Ein schwarzer Mercedes mit deutschem Kennzeichen schiebt sich über die enge Grachtenbrücke. Ein Betrunkener klopft gegen die Autoscheibe. Es riecht nach Marihuana und Urin. Und wie so oft riecht es auch nach Ärger. Ein früher Samstagabend in den Wallen, wie die Amsterdamer ihr berühmtes Rotlichtviertel nennen. Nicht nur dieser Teil der niederländischen Hauptstadt ist längst in Touristenhand, Amsterdamer beklagen immer heftiger, dass ihre Stadt zu voll wird.
Die Zeichen des Aufstands sind noch unauffällig. Ein schlichtes DIN-A4-Schild im Fenster eines Antiquariats nahe des Nieuwmarkts: „Stoppt den Ausverkauf unserer Stadt.“ Oder das improvisierte Verbotsschild an der beschaulichen Bickersgracht, das sagt: Menschen mit Rollkoffern sind hier nicht erwünscht. In Buchhandlungen liegt seit einigen Wochen ein Buch, dessen Titel einen Nerv trifft: „Van wie is de stad?“ Wem gehört die Stadt? – Diese Frage stellt die Sozialgeografin Floor Milikowski. „Wenn immer mehr klassische Touristenläden öffnen, wenn die Mieten immer weiter steigen, dann wirkt sich das zweifelsohne auf die Lebensqualität aus“, findet die 37-Jährige. Denn auch weil Wohnungen an Touristen vermietet werden, fehlt es an bezahlbarem Wohnraum.

Hinzu kommt der ständige Druck auf die mit rund 850 000 Einwohnern verhältnismäßig kleine Metropole, zuletzt zählte Amsterdam jährlich mehr als 18 Millionen Besucher. Gründe für den Boom im Städtetourismus liegen auf der Hand: Da sind die Billigflüge, da ist der wachsende Wohlstand. Immer mehr Menschen können sich das Reisen leisten, etwa aus den wirtschaftlich aufstrebenden BRIC-Staaten: Brasilien, Russland, Indien und China. Hinzu kommt die Angst vor Terroranschlägen, die den Tourismus auf Länder konzentriert, die sicher erscheinen – zumindest sicherer als andere. Gerade die besonders beliebten Plätze Amsterdams – etwa die Gegend um den Bahnhof und den zentralen Platz Dam – leiden unter den Menschenmassen. Auch der Museumsplatz: Dort, auf den Buchstaben des „I amsterdam“-Schriftzugs vor dem Rijksmuseum, posieren Touristen vor Smartphones. Es ist ein Schieben, gar Rempeln ums beste Instagram-Motiv. Marion, 84, aus Niedersachsen, die ihren Nachnamen nicht verraten will, lässt sich von den Menschenmassen nicht stressen. „An der Binnenalster in Hamburg ist es doch genauso voll“, findet die Seniorin. „Damit müssen die Amsterdamer schon klarkommen.“ Sie könne die Stadt nur weiterempfehlen. „Wir übernachten aber auch außerhalb“, ruft eine der Frauen noch.
Gesetze gegen zu viele Touristen
Amsterdams Stadtregierung geht inzwischen mit drastischen Maßnahmen gegen das Zuviel an Tourismus vor: Nutzer der Vermietungsplattform Airbnb dürfen ihre Wohnung nur noch maximal 60, ab 2019 nur noch 30 Tage im Jahr anbieten. Die Verwaltung hat den Neubau von Hotels eingeschränkt und es dürfen keine neuen Geschäfte in der Innenstadt öffnen, die sich speziell an Touristen richten: keine Souvenirshops etwa, keine typischen Käseläden. Eine Entscheidung, die viele Amsterdamer zwar begrüßen, die aber auch heikel ist, weil sie die Freiheit von Geschäftsleuten beschneidet.

Die offene Kritik am touristischen (Über-)Erfolg ist auch deshalb ein Drahtseilakt, weil er viel Geld in die Stadt bringt. Einfache Lösungen für das Dilemma hat auch Floor Milikowski nicht. Aber man könne Billigflüge begrenzen oder stärker zeigen, dass auch andere niederländische Ziele eine Reise wert sind. „Städte müssen sich fragen, welche Besucher sie anziehen wollen“, findet sie. Die Arbeit des Stadtmarketings jedenfalls hat sich längst verändert. Der Fokus liegt nicht mehr darauf, noch mehr Touristen in die Stadt zu holen, betont eine Sprecherin. Hauptziel sei es stattdessen, Image und Ruf zu schützen: „Eine Stadt voll mit enttäuschten Bewohnern ist kein attraktiver Ort für Besucher.“
Trotz des nervenaufreibenden Rummels geht Floor Milikowski – anders als viele andere Amsterdamer – mit ihrer Familie ins Zentrum. Ihre Kinder sollen lernen, dass sie auch ihnen gehört: die Innenstadt von Amsterdam.
"Eine gewisse Masse wirkt anziehend"
Torsten Kirstges, Tourismusforscher an der Jade-Hochschule Wilhelmshaven, erklärt, was die Ursachen von Übertourismus sind und warum er nur bedingt steuerbar ist.
Herr Kirstges, Massentourismus gibt es schon lange. Warum ist das Thema gerade jetzt so präsent?
Das Thema ist in der Tat keine neue Entwicklung. Einige Orte haben aber in den vergangenen Jahren besonders geboomt. Die Beeinträchtigungen für die Bevölkerung sind da: Menschenschlangen, Enge, Lärm, Müll, unangemessenes Verhalten, Preissteigerungen.
Hat das Problem mit Airbnb zu tun, der Vermittlung von Privatunterkünften?
Airbnb ist sicher nicht der Grund dafür, dass bestimmte Orte von Touristen überrannt werden. Man kann die Schuld nicht einer bestimmten Übernachtungsform zuschieben. Viele tragen ihren Teil dazu bei. Die lokale Wirtschaft will mit den Touristen Geld verdienen, und die wollen an einem interessanten Ort Urlaub machen.
Jeder weiß, dass im Sommer einige Städte rappelvoll sind, trotzdem fährt man hin. Ist der Urlauber selbst schuld?
Die wenigsten Touristen wollen in einer verlassenen Gegend herumlaufen. Eine gewisse angenehme Masse wirkt also durchaus anziehend. Nur gibt es eben eine kritische Schwelle. Die Besucherströme zu entzerren funktioniert aber nur eingeschränkt. Familien sind nun einmal an die Ferienmonate gebunden.
Fragen: Philipp Laage, dpa