Alphonso Williams und Céline Bethmann hatten noch nicht annähernd genügend Zeit, ihre Namen im kollektiven Gedächtnis des deutschen Fernsehpublikums zu verankern, da werden schon ihre Nachfolger gesucht. Während die diesjährigen Sieger der beiden erfolgreichsten Castingshows des Landes – „Deutschland sucht den Superstar“ (RTL) und „Germany’s Next Topmodel“ (ProSieben) – dabei sind, in Vergessenheit zu geraten, stecken die Ober-Juroren Dieter Bohlen und Heidi Klum schon in den nächsten Castings.

Man darf davon ausgehen, dass auch dieses Mal Tausende Gesangstalente und junge Mädchen mit Model-Ambitionen den Casting-Aufrufen folgen werden. RTL betreibt besonders viel Aufwand und hat die potenziellen Stars in fast 60 Städten gesichtet (darunter Friedrichshafen), das seien „so viele wie nie zuvor“, wirbt der Sender, der 2002 mit der Show bzw. den Castings startete. Die Staffel, die im kommenden Jahr laufen wird, ist die 15.

„Germanys Next Topmodel“ (GNTM) läuft seit 2006 Jahr für Jahr auf ProSieben. Vorbild der Model-Castingshow mit Heidi Klum ist die ...
„Germanys Next Topmodel“ (GNTM) läuft seit 2006 Jahr für Jahr auf ProSieben. Vorbild der Model-Castingshow mit Heidi Klum ist die Sendung „America’s Next Topmodel“, die in den USA seit 2003 ausgestrahlt wird. Die Sendung ist vor allem bei jungen Mädchen beliebt, wurde aber auch immer wieder kritisiert, Magerwahn-Vorwürfe wurden laut. Die erste Siegerin war im Jahr 2006 Lena Gercke. | Bild: dpa

Fest steht: Auch aus dem Südwesten werden sich in diesem Jahr wieder Sänger und Sängerinnen vor die Kamera stellen, die darauf hoffen, in der Musikbranche Fuß zu fassen. Eines der letzten offenen Vorsingen findet am Donnerstag in Köln statt. Im vergangenen Jahr schafften es bei den Castings Ersan Kurtisov aus Radolfzell und die aus Waldshut stammende Monique Simon in den Recall, Letztere kam bis in die dritte Motto-Show. Bei „Deutschland sucht den Superstar“ (kurz: DSDS) und anderen Castingshows geht es längst nicht mehr darum, tatsächlich einen Sieger zu finden – auch wenn dieser Spannungsbogen bis zuletzt aufrechterhalten wird. Vielmehr ist der Weg das Ziel, weil mit – im Vergleich zu eigenproduzierten Filmen oder Serien – wenig Aufwand über Wochen Sendezeit gefüllt und Werbezeit verkauft werden kann.

Die Quoten sind halbwegs solide, auch wenn die Resonanz des Publikums nachgelassen hat – das Format ist in die Jahre gekommen, und die Übersättigung kostet ihren Preis. 3,47 Millionen Zuschauer sahen das DSDS-Finale in diesem Jahr. 2011 waren es noch 6,3 Millionen, aber schon im Jahr darauf sackte die Einschaltquote auf 4,71 Millionen ab.

„Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS) mit Kult-Juror Dieter Bohlen gilt als die Mutter der Gesangs-Castingshows im deutschen ...
„Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS) mit Kult-Juror Dieter Bohlen gilt als die Mutter der Gesangs-Castingshows im deutschen Fernsehen. Im Herbst 2002 strahlte RTL die erste Folge des Wettbewerbs aus, Alexander Klaws ging 2003 als Sieger aus dieser ersten Staffel hervor. Seitdem waren 14 Staffeln der Show zu sehen, deren Vorbild die britische Sendung „Pop Idol“ ist. | Bild: dpa

Der Begriff Casting kommt ursprünglich aus der Filmbranche. Dort werden bis heute quasi Talentschauen veranstaltet, um eine Jury die Besetzung (den cast) für die jeweiligen Produktionen finden zu lassen. Michael „Bully“ Herbig, Schauspieler, Komiker und Regisseur, hat das Ganze auf die Spitze getrieben und die Auswahl der Darsteller für seinen Film „Wickie und die starken Männer“ ins Fernsehen gebracht – „Bully sucht die starken Männer“ lief 2008 auf ProSieben. 10 000 Bewerber konkurrierten um die Rollen.
 

Musik-Profis sehen Casting-Formate skeptisch


Nach wie vor dominieren im deutschen TV musikalische Castingshows. Musik-Profis sehen das skeptisch. Laut Udo Dahmen, künstlerischer Direktor der Popakademie Mannheim, wird die Musik in solchen Shows nämlich „zur besten Nebensache“. Letztlich seien die Sendungen nichts anderes als Unterhaltungsformate, „in denen die Musik zwar eine große Rolle spielt, aber in denen die Musiker letztendlich wie Schauspieler behandelt werden“, kritisiert er. Zudem zeige die Erfahrung, „dass die Halbwertzeit der Stars sehr kurz ist und eigentlich nur so lange gilt, bis die nächste Staffel beginnt“.

Diese Erfahrung hat auch der Pfullendorfer Daniel Schuhmacher gemacht, der 2009 als Sieger aus „Deutschland sucht den Superstar“ hervorging. Bereut hat er es nie, dass er sich für die Castingshow beworben hat, um als Musiker Karriere zu machen. Schuhmacher sagt jedoch auch: „Natürlich hinterfragt man seine Entscheidungen und überlegt: Was wäre gewesen, wenn ich nicht teilgenommen hätte? Vielleicht gäbe es Steine, die mir nicht in den Weg gelegt worden wären?“ Im Grunde wisse er aber, „dass die Show mir Türen geöffnet und mir die Chance gegeben hat, in der Musikbranche etwas zu machen“. Nichtsdestotrotz sei er hin und wieder genervt von Klischees und Vorurteilen, denen Castingshow-Sieger begegnen.

„Das Supertalent“ können nicht nur Sänger, sondern auch Tänzer oder Zauberer werden. Die seit 2007 von RTL ausgestrahlte Sendung lebt ...
„Das Supertalent“ können nicht nur Sänger, sondern auch Tänzer oder Zauberer werden. Die seit 2007 von RTL ausgestrahlte Sendung lebt neben den mal mehr und mal weniger talentierten Kandidaten vor allem von den Sprüchen des Jurors Dieter Bohlen. Dem Sieger der Sendung winken 100 000 Euro. Entwickelt wurde das Format vom Briten Simon Cowell. | Bild: dpa

Nur wer einen langen Atem hat, kann sich davon befreien. So wie Alexander Klaws, der 2003 die erste Staffel der RTL-Talentshow gewann. Natürlich wird der 34-Jährige den Titel nie loswerden – muss er aber auch nicht, schließlich hat ihm der Sieg viele Türen geöffnet. Klaws hat sich als Musical-Darsteller einen Namen gemacht, bei den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg war er diesen Sommer als Old Surehand zu sehen. Ein verkorkstes Leben sieht anders aus. Nicht mal Pietro Lombardi (25) kann sich beschweren – als er 2011 DSDS gewann, muss ihm klar gewesen sein, wohin der Weg führt, wenn er nicht aufpasst: in die Klatschspalten und ins Reality-TV. Und jemand wie Max Giesinger ist im Nachhinein vielleicht froh, dass er 2012 die erste Staffel von „The Voice of Germany“ nicht als Gewinner, sondern als Viertplatzierter verließ: Der Sieg hätte dem heute 29-Jährigen zwar schnell einen großen Karriereschub gegeben. Doch ob der Erfolg nachhaltig gewesen wäre?

Das Logo der Castingshow "The Voice Of Germany" (Sat.1 und ProSieben) auf der Bühne beim Finale 2016.
Das Logo der Castingshow "The Voice Of Germany" (Sat.1 und ProSieben) auf der Bühne beim Finale 2016. | Bild: Jens Kalaene / dpa

Die Frage stellt sich jedem, der per TV-Wettbewerb bekannt wird. So wie Daniel Schuhmacher. Ohne DSDS hätte er „den sicheren Weg gewählt“, sagt er. Abitur und Studium, Musik als zweites Standbein. „Aber es kam halt anders.“ Gerechnet hat er nicht mit dem Sieg, so der 30-Jährige. „Es ging damals alles wahnsinnig schnell, ich hatte gar keine Zeit, das zu verarbeiten. Und plötzlich hatte ich gewonnen und dachte nur: Wow.“ Immerhin: Es war die sechste Staffel, Schuhmacher war klar: „Ich wusste, dass ich jetzt die Chance haben würde, Musik zu machen – aber auch, dass das kein Selbstläufer ist.“
 

Daniel Schuhmacher: Die Musikbranche ist ein Haifischbecken


So, wie es heute ist, ist es nicht immer leicht. Das verschweigt der 30-Jährige nicht: „Nach acht Jahren in der Musikbranche weiß ich, dass das ein Haifischbecken ist und dass es keine Garantien gibt.“ Das gilt mit jedem Jahr ein bisschen mehr. Wer heute gewinnt, ist morgen schon vergessen. Da braucht es schon Typen wie Menderes, die Staffel für Staffel zwar erfolglos singen, das Publikum aber immerhin so sehr begeistern, dass es für eine Einladung ins Dschungelcamp reicht. „Ich hatte nach dem Sieg ein halbes Jahr, in dem RTL berichtet hat – dann kam die nächste Staffel und es wurde weniger“, erinnert sich Schuhmacher. Er weiß: Andere TV-Sender haben eher wenig Interesse. Das habe es ihm schwer gemacht, im Gespräch zu bleiben und Fuß zu fassen in der Branche. „Ich war nie in irgendwelchen Trash-Formaten und habe keine Skandale produziert, weil ich immer gesagt habe: Ich will es mit der Musik schaffen.“ Aufzuhören, das war nie wirklich eine Option für ihn. Der Grund dafür: „Ich glaube, die Lust auf Musik habe ich nie verloren.“

Heute lebe er hauptsächlich von der Musik, erzählt er im Interview und gibt zu, dass es Phasen gab, „da lief es nicht so gut“. Schuhmacher, der gelernte Industriekaufmann, musste sehen, wie er zurechtkommt. Heute wirkt er zufrieden. „Man kann auch abseits von den Medien von der Musik leben, wenn man Auftritte hat, dranbleibt und sich bemüht.“ Er zeigt auf der Internet-Plattform Instagram Bilder von seinen Auftritten, im Sommer zum Beispiel vom Christopher Street Day in München. Mit seinem Produzenten Marcus Loeber hat er zudem das Projekt DSFZKE.

„Got To Dance“ lief in Deutschland erstmals 2013 auf ProSieben und zwei Jahre später zum bislang letzten Mal. Während anfangs mehr als ...
„Got To Dance“ lief in Deutschland erstmals 2013 auf ProSieben und zwei Jahre später zum bislang letzten Mal. Während anfangs mehr als zwei Millionen Menschen zusahen, waren es am Ende nur noch knapp über eine Million. 2015 zeigte Sat.1 einen Ableger der Show für Kinder. Vorbild für das Format war eine britische Sendung. | Bild: dpa

DSDS sei hin und wieder ein Türöffner. Aber: „Es ist wirklich schwer, den Leuten beizubringen, dass ich wirklich was kann, dass ich seit Jahren Songs schreibe und in meinen Texten auch was zu sagen habe.“ Dennoch schaut sich Schuhmacher keine Castingshows mehr an. „Ich kann einfach nicht unvoreingenommen schauen, weil ich sehe, was hinter solchen Shows steckt.“ Es gehe bei DSDS nicht mehr wirklich um die Musik – deshalb könne er sich damit nicht identifizieren. Er schließt zwar nicht aus, es noch einmal bei einer Castingshow zu versuchen – wenn es um die Musik geht. „Vielleicht gehe ich ja irgendwann mal ins Ausland und sage: Hey, ich bin Daniel aus Deutschland, hier bin ich! Warum nicht?“
 

Warum er nach wie vor in Pfullendorf lebt und wie er als Musiker zurechtkommt – das Interview mit Daniel Schuhmacher lesen Sie hier!