Beate Schierle und Sabine Wienrich

Irgendwas läuft gerade schief in der Bundesrepublik. Da haben Frauen jahrzehntelang dafür gekämpft, gleiche Löhne und eine bessere Kinderbetreuung zu bekommen. Die Fortschritte waren zäh, aber immerhin. Nun aber ist Schluss mit lustig. In Deutschland wird darüber geredet, ob man sich nun endlich ein neues Auto kaufen soll. Wohin es im Sommer in Urlaub geht. Dass die Bundesliga endlich wieder spielt.

Alles Themen, über die man diskutieren kann. Ein anderes Thema ist komischerweise weit weniger wichtig. Seit Monaten sind Schulen und Kitas geschlossen. Familien müssen seitdem einen Dreifachspagat zwischen Kinderbetreuung/Unterricht daheim, Haushalt und Erwerbsjob zustande bringen. Die Kitas sollen in Baden-Württemberg nun Ende Juni wieder komplett öffnen. Und die Schulen? Ungewiss.

Die Frauen springen ein – mal wieder

Wie es der Zufall will, springen die Frauen ein. Natürlich hat es was, sich aus dem ganzen Rattenrennen zu lösen und mittags wieder gemeinsam zu kochen und zu essen. Aber auf Dauer? Berufstätige Mütter mit mehreren Kindern drehen am Rad, weil sie immer nur einzelne Tage haben, an denen jedes Kind wieder zur Schule gehen kann. Planungssicherheit: Fehlanzeige.

Emanzipierte Männer im Homeoffice lösen ihre Frauen nach einem halben Tag ab, andere müssen sich allein abstrampeln. Jammern ist nicht erlaubt. Jede für sich. Solidarisierung fällt schwer, auch wenn entnervte Eltern unter Hashtags wie „CoronaEltern“ vom täglichen Kampf berichten. In der „Zeit“ schrieb Autorin Carla Baum über „Wir, die Krisenbienchen“. Das ist nicht schön. Aber es trifft die Sache.

Manche Frauen brechen einfach zusammen

Christine Finke, 53, ist frauenbewegte Autorin und Bloggerin („Mama arbeitet“) in Konstanz und beobachtet mit Grauen, was sich da gerade abspielt. „Klassische Familien hatten bislang noch nicht das Problembewusstsein, auch wenn sie rotieren mussten, um Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen“, meint sie. Aber nun hätten auch sie gesehen, wie zerbrechlich ihre vermeintliche Stabilität ist.

„Das ist drin, ganz tief drin! Jetzt bleibt wieder alles bei den Frauen hängen.“ Christine Finke ist Stadträtin in Konstanz.
„Das ist drin, ganz tief drin! Jetzt bleibt wieder alles bei den Frauen hängen.“ Christine Finke ist Stadträtin in Konstanz. | Bild: SK

Sie kennt Frauen, die morgens um vier aus dem Bett kriechen, um ein paar Stunden zu arbeiten, bevor die Kinder um sieben aufstehen, und die nachts, wenn die Kinder schlafen, noch ein paar Stunden anhängen. Und sie kennt Frauen, die zusammenbrachen, und andere, die sich krankschreiben ließen, weil sie nicht mehr konnten.

Homeschooling: Frauensache!

In einer Umfrage erklärten tatsächlich über 70 Prozent der Befragten, dass es in so einer Situation natürlich Frauensache sei, mit den Kindern Hausaufgaben oder Homeschooling zu machen. Echt jetzt? „Das ist drin, ganz tief drin!“, ruft Christine Finke aus. Sie ist wütend, dass „wieder alles bei den Frauen hängen bleibt“.

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Frauen verdienten meist weniger, und in einer Krisensituation setzten die meisten Familien lieber auf die sichere Bank – das Einkommen des Mannes. Dieses Zurückstecken der Frauen habe Folgen: Viele Firmen bauten derzeit zunächst Teilzeitstellen und freie Jobs ab: die Frauenstellen. Ob diese Stellen nach der Krise wieder kommen, wisse niemand, so Finke.

Familiennöte wurden ausgeblendet

Die Berliner Soziologin Jutta Allmendinger schlug jüngst in der Talkshow „Anne Will“ Alarm. Familien mit Kindern seien im Krisenmanagement der Regierung ausgeblendet worden, kritisierte sie die Empfehlungen der Leopoldina-Kommission. Noch immer übernähmen Frauen in Deutschland mehr unbezahlte Familienarbeit, die Männer mehr bezahlte Erwerbsarbeit. Das zu ändern, habe man in der Vergangenheit versäumt, und das räche sich jetzt. Auch sie warnte: Wenn Frauen in der Corona-Krise ihre Arbeitszeit noch einmal reduzierten, wirke sich das als „Karrierekiller“ aus.

„Corona spitzt das zu, was schon vorher nicht gut lief.“ Jana Mantel, Konstanz
„Corona spitzt das zu, was schon vorher nicht gut lief.“ Jana Mantel, Konstanz | Bild: (privat)

Nach einer Studie des gewerkschaftsnahen WSI-Instituts reduzierten 27 Prozent der Mütter ihre Arbeitszeit, aber nur 16 Prozent der Väter. Besonders betroffen seien Familien mit einem Nettoeinkommen von unter 2000 Euro.

Ist seine Arbeit wertvoller als meine?

Helen Knauf kommt in ihrer Untersuchung „Corona – Familien am Limit“ für die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung zu ähnlichen Ergebnissen. Dafür wurden Familien-Blogs ausgewertet: „Ich zoffe mich mit meinem Mann. Warum darf er automatisch in einem Raum arbeiten, zu dem man die Tür zumachen kann, während ich hier zwischen den Kindern arbeiten muss? Ist seine Arbeit wertvoller als meine? Ist seine Festanstellung automatisch mehr wert als meine Freiberuflichkeit? Warum verfallen wir in so blöde Muster?“ (Aus dem Blog: Stadt Land Mama).

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„Corona spitzt das zu, was schon vorher nicht gut lief“, sagt die Konstanzer Journalistin Jana Mantel, 50. Bei den Frauen werde stillschweigend erwartet, dass sie neben Homeoffice und Kinderbetreuung auch noch kochen und staubsaugen; die Männer „bleiben eher bei sich und fokussieren sich auf ihre Arbeit, auch im Homeoffice“. Probleme wie den Haushalt sitzen sie einfach aus.

Unflexible Arbeitszeitmodelle

Berufsbilder und Arbeitszeitmodelle seien in Deutschland viel zu unflexibel, kritisiert Mantel. Das erschwere es Männern wie Frauen, Neues auszuprobieren oder Stunden zu reduzieren. „Alles läuft in vorgefertigten Bahnen.“ Wenn ein Kind geboren werde, sei der Ablauf meist klar: Sie bleibt daheim.

Jutta Allmendinger befürchtet eine „entsetzliche Retraditionalisierung“ und sorgt sich, dass die Frauen in Deutschland „bestimmt drei Jahrzehnte verlieren“ würden. Es wird gekocht, gebacken, gegärtnert, gestrickt. Alles schöne Tätigkeiten. Aber ausschließlich? Keine macht sich so gut darüber lustig wie die Comedienne Caroline Kebekus. Sie veralbert im Look der 1950er-Jahre die #tradwives (traditionelle Frauen), die es ganz toll finden, daheim zu bleiben und für ihre Familie zu sorgen.

Typisch deutsch, oder?

Irgendwie ist diese Diskussion typisch deutsch. Natürlich sorgen sich auch berufstätige Frauen um ihre Familie, und Männer sollten dasselbe tun. Was aber nicht geht, ist der automatische Rückgriff darauf, dass in Krisenzeiten die Frauen zurückstecken sollen. Das rächt sich nämlich: in steigenden Zahlen bei Gewalt gegen Frauen und Kindern, in geringeren Löhnen und später in niedrigen Renten für Frauen.

„Ich befürchte eine entsetzliche Retraditionialisierung“ – Jutta Allmendinger, Soziologin aus Berlin
„Ich befürchte eine entsetzliche Retraditionialisierung“ – Jutta Allmendinger, Soziologin aus Berlin | Bild: Soeren Stache/dpa

Für manche ist Corona jetzt schon existenziell. Etwa für die Friedrichshafener Familie M., Hartz-IV-Empfänger, deren Kinder bislang ein kostenloses Schulessen bekamen. Vorbei. Der Job der Mutter in einer Restaurantküche ist auch weg. Nun muss sie mit 350 Euro weniger im Monat täglich vier Portionen mehr kochen.

„Drei Jahrzehnte Gleichstellung dahin? Da war schon vorher etwas faul“

Im Kino-Heuler „Titanic“ wurden ja zuerst die Frauen und Kinder von Bord geholt. Heute hat man den Eindruck: Die kommen als Letzte dran. „Drei Jahrzehnte Gleichstellung dahin? Da war schon vorher etwas faul“, formuliert es die Soziologin Claudia Detsch im Journal für Internationale Politik und Gesellschaft. Frauen und Familien seien „nicht systemrelevant“, es fehle das Drohpotenzial.

„Frauen müssen hier schon ihre eigene Lobby sein – ich kann nur sagen: Frauen, macht den Mund auf!“ Renate Schmidt, ...
„Frauen müssen hier schon ihre eigene Lobby sein – ich kann nur sagen: Frauen, macht den Mund auf!“ Renate Schmidt, SPD-Politikerin | Bild: Arne Dedert/dpa

In der Bundesrepublik greifen im 21. Jahrhundert noch Reflexe, die man nach den beiden Weltkriegen oder nach der Wiedervereinigung im Osten Deutschlands beobachten konnte. „Wir waren gar nicht so weit in der Gleichstellung“, sagt auch Christine Finke. Frauen an den Herd, Männer an die Werkbank.

Als hätten wir nicht schon genügend Schwierigkeiten an der Backe mit Umweltzerstörung, Überkonsum, zapplig-abgehetzten Menschen und Verschwörungsgläubigen im Internet. Noch einmal Allmendinger: Es sei ein Irrtum, zu glauben, „dass es nur gerecht zugeht, wenn Frauen sich an die männliche Erwerbsbiografie anpassen“.

Den Frauen fehlt die Lobby

Die Corona-Krise wirft Schlaglichter auf Probleme, die wir bisher ausgeblendet haben. Muss ein guter Arbeitstag wirklich acht bis zehn Stunden lang sein? Warum wird Sorgearbeit schlecht oder gar nicht bezahlt?

Die bayerische SPD-Politikerin Renate Schmidt rief die Frauen dazu auf, sich zu wehren: Ohne eine starke Lobby ließen sich ihre Interessen nicht durchsetzen. „Und die wird einem nicht auf dem Silbertablett serviert. Frauen müssen hier schon ihre eigene Lobby sein – ich kann nur sagen: Frauen, macht euren Mund auf!“

Für gute Worte den Ausputzer spielen

Auch Christine Finke fordert: „Menschen mit Kindern müssen in die Politik.“ Es sei anstrengend, aber wichtig. Auch Mails an die Bundestagsabgeordneten brächten schon viel: „Die lesen das“, versichert die Konstanzer Stadträtin. Sie sorgt sich um die Folgen der Krise bei den Familien, auch bei den Kindern: „Es wird viel zu reparieren sein. So etwas hinterlässt Spuren.“

Fazit: Die Frauen müssen aufhören, allein für gute Worte die Ausputzer zu spielen. Und die Männer, es stillschweigend von ihnen zu erwarten. Sonst haben wir aus Corona nichts gelernt.