Obwohl in Deutschland sehr vieles summiert und dokumentiert wird, bleibt eine wichtige Zahl nahezu im Dunkeln: Wie viele Menschen sehen sich nicht als Mann oder nicht als Frau, obwohl sie die jeweiligen äußeren Merkmale an ihrem Körper tragen? Die Zahlen, die man dazu findet, schwanken zwischen 1000 und 100 000 für die Bundesrepublik. Sie sind immer mit der Einschränkung versehen: Es handelt sich um eine grobe Schätzung.
Auch für die Kirchen waren transsexuelle Menschen lange Zeit ein Thema, das keines war. Christen, die aus ihrem angeborenen Körper herauswollten, traten in der Seelsorge kaum in Erscheinung. Inzwischen wird deutlich, dass Pastor Sebastian Wolfrum etwas angeschoben hat. Seitdem er sich, damals noch Frau, vor der Gemeinde erklärte und sagte, sich als Mann zu fühlen, nehmen sich die Landeskirchen dieser Gruppe verstärkt an. Die Hessische Landeskirche erklärte dazu vor einigen Tagen: „Wir machen uns für Transsexuelle stark.“ Der Akzent wird auch theologisch begründet, wenn es später heißt: „Das gehört zu der Vielfalt, in der Gott uns geschaffen hat.“
Die moderne Theologie sei wesentlich weiter
Der Theologe Gerhard Schreiber hält es für einen großen Fehler, dass transsexuellen Menschen (ebenso wie Homosexuelle) über Jahrzehnte hinweg eine psychische Störung unterstellt wurde und sogar versucht wurde, sie heilen zu wollen. Die moderne Theologie sei wesentlich weiter, ergänzt Schreiber, sie sei auf Vielfalt hin (Diversität) orientiert. Unnormales gebe es nicht, da jede Form von Leben ein Teil der Schöpfung ist. „Jeder Mensch ist – unabhängig von seiner Kennzeichnung – ein Ebenbild Gottes“, sagt Schreiber.
Im Detail führt das freilich zu ganz neuen Fragen, die bisher niemand bedacht hat. Ein Beispiel beleuchtet dies: Im evangelischen Gottesdienst werden regelmäßig Psalmen gebetet, und zwar im Wechsel zwischen Männern und Frauen. Diese alte Praxis müsse man hinterfragen, schlägt der hessische Pfarrer Gernot Bach-Leucht an. Fallen die Psalmen dann zukünftig aus?
Auch manche Auslegung des Alten Testaments wird man zukünftig überprüfen. Sie scheinen im Licht der Diversität als nicht mehr korrekt. Da sind zum Beispiel Adam und Eva, die zu den bekanntesten Gestalten der Bibel gehören. Von ihnen heißt es: „Gott schuf sie als Mann und Frau.“ Demnach waren sie leicht und eindeutig zu unterscheiden, wie das auch Tausende Bilder nahelegen. Die Theologin Anne Kampf hält diese Übersetzung für falsch, sie schreibt: „Ein Blick ins Hebräische lohnt sich, da steht nämlich: „Gott schuf sie männlich und weiblich“. Zwischen beiden sind dann Übergänge und Schattierungen möglich. Zum Beispiel als transsexuelle Menschen.