Herr Deichmann, wo leben Sie, wenn Sie nicht auf Achse sind?

In der Schweiz habe ich im Haus meines Vaters meinen Wohnsitz und eine Art Homebase. Das Haus liegt im Kanton Solothurn zwischen Bern und Basel, im Jura. Da kann ich von allen Seiten auf 1200 Metern Höhe gehen, das ist gut.

Jonas Deichmann in Norwegen bei der Vorbereitung.
Jonas Deichmann in Norwegen bei der Vorbereitung. | Bild: Uwe Nadler

450 Kilometer schwimmen, 21.000 Kilometer Rad fahren und 5000 Kilometer laufen: Sie gehen ja bei Ihren Reisen bewusst an Ihre Grenzen. Wie gut merken Sie an einem Abend, wann es genug ist?

Ich habe genug, wenn es dunkel wird. Nach getaner Arbeit. Ich bin immer im Grundlagen-Ausdauerbereich unterwegs. Ich bin nie wirklich schnell, ich fahre meinen Rhythmus, das kann ich im Prinzip unbegrenzt machen.

Es gibt auch Abende, an denen bin ich gar nicht so richtig müde. Den Puls dauernd auf 180 laufen zu lassen, das würde physisch gar nicht gehen. Mit Rückenwind durch die Ebene radeln, da bin ich ja abends nicht müde.

Laufen ist eine ganz andere Belastung, denn da gibt es keine Erholung. Ich bin 117 Tage lang gerannt; da ist einfach eine gewisse Müdigkeit im Körper vorhanden.

Findet man erst durch das Gehen an seine Grenzen heraus, was man schaffen kann?

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir alle zu wesentlich mehr imstande sind als die meisten Leute glauben. Ein Beispiel: Ein Marathon kann jeder gesunde Mensch laufen, der nicht im Rollstuhl sitzt. Man muss es nur wollen. Es ist am Ende Kopfsache.

Das habe ich in Mexiko gemerkt, wie viele Leute sich mir angeschlossen haben, die zuvor noch nie gelaufen waren und dann ihre persönlichen Bestleistungen gebracht haben. Es geht. Wenn man das nicht ausprobiert, dann weiß man es auch nicht. Man muss raus aus der Komfortzone. Wenn man den Wunsch hat, ist es gar kein Problem. Jeder muss sein eigenes großes Ziel finden.

Am Baikalsee: Jonas Deichmann unterwegs in Sibirien auf seiner Tour um die Welt.
Am Baikalsee: Jonas Deichmann unterwegs in Sibirien auf seiner Tour um die Welt. | Bild: Andrej Bavchenkov

Was für ein Rad benutzen Sie? Wieviel Gepäck haben Sie dabei?

Ich habe ein Gravel-Rad benutzt. Das ist eine Mischung aus Rennrad und Mountainbike, also eher eine Art Rennrad, man kann damit aber auch ins Gelände gehen. Das ist noch schnell, aber auch komfortabel.

Bei den Straßenverhältnissen in Sibirien geht es mit einem Rennrad einfach nicht mehr. Ich hatte drei kleine Taschen am Fahrrad mit einem Zelt drin, Winterausrüstung – in Sibirien waren minus 25 Grad – Daunenschlafsack und alles mit dabei, das ging wunderbar.

Wie viele Kalorien brauchen Sie am Tag, wenn Sie unterwegs sind?

Das hängt so ein bisschen von der Disziplin ab, aber 6000 oder 7000 Kilokalorien verbrenne ich schon. Das Ganze ist also auch ein Esswettbewerb. Ich kann Tacos und Pasta essen, aber es gehen auch Kekse und Schokolade.

Es gibt ja nicht überall Supermärkte, die Distanzen sind in manchen Läden sehr weit. Es gibt kleine Tante-Emma-Läden oder Restaurants; da nimmt man, was man bekommt.

Im Mittelpunkt des Interesses: Jonas Deichmann wurde in Mexiko von interessierten Bürgern umlagert.
Im Mittelpunkt des Interesses: Jonas Deichmann wurde in Mexiko von interessierten Bürgern umlagert. | Bild: ravir-JD

In Mexiko wurden Sie zu einer nationalen Berühmtheit. Wie kam es dazu?

Als ich in Tijuana an der Grenze startete, war ich praktisch unbekannt, hatte 2000 Follower auf Instagram. Das ging dann so langsam nach oben.

Nach fünf Wochen, in der Sierra Madre, als ich die Berge hinauflief, hat sich mir eine Straßenhündin angeschlossen, „La Coqueta“. Sie folgte mir für 130 Kilometer, und ich habe dann im regionalen Fernsehen jemanden gesucht, der sie adoptiert. Als das geklappt hat, gab es einen großen Empfang in einer Gemeinde, sie bekam eine Medaille um den Hals gehängt und wurde so zu Mexikos berühmtester Hündin.

Und ich war am nächsten Tag auf jeder Titelseite. Am Straßenrand warteten dann immer Leute, manche sind auch eine Zeitlang mitgerannt, ich habe dann auch eine Polizeieskorte bekommen. In Mexiko-Stadt hatte ich neun Polizei-Pickups, ein gepanzertes Fahrzeug und elf Polizei-Motorräder. War ein guter Service.

Mitläufer: In Mexiko wurde Jonas Deichmann oft von anderen Sportlern ein Stück des Weges begleitet.
Mitläufer: In Mexiko wurde Jonas Deichmann oft von anderen Sportlern ein Stück des Weges begleitet. | Bild: Markus Weinberg

Sie hatten aber auch Berührung mit Drogenkartellen, ist das richtig?

Die Drogenkartelle habe ich mehrfach getroffen, es gibt Gegenden, in denen sie letztlich die Regierung sind. Auf einer kleinen Bergstraße in Sierra Madre habe ich Jugendliche gesehen, die auf der Straße patrouillierten, dann kamen aber auch zwei Männer auf Motorrädern, die selbst Sportfans waren, mir auf Instagram folgten und sagten, dass sie auf mich aufpassen.

An einer anderen Stelle habe ich noch mal eine Begegnung gehabt, da hatte ich einen Kameramann dabei mit einer Drohne. Da hieß es dann, filmen dürft ihr, aber nur über die Straße. Wenn ihr rüber fliegt, wo die Plantagen sind, schießen wir die Drohne runter.

Große Abenteurer brauchen einen großen Bart: Jonas Deichmann in Portugal.
Große Abenteurer brauchen einen großen Bart: Jonas Deichmann in Portugal. | Bild: Markus Weinberg

Und in Sibirien wurden Sie einmal knapp von einem Lkw gestreift, richtig?

Das war 2019 bei einem anderen Projekt; da gab es einige knappe Situationen. Die größte Gefahr ist immer der Verkehr. Der Lkw-Verkehr in Russland ist lebensgefährlich.

Gefährlich ist auch das Schwimmen. In der Uferzone dürfen ja eigentlich keine Boote fahren, aber da hält sich nicht jeder dran. Mit Tieren hatte ich wenig Probleme, bis auf die Quallen in Kroatien. Das war auch ein Grund, warum ich mir einen Bart habe wachsen lassen. Ich habe ihn 14 Monate wachsen lassen, am Ende war das doch etwas unbequem. Große Abenteurer brauchen einen großen Bart (lacht).

In Mexiko hatte ich Besuch von Klapperschlangen im Zelt und von Taranteln. Bei meinem vorherigen Projekt – Cape to Cape – habe ich in Botswana mal in einem Polizeiposten übernachtet. Da kam dann ein Löwe, der hat den Wachhund gefressen. Der Hund hat uns verteidigt.

Sein Lieblingsland: Mexiko hat es Jonas Deichmann auf seiner Tour um die Welt ganz besonders angetan.
Sein Lieblingsland: Mexiko hat es Jonas Deichmann auf seiner Tour um die Welt ganz besonders angetan. | Bild: ravir-JD

Was war eines Ihrer schönsten Erlebnisse?

Da passiert praktisch jeden Tag was, deshalb mache ich das ja. Ich habe eine Nacht auf dem Baikalsee gezeltet, auf dem Eis. Das war unbeschreiblich. Und Mexiko. Das war total verrückt. Die Landschaft, die Kultur, die Leute...

Sie radeln ja nicht nur zum Vergnügen, sondern haben auch soziale Projekte, die Ihnen wichtig sind, etwa World Bicycle Relief oder Oxfam.

Ich habe einen guten Batzen Geld für solche Organisationen gesammelt, bei World Bicycle Relief können jetzt weit über 100 Kinder in Afrika mit dem Rad in die Schule fahren, denn die Wege sind weit und es gibt keinen Transport. Da gibt man Kindern eine Zukunft.

Der zweite Punkt ist Sichtbarkeit für diese Organisationen und Aufklärung. Den Klimawandel habe ich in vielen Facetten gesehen. Es wird extremer, das sieht man überall auf der Welt. Was mich am meisten betrifft, ist, wenn ich das Schicksal von Leuten sehe, die dadurch ihre Lebensgrundlage verlieren.

In Baja California in Mexiko habe ich mit Leuten gesprochen, die sagten, wir wissen nicht, wie lange wir hier noch bleiben können. Weil es fünf Jahre nicht mehr geregnet hat. Jetzt ist dort Wüste.

An der Grenze zur Ukraine: Jonas Deichmann kam auf seiner Tour auch an der heute umkämpften Stadt Charkiw vorbei. Damals herrschte noch ...
An der Grenze zur Ukraine: Jonas Deichmann kam auf seiner Tour auch an der heute umkämpften Stadt Charkiw vorbei. Damals herrschte noch Frieden. | Bild: Markus Weinberg

In Europa schauen alle gerade mit Entsetzen auf den Ukraine-Krieg. Kann Reisen gegen diese Barbarei halfen?

Ja, Reisen kann helfen. Ich bin bei meiner Tour auch zwölf Tage in Charkiw gewesen, weil ich auf mein Visum gewartet habe, und wurde von der örtlichen Fahrrad-Community aufgenommen. Von den Leuten, die ich da kennengelernt habe, kämpft jetzt einer, und ein anderer ist geflohen.

Die Stadt ist zerbombt. Es ist grausam, so etwas zu sehen. Aber nicht nur die Ukrainer haben mich freundlich aufgenommen, sondern auch die Russen, desgleichen die Iraner. Der Ruf dieser Länder ist unglaublich schlecht, und die Leute vor Ort sind trotzdem nett.

Die meisten Menschen wollen nur ein friedliches Leben haben. Der Krieg geht auf Putin und seine Verbündeten zurück, und nicht auf die einfache Bevölkerung. Wenn ich als Deutscher durch Russland radle, sehen die Russen auch, dass die Deutschen doch ganz nett sind, auch wenn sie im Staatsfernsehen beschimpft werden.

Über Stock und Stein: Dem Triathlon um die Welt ging eine lange Vorbereitungsphase voraus.
Über Stock und Stein: Dem Triathlon um die Welt ging eine lange Vorbereitungsphase voraus. | Bild: Markus Weinberg

Was ist Ihr nächstes Projekt?

Die nächsten Wochen bin ich mit Vorträgen in Deutschland unterwegs, und am 19. Mai kommt mein Film in die Kinos. Das nächste größere Projekt beginnt Ende nächsten Jahres. Es geht wieder um die Welt auf eine Weise, die so noch nie einer gemacht hat, und bislang ist es noch streng geheim.