Das Zimmer, das das Museum beherbergt, ist eine Werkstatt. Da hockt die wuchtige Maschine im Raum, die Gravuren mit einem Laser in Metall schnitzt. Drumherum baumeln – das zeigen Bilder – Poster und Sticker und Konzertkarten von ihr. Und Fotos von der Frau, über die Karin Hildenbrandt manchmal spricht, als sei sie ihre Tochter: Anita Hofmann, 46, Sängerin aus Meßkirch, ein Schlagerstar – und absolutes Idol einer 73-jährigen Frau aus Thüringen.
Seit bald 30 Jahren sammelt Karin Hildenbrandt alles von ihr. Sie wohnt in Floh-Seligenthal, sechseinhalbtausend Einwohner. Ein Erholungsort, wo der bekannte Rennsteig am urigsten sei, wie es heißt. In der Öffentlichkeit steht die 73-Jährige ungern. Auch deshalb sei sie Fan von einer Frau, die sich ihr Leben lang auf den Bühnen bewegte, das mochte sie schon in der DDR an ihr, wo sie das erste Mal von ihr hörte.
Damals, im Osten, sagt Karin Hildenbrandt am Telefon, da hätte man wegen der Mauer noch nicht zu den Auftritten gekonnt. Also nahm sie die Musik auf Kassetten auf und hörte sie, immer wieder. „Das haben wir geliebt.“

Karin Hildenbrandt sagt: „Das war meine Welt, der Schlager, die Welt aller Jungen und Mädchen, wie wir zusammen groß geworden sind.“ Über so manche Momente helfen ihr die eingängigen Lieder heute noch weg. Wenn sie traurig sei, schalte sie Melodie TV ein und komme dann auf andere Gedanken. Die Musik transportiere Gefühle, sagt sie. Sie vermittle Weisheiten, die einem fürs Leben helfen. Und natürlich, hach, viel Herz.
„Liebeskummer lohnt sich nicht, My Darling“, sang die drollige Siw Malmkvist mit dem Pixie-Kopf. „Ohne dich schlaf ich heut‘ Nacht nicht ein“, rockte die Münchener Freiheit. Und Marianne Rosenberg fand schon 1975: „Er gehört zu mir wie mein Name an der Tür.“ Sätze, die Alltagssorgen verpuffen lassen. Den Krieg in der Ukraine, den Krieg im Nahen Osten, die schwächelnde Konjunktur. Lieber Poesiealbum, denkt sich die Schlagerbranche, die Welt außerhalb ist schlecht genug.
„Schlager war tot“
Vielleicht erlebt diese Musik auch deshalb wieder eine Art Renaissance. „Der Schlager war in den 90er-Jahren tot“, sagt Johannes Müske, der an der Universität in Freiburg zu Populärer Musik forscht. Erst seit 20 Jahren sei das Genre überhaupt wieder in Mode, sozial akzeptiert – und anschlussfähig, was zeitgeistigen Pop angeht. Helene Fischer und Konsorten beweisen das. Genauso tun es die Zahlen, wie eine Studie des Allensbacher Instituts für Demoskopie zeigt. Ergebnis: 46 Prozent der Menschen hierzulande hören gerne Schlager, vor allem sind es Frauen – und nicht nur die älteren.
Dabei erwarten sie das, was wohl die meisten von Musik erwarten: Sie wollen unterhalten werden. Der Schlager müsse vor allem Spaß machen, sagt Müske. Die Texte erzählen vom Leben und Lieben, meist ohne Scheu vor Kitsch. Dazu oft, aber nicht immer: Viervierteltakt zum Mitklatschen, wie man das aus dem Fernsehgarten kennt.
Ein Refrain für Max Mustermann und etwas „Ohhh la la la“. Wobei das dem breiten und blumigen Spektrum des Schlagers mit seinen vielen Varianten – Ballermann, volkstümlich, poppig, und so weiter – gar nicht mehr gerecht wird. Das aber macht den Schlager nur schwer abgrenzbar von anderen Genres. Johannes Müske meint dazu: „Was Schlager ist, wird vor allem von denjenigen definiert, die ihn machen und über ihn sprechen.“ So unterschiedlich das Feld ist, so unterscheiden sich schließlich die Fans.
Was macht die Faszination aus?
Einer, der sich seit Jahren genau damit beschäftigt, ist Martin Schweer. Der Psychologe von der Hochschule Vechta hat die Beziehungen zwischen Fans und Sängern aufgeschlüsselt. Oft identifizieren sich die Anhänger mit ihren Idolen, erklärt er. Die Stars „strahlen einerseits Attraktivität und ein erfolgreiches Leben aus“. Andererseits würden sie in ihren Songs von denselben Problemen und Gefühlen erzählen, die auch ihre Fans erfahren. Das Verhältnis zum Star kann Schweer zufolge von Verehrer zu Verehrer jedoch anders sein. Die einen bewundern, andere vertrauen.
Karin Hildenbrandt tut beides. Sie mag die Sängerin. Sie achtet Anita Hofmann. Den Bühnenprofi, der schon mit elf vor Publikum performte, zunächst mit Schwester Alexandra. Zusammen gaben sie 1989 ihr Fernsehdebüt. Dass viele für die Geschwister schwärmen, ist nachvollziehbar: Sie kreieren Hits. Sie spielen so viele Instrumente, dass zwei Hände nicht reichen, um sie aufzuzählen: Trompete und Alphorn, Xylofon, Klavier und Akkordeon, Gitarre und Harfe, Hackbrett, Saxofon. Anita und Alexandra, sie waren ein Duo. Heute sind sie solo unterwegs.
„Wir vermissen sie“
Karin Hildenbrandt meint, sie könne das verstehen. Auch sie ist mit einer älteren Schwester groß geworden. Ein bisschen traurig ist die 73-Jährige trotzdem: „Ihre Stimmen haben sich so gut ergänzt. Wir vermissen sie“, sagt die Frau aus Thüringen, die auch für ihren Mann Horst spricht.
Der 71-Jährige teilt ihre Leidenschaft, er versteht sie nicht als Macke. „Wir sind gleich verrückt, da muss keiner den anderen drängen“, meint Karin Hildenbrandt. Mit ihrem Horst sitzt sie dann abends vor dem Fernseher, wenn etwa der MDR die „Die Goldene Henne“ überträgt. Wann zeigt die Kamera unsere Anita? Wo sitzt sie? Läuft sie heute über den roten Teppich? Die Hildenbrandts fiebern mit.

Nachdem die Mauer gefallen war, war es Horst, mit dem Karin Hildenbrandt ihr erstes Hofmann-Konzert besuchte. Damals waren es noch die Geschwister. Grandios, erinnert sich die 73-Jährige. Nur wenig später flogen sie auf ihre erste Fanreise nach Rhodos. Dort trafen sie auf andere, denen es ähnlich ging – den Fanclub.
Eigentlich kein Club, mehr eine Clique, die sich aus Hofmann-Anhängern zusammensetzt, die von überall herkommen: Kempten, Niedersachsen, Thüringen, von der Ostsee. Sie sprechen sich ab. Fahrt ihr zum Konzert nach Leer? Seid ihr in Zürich dabei? Die Fans sitzen in der ersten Reihe. Sie klatschen als Erste, jubeln als Erste, stehen auf, animieren die anderen im Saal. Und sie organisieren selbst Termine, bei denen Anita Hofmann vor anderen singt.
Persönliche Einladung zur Hochzeit
„Anita ist oberste Priorität“, Karin Hildenbrandt klingt mütterlich. Man kann sich also vorstellen, was sie empfunden haben muss, als sie die persönliche Einladung für die Hochzeit ihres Idols im Sommer 2022 bekommen hat. Standesamt und Kirche: die Hildenbrandts waren immer dabei. „Anita war eine wunderschöne Märchenprinzessin.“ Die 73-Jährige weiß, dass das außergewöhnlich ist, was ihr Star den Fans ermöglicht.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass hinter der Branche ein Geschäft steckt. Eine treue Fan-Basis bedeutet stabiles Einkommen, bedeutet regelmäßige Auftritte. Was das angeht, will Martin Schweer von der Universität Vechta aber betonen, dass nicht alle Schlagerstars gleich sind. Das Bild der Stars würde medial inszeniert, sagt der Forscher. Dennoch sei es für Fans wichtig, dass ihr Held authentisch wirkt.
„Wenn man sich vor Augen führt, welche Bedeutung diese Idole für Menschen gewinnen können, dann tragen diese Stars auch eine durchaus hohe soziale Verantwortung.“ Vertrauen würde immer von beiden Seiten erfüllt, meint der Experte.
Mit Hofmann auf Hochzeitsreise
Es war ihr Hochzeitstag in Meßkirch, als Anita Hofmann das Thüringer Paar zu ihren Flitterwochen einlud. Sie hatte den Leuten ein Zeichen geben wollen, die sie immer unterstützen, sagte sie in einem Interview. Karin und Horst Hildenbrandt zögerten nicht. Vom 7. bis 12. Mai fuhren sie nach Kroatien. Sie sangen Karaoke mit ihrem Star, sie saßen beim Flitterfrühstück, machten eine Bootstour, aßen mit beim Flitterbarbecue. An einem Abend stand Anita Hofmann im Hochzeitskleid vor ihnen, Karin Hildenbrandt zittert heute noch die Stimme. „Das war ein so schöner Moment.“
Eine Sammlung zu beginnen, ist immer einfacher, als sie zu pflegen. Die Leidenschaft für Anita Hofmann ließ bei der 73-Jährigen und ihrem Mann trotzdem nicht nach, im Gegenteil. Karin Hildenbrandt archiviert noch immer Artikel, in denen Hofmanns Name fällt. Das Paar fährt noch immer zu Konzerten, wenn es zeitlich klappt.
Gelegentlich kommentieren sie über Horsts Instagram-Account die Beiträge, die die Schlagersängerin postet. Wir drücken dir die Daumen, Anita! Grüße von Karin und Horst! Was sie aber nie wagen würden: ihr Idol anzurufen. Die wenige Zeit, die ein Star für sich hat, die müsse man ihm lassen.