakel nicht irgendwann ins Hintertreffen? Die Antwortet ist ein klares Nein. Schließlich war der „Freischütz“ von Anfang an auf Effekt ausgelegt. Stölzls übersetzt ihn einfach nur für ein heutiges Publikum. Musik und Szene verstärken sich dabei gegenseitig. Die zusätzliche Bühnenmusik mit Cembalo, Kontrabass und Akkordeon wäre da eigentlich nicht nötig gewesen, zumal sie ziemlich blass bleibt.

Enrique Mazzola führt die Wiener Symphoniker mit der gebotenen Transparenz durch die Partitur. Das Gesangs-Ensemble überzeugt durchweg mit schönen, leichten Stimmen und solider Schauspielkunst – allen voran Nikola Hillebrand als Agathe, gefolgt von Katharina Ruckgaber als Ännchen, Mauro Peter als Max und Christoph Fischesser als Kaspar. Alles in allem: eine spektakuläre Produktion, die bald zum Publikumsliebling avancieren dürfte.