Sommer 2016: An einer Bushaltestelle im bayerischen Schweinfurt sticht ein Mann von hinten auf seine Frau ein. 18 Mal. Am Ende liegt sie in einer Blutlache. Autos fahren vorbei, hupen. Eine Notoperation rettet sie in letzter Minute. Rechtsanwalt Jürgen Scholl sagt: „Er hat sich nicht davon stören lassen, dass es am helllichten Tag war, dass es an einer viel befahrenen Straße war. Er hat in aller Seelenruhe auf seine Frau eingestochen – bis er meinte, dass sie tot ist.“
Scholl hat die Frau als Nebenklägerin vor Gericht vertreten. Ihr Mann wurde zu zwölf Jahren Haft wegen versuchten Mordes verurteilt. „Diese Frau hat die Hölle auf Erden erlebt“, sagt Scholl. „Demütigungen, Schläge, Fesselungen. Es hat ihn an seiner Ehre gekratzt, dass sie sich von ihm getrennt hat“, sagt der Anwalt. Das Gericht entschied sich gegen Sicherungsverwahrung. „Meine Mandantin ist überzeugt davon, dass er sie umbringen wird, wenn er jemals rauskommt.“
Deutlich mehr registrierte häusliche Gewalt als noch vor Jahren
Ein Mann tötet seine Partnerin – in manchen Ländern hat man einen eigenen Namen für dieses Phänomen. Femizid nennt es die Fachsprache oder, allgemeiner, Beziehungstat, Partnerschaftsgewalt, häusliche Gewalt. Statistisch gesehen wird fast jeden Tag eine Frau in Deutschland von ihrem Partner oder ihrem Ex umgebracht. Für das Jahr 2015 listet das Bundeskriminalamt, kurz BKA, 331 solcher Fälle auf. Mehr als 77 000 Frauen wurden Opfer von Körperverletzungen, und mehr als 16 000 von ihrem Mann oder ihrem Ex bedroht. Insgesamt erlebten 104 000 Frauen Gewalt in der Beziehung. Deutlich mehr als noch vor Jahren.
In den Polizeipräsidien Freiburg und Konstanz wurden nach Zahlen des Landeskriminalamtes im Jahr 2016 drei Morde gezählt, bei denen ein Mann seine Partnerin oder seine Exfrau umbrachte, zwei davon im Bereich Konstanz, einer im Raum Freiburg. 457 Opfer erstatteten im Bereich Konstanz Anzeige wegen häuslicher Gewalt, im Bereich Freiburg waren es 1049 Opfer. Rainer Gabele vom Polizeipräsidium Konstanz, Bereich Opferschutz, spricht von einem „Kreislauf der Gewalt“.

Oft bekommt niemand etwas von den Schlägen mit. Ein andermal dagegen macht die Gewalt Schlagzeilen. Im Freiburger Stadtteil Ebnet erschlug ein Mann seine Freundin mit einem Hammer und tötete dann sich selbst. In Untereschach bei Ravensburg tötete ein Mann 2016 seine Frau sowie die beiden Stieftöchter. Ein Mann aus Villingen-Schwenningen tötete seine Frau 2016 in St. Georgen mit 35 Hammerschlägen. Er wurde zu lebenslanger Haft verurteilt.
Jens Luedtke, Professor für Soziologie und empirische Sozialforschung an der Universität Augsburg, sagt, dass es auch Frauen gibt, die in Beziehungen Gewalt ausüben. Meist aber seien es die Männer. „Einfach gesagt: Je härter die Verletzungsfolge wird, desto höher wird der Männerüberschuss.“ Es sei auch kein Problem bestimmter Bildungs- oder Gesellschaftsschichten. „Ein Kollege hat mal zynisch gesagt: Bei den sozial Schwachen sind nur die Wände dünner. Hinter dicken Villenmauern gibt es das Phänomen genauso.“
Warum aber schlägt ein Mann seine Frau? Meist handle es sich um eine Abwärtsspirale der Gewalt, die zum Strudel werde, sagt Luedtke. „Bis es zu heftiger körperlicher Gewalt kommt, gibt es in den meisten Fällen eine Vorgeschichte.“ Dass Frauen geschlagen werden, komme umso häufiger vor, je traditioneller die Familien organisiert sind und je konservativer die Geschlechterrollenvorstellungen sind. Türkinnen und Frauen aus patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen seien häufiger betroffen als deutschstämmige Frauen.
Manchmal fängt die Gewalt an, wenn man sie am wenigsten erwartet. „Oft sind es die Momente, die besonders sein sollten“, sagt Dagmar Bethke, Kriminalhauptkommissarin aus Kempten.Kira, die eigentlich anders heißt, war gerade zu ihrem Verlobten und seiner Familie gezogen, als ihr Leben aus den Fugen geriet. „Es war ein Samstag, ich bin ins Zimmer rein, und dann habe ich erstmal eine gedonnert bekommen.“ Der Grund: Ein Bekannter von ihr hatte eines ihrer Facebook-Fotos geliked. „Ich war schwanger, und für mich war das ein Schock, weil ich nicht wahrhaben wollte, was da los ist.“
Sie stürmte aus der Wohnung – und sah, wie ihr Verlobter auf dem Gehweg mit dem Auto hinter ihr herfuhr. „Ich bin zur Seite gesprungen.“ Ein Mann, den sie bat, die Polizei zu rufen, half ihr nicht. Ihr Mann entschuldigte sich; sie blieb. Es hatte ja alles so schön angefangen: 2013 lernte Kira ihn kennen, im gleichen Jahr, an Heiligabend, machte er ihr einen Heiratsantrag, nach dem ersten Urlaub war sie schwanger. Am Anfang sei alles in Ordnung gewesen. „Wir haben uns super verstanden und alles zusammen gemacht. Er war ein komplett anderer Mensch.“
Dann fingen erste Streitigkeiten an. Er wurde eifersüchtig, wenn sie nicht pünktlich nach Hause kam, weil sie eine S-Bahn verpasste. Als beide gemeinsam im Kino waren und sie dort zufällig einen ehemaligen Klassenkameraden traf, rastete er aus. Kurze Zeit später fingen die Schläge an. „Vier Wochen vor der Geburt unseres Sohnes hat er mich dann so zusammengeschlagen, dass ich nicht wusste, wo oben und unten ist.“ Sie kam ins Krankenhaus. Er begleitete sie, damit sie nicht verriet, was passiert war. Er drohte, sie umzubringen. Nach der Geburt verprügelte er sie sogar, wenn sie das Kind stillte. Einmal zog er sie in der Nacht an den Haaren aus dem Bett und schlug zu. „Drei Tage später bin ich gegangen.“
Im Schnitt brauchen Opfer sieben Jahre, bis sie ihren Peiniger verlassen, sagt Polizistin Dagmar Bethke. Karl-Heinz Schmid ist Opferschutzbeauftragter am Polizeipräsidium Freiburg. Die Scham, das Erlebte öffentlich zu machen, halte viele Frauen von Anzeigen ab. Durch geänderte Gesetze sei es aber nun leichter als früher, die Schläger aus der Wohnung zu verweisen. Sein klarer Rat lautet: Wenn ein Mann eine Frau schlägt, sollte sie sich trennen. Denn: „Der tut das immer wieder.“ Es bringe auch nichts, wenn eine Frau wegen der Kinder bei ihrem brutalen Ehemann bleibt: „Die Kinder leiden sehr, wenn der Vater die Mutter schlägt.“
Andreas Schmiedel, Sozialpädagoge im Münchner Informationszentrum für Männer (MIM), erklärt: „Bei denen staut sich etwas auf, und das kann sich in Gewalt entladen. Oder sie haben grundsätzlich ein Gefühl von Unterlegenheit.“ Das werde durch Gewalt „korrigiert“. Im günstigsten Fall bleibe häusliche Gewalt auf dem gleichen Niveau. „Aber in aller Regel eskaliert es.“ Viele Täter hätten schon in ihrer Kindheit und Jugend Gewalt als Standardmittel erfahren und als grundsätzliche Möglichkeit, Probleme zu lösen. Viele seien selbst Opfer gewesen. Das sei aber keine Entschuldigung. Jeder sei selbst verantwortlich für sein Verhalten.
Kira hat den Ausweg geschafft, ist geschieden und zieht ihren kleinen Sohn heute allein groß. Sie ist dabei, ihr Leben wieder auf die Reihe zu bekommen. Ihr Ex-Mann wurde für das, was er ihr angetan hat, verurteilt. „Man wünscht sich die ganze Zeit, dass alles wieder schön und gut wird“, sagt sie. „Aber nichts wird wieder schön und gut. Solche Menschen ändern sich nie.“
Hilfe bei häuslicher Gewalt
Für Opfer häuslicher Gewalt gibt es ein engmaschiges Netz von Hilfsangeboten.Der Polizeivollzugsdienst in Baden-Württemberg wurde im Jahr 2016 zu insgesamt 7829 Einsätzen wegen häuslicher Gewalt gerufen. Hierbei wurden knapp 3000 Wohnungsverweise ausgesprochen.
Polizei: Im Notfall sollten Opfer
oder Beobachter von häuslicher Gewalt die 110 wählen. Das empfiehlt die
Polizeiliche Kriminalprävention der
Länder und des Bundes. Die Polizei kann Täter aus der Wohnung verweisen, in
Gewahrsam nehmen oder Schutzmaß-nahmen für das Opfer anordnen.
Hilfetelefon bundesweit:
08000 116 016, rund um die Uhr. Die
Beraterinnen beherrschen 17 Sprachen.
Für Kinder: Die Nummer gegen
Kummer: 0800 111 03 33.
Rat und Hilfe im Land: Übersicht über Frauenhäuser und Hilfsangebote
Frauenhäuser in der Region:
Villingen-Schwenningen: 07721/54400; Singen: 07731/31244;
Radolfzell: 07732/57506; Konstanz: 07531/15728; Lörrach: 07621/49325;
Waldshut-Tiengen: 07751/3553;
Friedrichshafen: 07541/4893626.
Dateiname | : | Informationen zum Wohnungsverweis bei häuslicher Gewalt |
Datum | : | 31.08.2017 |
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Dateiname | : | Hilfe und Beratung bei Gewalt im häuslichen Bereich in Konstanz |
Datum | : | 31.08.2017 |
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