„Es nervt mich so“, sagt Seok Jaeyeon nach Feierabend zu ihrer Freundin, „dass mich mein Vorgesetzter ständig fragt, warum ich keinen Freund habe.“ Was ihn das angehe, klagt die 30-jährige Callcentermitarbeiterin. „Weil ich doch hübsch sei, müsste ich auch jemanden finden, meint er. Aber was denkt der sich?“ Gern würde sich Seok Jaeyeon offen beschweren, aber sie traut sich nicht. Ihre Freundin Jeong Sumi nickt. „Kenn ich. Letztens fragten sie mich bei der Arbeit: ‚Hast du deshalb keinen Freund, weil du Feministin bist?‘ Und ich hätte ihnen gerne gesagt: ‚Nein, sondern weil Männer wie ihr mich nicht interessieren.‘“
Witzelnde Männer, gereizte Frauen
In diesem lauten Restaurant im hippen Seouler Stadtteil Gangnam, in dem die beiden jungen Frauen ihre Alltagssorgen voreinander ausschütten, sitzt ein paar Tische weiter eine Gruppe witzelnder Männer. Als hätten sie den zwei Freundinnen zugehört, ruft einer in amüsiertem Ton: „Die ist doch nicht hübsch.“ Ein anderer entgegnet: „Ach, die geht doch!“ Und während die Männer weiter tuscheln, sagt Jeong Sumi gereizt: „In Korea wird es irgendwie noch immer okay gefunden, dass man Personen als Sexobjekte darstellt.“
In anderen Ländern geschehe das vielleicht auch. „Aber hier spricht man das einfach so ohne Scham aus. Und wenn man als junge Frau nicht drüber lacht, heißt es, man hat keinen Humor.“ Seok Jaeyeon verschränkt daraufhin die Arme vor sich: „Die Lust auf Männer ist mir vergangen.“
Im Netz ausgefochten, entstanden in den Strukturen des Alltags
Die Stimmung an diesem Abend ist nicht die beste. In dem ostasiatischen Land ist seit einiger Zeit von einem „gender war“ die Rede, einem Geschlechterkrieg. Der Begriff, der im Internet entstanden ist, beschreibt einen zusehends harscher werdenden Streit über Frauen- und Männerbilder. Während der Konflikt maßgeblich in den digitalen Sphären sozialer Medien ausgetragen wird, hat er seinen Ursprung in den sehr realen Strukturen des Alltags.
Kaum ein liberaler Industriestaat diskriminiert so stark zwischen Mann und Frau. Im Gender Gap Report des World Economic Forum, das die Gleichbehandlung der Geschlechter in den Bereichen Arbeitsmarkt, Politik, Bildung und Gesundheit misst, landet Südkorea auf Platz 108 von 152. Besonders schlecht schneidet Südkorea dabei auf dem Arbeitsmarkt ab. Und Anfang dieses Jahres machte das Land noch auf eine andere Weise Schlagzeilen: Mit einer Statistik von 0,92 Kindern pro Frau hat Südkorea die niedrigste Reproduktionsrate der Welt. Bis auf Weiteres wird die Bevölkerung des Landes damit ab 2027 schrumpfen.
Keine Zeit zum Heiraten
Und hört man die Klagen der beiden jungen Frauen, so hängt das eine mit dem anderen direkt zusammen. „Die meisten Männer hassen selbstbewusste Frauen“, sagt Jeong Sumi. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin bei einem Thinktank zählt auf: „Sie wollen nicht, dass du deine eigene Meinung hast, und auch lieber nicht, dass du gut ausgebildet bist. Du sollst nur ihre Hausfrau sein. Aber so ein Leben will heute keine moderne Frau.“ – „Deswegen beschimpfen sie uns ja auch als Feministinnen“, sagt Seok Jaeyeon.
„Und wir beschimpfen sie als hangukman“, lacht Jeong Sumi nicht ohne Häme. Hangukman übersetzt sich einfach mit „koreanischer Mann“. Das sei nämlich fast gleichbedeutend mit reaktionären Einstellungen gegenüber Frauen. Nach etwas Schweigen sagt Jeong Sumi: „Wenn die Männer von heute keine Frauen von heute wollen, dann kriegen sie halt keine. Ich konzentriere mich lieber auf meinen Job.“ Damit liegt sie im Trend. Laut einer Umfrage einer Jobvermittlungsseite unter gut 1000 Personen haben fast sieben von zehn Südkoreanern keine Zeit für Dates, Partnerschaft oder Heirat, weil sie sich lieber auf den Job konzentrieren. Der lässt vielen Südkoreanern sowieso kaum eine Wahl. In fast keinem anderen Industriestaat verbringt man mehr Lebenszeit am Arbeitsplatz. Pro Jahr sind es in Südkorea im Schnitt 630 Stunden mehr als in Deutschland.
Liebesbeziehungen nehmen ab
„Die Erwartung in Südkorea ist oft, dass Frauen nicht so viel verdienen müssen wie Männer, weil sie ja einen Mann heiraten können, der gut verdient“, sagt die Aktivistin Young Na. Sie ist Vorsitzende von Share, einer Nichtregierungsorganisation, die sich gegen Ungleichheiten einsetzt. „Aber auf dem schwierigen Arbeitsmarkt von heute sind auch die Männer mit guten Einkommen zur Mangelware geworden. Und viele Frauen wollen heute sowieso lieber unabhängig sein. Wofür sonst sind sie alle an die Uni gegangen?“ In ihrem Büro am nördlichen Rand von Seoul klappt sie einen Ordner mit Studien auf. „Das Problem ist ganz schön ernsthaft geworden“, sagt sie mit Blick auf die Zahlen vor sich. Unter jungen Erwachsenen, so zeigen Umfragen, führen nur noch vier von zehn irgendeine Art Liebesbeziehung.
Die passenden Männer fehlen
„Drei Viertel der Frauen zwischen 25 und 29 sind unverheiratet, und von denen zwischen 30 und 34 sind es immer noch 56 Prozent.“ Das Ausbleiben von Hochzeitsfeiern wäre nicht weiter schlimm, wenn dies nicht auf viel mehr deuten würde. „Unverheiratete Paare bekommen nur sehr selten Kinder. Außerdem wollen viele junge Menschen ja auch gar keine Partner mehr haben.“
Kinderkriegen ist eine teure Angelegenheit
Hoch qualifizierte Frauen sind besonders oft kinderlos. „Wie soll das auch anders sein?“, fragt sich Jeong Sumi am Abend im Restaurant. „Ich hab‘ einen Masterabschluss von einer Top-Universität und trotzdem keine Festanstellung.“ Das Kinderkriegen ist in Südkorea durch hohe Ausgaben für die Ausbildung im internationalen Vergleich besonders teuer. Und um daran erst interessiert zu sein, bräuchte Jeong Sumi einen Mann, der sie in ihrem Leben unterstützt. „Solche Männer gibt es hier fast nicht. Ich überlege, nach Europa zu ziehen und dort zu promovieren.“