Die meisten Menschen trifft es mit voller Wucht: Eine innige Beziehung zerbricht – und das Herz gleich mit. Der Begriff Liebeskummer? „Ist dafür viel zu harmlos“, sagt Günter H. Seidler, Facharzt für Psychotherapie. An der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg leitete er von 2002 bis zum Eintritt in den Ruhestand Mitte 2015 die Sektion Psychotraumatologie.
„Trennungen und unglückliche Lieben können nicht nur eine vorübergehende Traurigkeit auslösen, sondern tatsächlich krank machen“, so der Experte. Viele Erwachsene würden das jedoch nicht ernst nehmen. „Sie gehen davon aus, dass das bisschen Liebeskummer mit der Zeit von selbst verschwindet.“
Der Schmerz kann Jahre andauern
So ist es häufig auch – aber längst nicht immer. „Der Schmerz kann durchaus zwei Jahre andauern“, sagt Seidler. „Und manchmal auch ein ganzes Leben.“ Wie Menschen mit ihrem Kummer umgingen, sei dabei ganz verschieden: Viele stürzen sich dann direkt in die nächste Beziehung – schleppen die Last der alten aber noch mit. „Die neue Partnerschaft trägt dann noch die Hypothek von der früheren, was keine gute Grundlage ist.“
Die Symptome sind vielfältig
Auch Elena-Katharina Sohn, Autorin des Buches „Goodbye Herzschmerz“, rät dazu, Liebeskummer nicht unter den Teppich zu kehren. „Die Symptome gleichen einer Depression“, sagt sie. Betroffene kämpfen zum Beispiel mit Perspektivlosigkeit, Niedergeschlagenheit, Schlafmangel, Appetitlosigkeit oder Antriebslosigkeit. Sohn betreibt die Beratungsagentur Liebeskümmerer – genau für solche Fälle.
In ihrer Agentur sieht sie am häufigsten Menschen zwischen 30 und 40 Jahren, aber auch viele jenseits der 70. „Menschen im höheren Alter fragen sich oft, ob es das letzte Mal war, dass sie sich verliebt haben.“ Viele ihrer Klienten seien aus Vernunftehen ausgebrochen und hätten im späten Alter zum ersten Mal echtes Verliebtsein kennengelernt. „Wenn dieser neue Partner sich dann trennt, bricht eine Welt zusammen.“
Erdrückende Erwartungshaltung
Wichtig sei, den Blick auf sich selbst zu richten. „Vielen Menschen hilft es, über ihre Situation zu reden und sich vor Augen zu führen, was im eigenen Leben noch von Bedeutung ist“, sagt Sohn. Das könne ein erfüllter Beruf sein, ein Hobby oder der Kontakt zu guten Freunden. „Am schwierigsten ist es immer für diejenigen, die ihr gesamtes Lebensglück in der Partnerschaft gesehen haben. Das ist eine immense Erwartungshaltung, die den anderen häufig erdrückt.“
Doch was tun, wenn alles nichts hilft? „Manche Menschen werden immer wieder von regelrechten Erinnerungssturzbächen heimgesucht“, sagt Seidler. Auch Wutzustände seien nicht selten. „Wenn die Gedanken nach längerer Zeit immer noch nur um die verlorene Person kreisen, sollte etwas passieren.“ Eventuell muss in solchen Fällen Hilfe von außen her.
Das Broken-Heart-Syndrom
Doch nicht immer ist Liebeskummer der dunkle Begleiter, der sich langsam einen großen Platz im Leben erschleicht. Es gibt Menschen, die werden von jetzt auf gleich todkrank. Broken-Heart-Syndrom nennt man dieses Phänomen, Mediziner sprechen auch vom Tako-Tsubo-Syndrom, genauer Takotsubo-Kardiomyopathie. Betroffene erleiden ein akutes Herzversagen, ausgelöst durch starken emotionalen Stress.
„Viele kommen mit Brustschmerzen und Atemnot in die Klinik und alles spricht erstmal für einen Herzinfarkt“, erklärt Dr. Katrin Streckfuß-Bömeke, Professorin an der Universität Würzburg und Leiterin der AG Translationale Stammzellforschung, Klinik für Kardiologie und Pneumologie. Während ihrer Zeit an der Universitätsmedizin Göttingen erforschte sie die Krankheit und gewann viele neue Erkenntnisse über das Broken-Heart-Syndrom.
Klassischer Fall: Nach langen gemeinsamen Ehejahren verstirbt plötzlich der Ehemann. Kurz darauf kommt die Frau mit Herzschmerzen ins Krankenhaus – und verstirbt im schlimmsten Fall. „Das Broken-Heart-Syndrom kann in der akuten Phase in der Tat tödlich verlaufen“, sagt Streckfuß-Bömeke. Der Hintergrund: Starke emotionale oder körperliche Belastungen können das Herz tatsächlich „brechen“. Es kontrahieren dann nur noch bestimmte Areale des Herzmuskels, die anderen bleiben bewegungslos. „Wir haben herausgefunden, dass die Herzmuskelzellen von Betroffenen viel empfindlicher auf Adrenalin reagieren“, erklärt Streckfuß-Bömeke.
Viele Patienten entwickeln in dieser akuten Phase, die meistens ein bis drei Tage dauert, Begleiterkrankungen, bei denen ein Pumpversagen des Herzens auftritt. „Gehäuft tritt das Broken-Heart-Syndrom bei Frauen in der Menopause auf“, sagt Streckfuß-Bömeke. „Im Gegensatz zum Herzinfarkt erholen sich die Patienten sehr gut, wenn sie die gefährliche akute Phase überstanden haben“, sagt Streckfuß-Bömeke. „Nach zwei Monaten sind die meisten wieder komplett gesund.“
Wenn das Kind Liebeskummer hat
Irgendwann ist er da: der Tag, an dem das Kind das erste Mal unglücklich verliebt ist. Vielleicht hat der erste Schwarm Schluss gemacht, ist vielleicht sogar in jemanden anderen verliebt. Wie gehen Eltern damit um?
- Ernst nehmen: „Den Liebeskummer des Kindes sollten Eltern nicht bagatellisieren, sondern ernst nehmen“, rät Kira Liebmann, die als Pubertäts-Überlebenstrainerin Eltern coacht. „Andere Mütter haben auch schöne Töchter“, „Bis du verheiratet bist, ist das vorbei“: Das seien alles Sprüche, die man kennt, aber nicht helfen.
- Gefühle nicht absprechen: Den Kindern ihre Gefühle abzusprechen, sei keine gute Idee. „Wer ihnen einredet, dass alles falsch ist, was sie gerade fühlen, nimmt das Kind nicht ernst“, erklärt Liebmann.
- Mitleid kann schaden: Aber übertriebenes Mitleid sei auch kontraproduktiv. Denn wenn Eltern mit ihren Kindern mitleiden, verstärken sie die vorhandenen Gefühle noch. Aussagen wie „Oh, du Arme“ oder „Du tust mir so leid“ stechen in die Wunde, statt diese zu schließen.
- Eigene Erfahrungen teilen: Liebmann empfiehlt, sich mit einer Packung Eis und zwei Löffeln zum Kind ins Bett zu setzen, von seinen eigenen Erfahrungen zu erzählen, alte Geschichten über verflossene Lieben auszupacken und da zu sein, wenn das Kind reden möchte. Das Signal sollte sein: Ich kenne das und hatte das auch schon. Wenn du magst, erzähle ich dir, wie ich aus diesem Tief herausgekommen bin. Und dann heißt es abzuwarten, ob das Kind das hören möchte. (dpa)
(Dieser aktualisierte Artikel erschien erstmals im September 2019)