Wenn selbst ein Pornofilmhändler von einem „Riesenskandal“ spricht, dann muss es sich in der Tat um mehr als bloß einen Missstand handeln. Es geht um Pornografie im Internet, aber nicht ihre pure Existenz, sondern ihre permanente Verfügbarkeit auch für Altersgruppen, die dafür entschieden zu jung sind: Bei entsprechenden Internetangeboten aus dem Ausland genügt es, mit einem Mausklick zu versichern, dass der Nutzer volljährig ist. So haben auch Kinder jederzeit Zugriff zu Darbietungen, die selbst auf manche Erwachsene eine verstörende Wirkung haben können.
Das Ausmaß der Misere lässt sich nur erahnen, denn über die Wirkung des allzu frühen Pornokonsums streiten sich die Gelehrten ebenso wie über die Wirkung von Gewaltdarstellungen. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung vertritt die Haltung, Jugendliche seien in der Lage, zwischen Darstellungen und der Wirklichkeit zu differenzieren. Es gibt aber auch Studien, die erschreckend klingen: Regelmäßiger Pornokonsum erhöhe die Neigung zur Anwendung sexueller Gewalt. In der Dokumentation „Milliardengeschäft Porno – Internet-Sex ohne Jugendschutz“ berichtet eine Pornodarstellerin von inszenierten Vergewaltigungen. Laut Autor Christian Stracke zeigten die erfolgreichsten Pornofilme männliche Dominanz, Demütigung und Gewalt gegen Frauen; das dürfte erklären, warum die Konsumenten dieser Ware zu achtzig Prozent Männer sind.
In den Bereichen Kino und Fernsehen funktioniert der Jugendmedienschutz ziemlich gut. Fürs Kino gelten strenge Altersfreigaben, und im Fernsehen dürfen Sendungen, die für Jugendliche unter zwölf Jahren nicht geeignet sind, erst nach 20 Uhr ausgestrahlt werden. Filme ab 16 Jahren dürfen erst nach 22 Uhr laufen. Seit Jahren beklagen Jugendschützer allerdings, dass sich ihr Metier zunehmend unglaubwürdig mache, weil im Internet zumindest aus Sicht der Nutzer anscheinend alles erlaubt sei. Dort können Kinder und Jugendliche auf Spielarten von Sexualität stoßen, die vom klassischen Blümchensex sehr weit entfernt sind.
Die Erziehungswissenschaftlerin Sabine Maschke hat bei einer Befragung von 3000 hessischen Schülern zwischen 14 und 16 Jahren herausgefunden, dass die sexuelle Gewalt unter Jugendlichen deutlich zugenommen habe. Laut ihrer Studie haben 35 Prozent der befragten Mädchen bereits Erfahrungen mit sexualisierter körperlicher Gewalt gemacht. Maschke sieht einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Pornokonsum männlicher Jugendlicher und der Ausübung von sexueller Gewalt.
Die große Frage ist, was sich dagegen unternehmen lässt, zumal sich die Hoffnungen des Gesetzgebers, die Pornoflut durch Filtersoftware einzudämmen, zerschlagen haben: Die für die inhaltliche Aufsicht über Privatfernsehen und Internet zuständige Kommission für Jugendmedienschutz hat das Jugendschutzprogramm JusProg für unwirksam erklärt. Dabei klingt diese Software wie die Lösung, denn sie lässt nur Angebote durch, die auch für Kinder freigegeben sind. Das Programm kennen aber nur wenige Eltern. Die Entscheidung der KJM steht im Widerspruch zur Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM), die JusProg anerkennt. Sollten sich die beiden Einrichtungen nicht einigen können, hätte der Jugendmedienschutz ein Problem.
Die Dokumentation „Milliardengeschäft Porno – Internet-Sex ohne Jugendschutz“ ist am Donnerstag, 23. Mai, ab 20.15 Uhr auf ZDFinfo zu sehen.
Zur Person
Joachim von Gottberg, 67, Germanist und Theologe, ist Honorarprofessor für Medienwissenschaften an der Filmuniversität Babelsberg und Vertretungsprofessor am Institut für Musik, Medien- und Sprechwissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Bis Ende 2018 war er 25 Jahre lang Geschäftsführer der 1993 gegründeten Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen in Berlin. (tg)
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„Sie wissen, dass Pornos wenig mit der Wirklichkeit zu tun haben“
Joachim von Gottberg, 67, ist Honorarprofessor für Medienwissenschaften an der Filmuniversität Babelsberg und Vertretungsprofessor am Institut für Musik, Medien- und Sprechwissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Bis Ende 2018 war er 25 Jahre lang Geschäftsführer der 1993 gegründeten Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen in Berlin.
Herr von Gottberg, ist es bedenklich, wenn Jugendliche Pornos anschauen?
Nein, die Suche nach stimulativen Reizen ist in diesem Alter ganz normal. Sexualwissenschaftler sehen zwar die Gefahr, dass Jugendliche ihre Vorstellung davon, wie Sex zu sein hat, aus der Pornografie ableiten könnten, aber das ist eher die Ausnahme. In den überwiegenden Fällen nutzen männliche Jugendliche Pornos zur sexuellen Stimulanz. Der Konsum endet, sobald sie eine Freundin haben.
Wie können Eltern feststellen, dass ihre Kinder Pornos anschauen?
Im Grunde nur durch Zufall. Und wenn doch, sollten sie Verständnis zeigen und keine große Sache draus machen. Ähnlich wie bei Kinofilmen wissen Jugendliche in der Regel, dass Pornos wenig mit der Wirklichkeit zu tun haben.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen häufigem Pornokonsum und der Ausübung von sexueller Gewalt?
Die These ist umstritten. Es gibt auch die gegenteilige Meinung, dass in Ländern ohne Pornografieverbot Vergewaltigungen seltener sind.
Dann hat der erhebliche Anstieg von Pornografie im Internet keine Folgen?
Ein derartiger Massenmarkt lebt natürlich davon, immer wieder neue und stärkere Reize schaffen zu müssen. Aber wenn man die Befürchtungen, die mit diesen Veränderungen einhergehen, hochrechnet, müsste die Jugend in sexueller Hinsicht geradezu anarchisch leben und Sexualität ausschließlich als Luststeigerung sehen. Tatsächlich belegen Untersuchungen seit Jahren das Gegenteil: Junge Menschen sind mit ihren Träumen von Eigenheim und Familie konservativer als viele andere Generationen seit den Siebzigerjahren.
Weil sie ihre Triebe und sexuellen Fantasien medial ausleben?
Gut möglich. Ein ähnliches Phänomen erleben wir bei der Gewalt. Auch hier haben die Darstellungen deutlich zugenommen, aber Killerspiele haben bisher keineswegs zu einem signifikanten Anstieg der entsprechenden Kriminalstatistiken geführt.
Was können Eltern tun, um ihre Kinder vor Pornografie und Gewalt aus dem Internet zu schützen?
Sie können auf den Computern, die auch für Kinder zugänglich sind, das Jugendschutzprogramm JusProg installieren. Diese Filtersoftware lässt nur solche Angebote durch, die auch für Kinder freigegeben oder in bestimmten Empfehlungslisten aufgeführt sind.
Müssen Eltern mit Kosten rechnen, wenn ihre Kinder heimlich Pornos anschauen?
Pornografie ist ein Geschäftsmodell. Lockangebote sind kostenlos, aber dann kommt sehr schnell die Aufforderung, eine Kreditkartennummer einzugeben und zu zahlen. Deutsche Unternehmen unterliegen einer strengen Regelung, damit gewährleistet ist, dass die Nutzer über 18 sind.
Fragen: Tilmann P. Gangloff