Frau Brunschweiger, in etwa neun Monaten erleben wir wahrscheinlich einen Babyboom. Ist das für Sie eine gute Nachricht?

Nein, im Gegenteil, das wäre doch entsetzlich. Das sind alles unschuldige Kinder, die in eine krasse Welt gesetzt werden – eine Welt, die keinem mehr zumutbar ist. Vor einem Jahr drohte bereits der ökologische Kollaps, nun kommt die Pandemie mit all ihren Konsequenzen dazu. In dieser Situation noch an Kinder zu denken, bedeutet eine maximale Härte. Von den Eltern ist es völlig verantwortungslos, jemanden in eine Welt zu schicken, in der man beispielsweise einen Maulkorb tragen muss und zwangsgeimpft werden soll.

Sind Kinder nicht etwas Natürliches? Jede Pflanze, jede Art drängt nach Reproduktion. Und nun kommen Sie und sagen: Ab sofort höre ich auf. Wie kommen Sie darauf?

Seit Langem schon verfolge ich englische Zeitungen. Dort las ich davon. Es handelt sich im Prinzip um das Konzept des Antinatalismus, also eine Bewegung, die sich gegen das Gebären neuer Kinder starkmacht. In Großbritannien wie auch den USA ist diese Strömung ziemlich bekannt. Der Mensch hat im Gegensatz zu anderen Lebewesen die Entscheidung in der Hand, ob er sich fortpflanzen will. Ich finde, dass es nicht zumutbar ist, was wir Lebenden auf der Erde angerichtet haben. Im Gegensatz zu einer Hauskatze könnten wir unseren Trieb doch steuern.

Sie sind verheiratet. Was sagt Ihr Mann dazu?

Wir haben das alles besprochen. Ich habe ihm die gesamte Lage erklärt, die Bedrohung der Umwelt, die von uns Menschen ausgeht und die mit jedem Menschen größer wird, der auf die Welt gesetzt wird, weil er zwangsläufig klimafeindlich lebt. Deshalb haben wir uns bewusst gegen Kinder entschieden. Mein Mann ist klug, er kann rechnen und denken…

Wieso kommen dann andere kluge Menschen nicht auf denselben Gedanken und verhindern Nachwuchs?

Sie verhalten sich einfach gleichgültig. Das Problem ist ihnen bewusst, aber sie verdrängen es. In Deutschland werden Leute sehr schnell wütend, wenn man ihnen ihre Wurstigkeit und ökologische Ignoranz unter die Nase hält. Die Schweizer sind lässiger: Mir bekannte dort lebende Umweltsünder stehen dazu, ohne gleich zu schreien, wenn man ihr Verhalten beim Namen nennt.

Sieht harmloser aus als es ist: Mit ihrem Buch „Kinderfrei statt kinderlos“ eröffnete Verena Brunschweiger 2019 die ...
Sieht harmloser aus als es ist: Mit ihrem Buch „Kinderfrei statt kinderlos“ eröffnete Verena Brunschweiger 2019 die Diskussion. Sie sprach sich für ein Leben ohne Kinder aus – nicht aber gegen Kinder. | Bild: Büchner-Verlag/dpa

Vor einem Jahr kamen Sie erstmals mit Ihren Thesen auf den Buchmarkt. Die Reaktionen waren drastisch, sie standen als Kinderfeindin da. Mal ehrlich: Haben Sie das auch ein wenig genossen?

Nein, die Rolle gefällt mir nicht. Aber ich nehme den Schimpf in Kauf. Mir ist klar, dass diese Kritiker nicht recht haben.

Sie sind Lehrerin in Bayern. Im Moment sind Sie für ein Schuljahr beurlaubt. Gehen Sie zurück an die Schule?

Aber ja, ich habe mich schon zurückgemeldet. Im Herbst fange ich wieder an.

Die Schule nimmt Sie also wieder? Steht das nicht im Widerspruch zu Ihren Büchern?

Das muss man differenziert sehen. Ich habe ja nichts gegen Kinder, im Gegenteil. Sie sind die Opfer der Handlungen ihrer Eltern und der Generationen vor ihnen. Wenn also Kinder vor mir in einer Klasse sitzen, dann unterrichte ich sie gerne. Etwas anderes ist meine Haltung bezüglich der Reproduktion. Ich sehe da keinen Widerspruch.

Kaffee und Wasser, kein Fleisch. Verena Brunschweiger lebt persönlich sehr sparsam – aus ökologischen Gründen, wie sie sagt.
Kaffee und Wasser, kein Fleisch. Verena Brunschweiger lebt persönlich sehr sparsam – aus ökologischen Gründen, wie sie sagt. | Bild: Büchner Verlag

Und das können Sie so sauber trennen?

Natürlich, das ist eine gedankliche Leistung, die ich von anderen Menschen auch erwarte. Übrigens ernte ich auch viel Dankbarkeit. Ein Vater sagte mir tatsächlich, dass er mir dankbar sei, dass ich keine Kinder habe; so habe sein Sohn schon einen möglichen Konkurrenten weniger.

Wie stehen Sie persönlich zu Kindern?

Überhaupt kein Problem. Ich habe zum Beispiel koreanische Freunde mit Kindern, die oft zu Besuch kommen, natürlich kommen die Kinder dann mit. Ich hasse Kinder nicht, auch wenn meine Gegner das immer wieder behaupten.

Wenn Sie sich so gegen Nachwuchs stemmen, dann aus Gründen der Umwelt. Was bei Ihnen offenbar keine Rolle spielt, das ist die emotionale Seite. Eltern freuen sich auf Kinder.

Das ist eine rein egoistische Sicht der Dinge. Eltern denken: Das ist mein Kind, in das ich alles Gute der Welt setze. An die Folgen des Kindersegens denken dann die wenigsten. Um diese Folgen geht es mir aber. Auch deshalb muss die Bewegung Birthstrike, also Geburtsstreik, stärker werden.

Kinder? Die Feministin Verena Brunschweiger rät dringend davon ab. Die Erwachsenen hinterlassen ihnen eine kaputte Welt, sagt sie.
Kinder? Die Feministin Verena Brunschweiger rät dringend davon ab. Die Erwachsenen hinterlassen ihnen eine kaputte Welt, sagt sie. | Bild: Christian Charisius

Sie gelten als Radikalfeministin.

Da passt alles zusammen. Denn als Feministin bin ich nicht bereit, den zentralen Imperativ des Patriarchats zu erfüllen. Das ist es ja, was die Männer wollen: Wirf schnell Kinder, am besten gleich fünf. Das wünscht sich das alte Patriarchat von der deutschen Frau. Das ist auch im Sinn der Wirtschaft: Für den Kapitalismus sollen wir neue Kunden auf die Welt bringen, die dann brav einkaufen und ihr Geld ausgeben.

Dann sind Sie auch noch Kapitalismuskritikerin?

Unser System benötigt neue frische Konsumenten, die dann wiederum Produkte kaufen, deren Herstellung nur mit Hilfe von Raubbau an der Erde und der Luft möglich wird. So schließt sich der Kreislauf des Irrsinns.

Leben Sie dann selbst so bescheiden, wie Sie es anderen nahelegen?

Ich denke schon. Ich besitze nicht einmal ein Smartphone. Nur ein Handy. Ich habe kein eigenes Auto und fliege nie – aus Überzeugung. In meinem Kühlschrank finden Sie kein Fleisch, da ich Vegetarierin bin. Man sollte seine Freunde nicht auf den Speiseplan setzen und Tiere sind meine Freunde.

Sind Sie mit Kleidung auch so sparsam?

Ich sage Ihnen eines: Ich besitze ein Kleid, das ich schon als Vierzehnjährige trug. Es passt mir noch, deshalb ziehe ich es nach wie vor an. Soll ich es wegwerfen, nur weil es alt ist? Andere ziehen nicht einmal die Kleider vom Vorjahr an. Ich bin gegen extremen Konsum. Shopping als Leidenschaft ist mir völlig fremd.