Olympia hat Frankreichs Hauptstadt übernommen. Und auch wenn noch kein Meter gerudert oder Ball geworfen wurde, die Slogans und Symbole sind allgegenwärtig. „Stolz auf die Olympischen Spiele 2024“ steht im Abstand von wenigen Metern auf einen Radweg gedruckt, der von der Vorstadt Pantin am Kanal entlang in die französische Hauptstadt führt – wie eine Art Erinnerungs-Service. „Entzündet die Spiele!“, prangt auf Plakaten im Département Val-de-Marne im Südosten.
Kurz vor dem Startschuss am 26. Juli sind auch an den Gebäuden der Flughäfen und der Bahnhöfe die fünf charakteristischen Ringe angebracht, die seit Langem das Rathaus im Zentrum zieren – und auch den Eiffelturm, wo sie nachts beleuchtet werden. In etlichen Schaufenstern prangen XXL-Exemplare der flauschigen Maskottchen in Frankreichs Nationalfarben blau-weiß-rot. Eines der Beinchen besteht aus einer Prothese, als Verweis auf die Paralympischen Spiele vom 28. August bis 10. September.
Internationale Menüs in der Krippe
Mehrere Museen bieten Sonderausstellungen zu Sport-Themen an, Schüler beteiligten sich an einer „Kulturellen Olympiade“, selbst die Kleinsten in den Krippen bekommen „internationale Menüs“ vorgesetzt.
Im nördlichen Vorort Saint-Denis, wo das Olympische Dorf untergebracht ist, wurde gerade noch rechtzeitig eine neue Station der Metrolinie 14 eingeweiht. Ansonsten ruhen die vielen teilweise vorgezogenen Baustellen demnächst, die den Stadtbewohnern zuletzt den Alltag oft so erschwert haben.

Auch deshalb haben viele Pariser im Vorfeld des Großereignisses ihrem Ruf als „râleurs“, als permanente Nörgler, alle Ehre gemacht: Es werde Chaos herrschen, Paris noch überfüllter sein, schimpften manche. Ein Parodie-Video machte die Runde, in dem ein Mann im Café seinen Espresso bezahlen will – und schockiert ist über die Rechnung. „25 Euro? Wollen Sie mich veräppeln, das ist ja genau so viel wie für ein Metro-Ticket!“ Eine Übertreibung: In Wahrheit wird sich der Preis im Sommer lediglich verdoppeln, von knapp zwei auf vier Euro.
In einer Umfrage gaben knapp die Hälfte der Bewohner des Großraums Paris an, sie wollten die Stadt während Olympia verlassen, wenn Sicherheitszonen und Umleitungen das Durchkommen erschweren. Allerdings verreisen während der Sommerferien ohnehin sehr viele.
15 Millionen Gäste – eine gigantische Herausforderung
Ihnen stehen diejenigen gegenüber, die motiviert sind, diese Ausnahme-Phase zu erleben und oftmals Tickets ergattert haben. Er habe Karten für ein Handball-Spiel, sagt der 48-jährige Vincent. „Da die Olympischen Spiele nur alle 100 Jahre in Paris stattfinden, ist das meine einzige Chance“, sagt er schmunzelnd. Tatsächlich gab es die Veranstaltung hier zuletzt 1900 und 1924.
Freilich waren die Verhältnisse damals andere. Heute ist Paris schon in Normalzeiten die am meisten besuchte Stadt der Welt. Während der Wettkämpfe werden 15 Millionen Gäste erwartet – eine gigantische Herausforderung in Sachen Transport, Sicherheit, Unterbringung.

Aber es ist auch eine Chance für Frankreichs Hauptstadt, sich von ihrer besten Seite zu präsentieren, wie der Vorsitzende des Pariser Organisationskomitees, der ehemalige Spitzen-Kanute Tony Estanguet, oft betont. „2024 wird ein historisches Jahr, das Paris und Frankreich in der ganzen Welt erstrahlen lässt“, schwärmt er. Mit einem Höhepunkt zum Auftakt: „Zum ersten Mal in der Geschichte der Spiele wird die Eröffnungszeremonie außerhalb eines Stadions stattfinden.“
Zwischen den Brücken Pont d‘Austerlitz im Osten und Pont d‘Iéna im Westen, wo die Ehrengäste auf einer Tribüne gegenüber dem Eiffelturm sitzen, werden Boote rund 8700 Athletinnen und Athleten über die Seine transportieren. 326.000 Zuschauer sind zugelassen: 104.000 an den unteren Ufern haben für ihre Tickets bezahlt, während die Plätze an den oberen Quai-Straßen gratis sind, aber namentlich vergeben wurden.
Alle, ob Zuschauer, Bootskapitäne oder das Sicherheitspersonal, müssen sich Überprüfungen unterziehen, Anwohner vorab um einen Code bemühen, um durchgelassen zu werden. Denn die größte Furcht im Vorfeld dieser Spiele ist jene vor einem Anschlag. „Alles ist unter Kontrolle“, heißt es vonseiten der Organisatoren. Dennoch versicherte Präsident Emmanuel Macron, dass es einen Plan B und gar einen Plan C für die Eröffnungsfeier gebe. Bei konkreter Bedrohung würde diese kleiner ausfallen und in ein geschlossenes Stadion, das leichter zu überwachen wäre, umgesiedelt.
Und doch halten die Organisatoren am Plan A fest, der gigantischen Zeremonie im Herzen der Stadt mit Traum-Kulisse: Die Boote passieren den Louvre, das Musée d‘Orsay, die Kathedrale Notre-Dame, deren Restaurierung sich in den Endzügen befindet. Die vier Milliarden Menschen weltweit, die die Spiele vor dem Fernsehen verfolgen, bekommen so einen Eindruck vom Paris-Flair, auch wenn sie nicht durch die Straßen oder an der Seine entlang bummeln.
Paris zeigt seine schönsten Seiten
Auch die Austragungsorte ermöglichen der Metropole, ihre schönsten Facetten zu präsentieren. Im Grand Palais, einem großen Ausstellungsgebäude aus dem Jahr 1900 im Stil der Belle Époque, werden die Wettbewerbe im Fechten und Taekwondo ausgetragen. Auf dem Marsfeld unter dem Eiffelturm werden Strandvolleyball und Blindenfußball gespielt.

Reitsport und Moderner Fünfkampf finden vor der prachtvollen Kulisse des Schlosses von Versailles statt. Der Concorde-Platz am Fuß der Pracht-Avenue Champs-Élysées wird den urbanen Sportarten wie BMX Freestyle, 3x3-Basketball, Breaking und Skatebord gewidmet.
Der Marathon startet am Rathaus, führt gen Westen bis zum Schloss von Versailles und zurück nach Paris zum Invalidendom. Historischer Anknüpfungspunkt ist der Marsch von mehr als 6000 Pariser Marktfrauen in die einstige Königsstadt am 5. Oktober 1789, eine wichtige Etappe der Französischen Revolution. An jenem Tag zwangen sie König Ludwig XVI., die Menschenrechtserklärung zu unterschreiben. Von den historischen Referenzen abgesehen handelt es sich um eine anspruchsvolle Strecke mit 436 Metern positivem und 438 Metern negativem Höhenunterschied und einer Steigung von bis zu 13,5 Prozent.
Und doch bleibt vorab die Frage: Wird es das glanzvolle Fest, auf das die Organisatoren seit Jahren hinarbeiten? Mit seiner überraschenden Ankündigung von Neuwahlen rund drei Wochen vor dem Beginn der Olympischen Spiele hat Präsident Macron das Land ins politische Chaos gestürzt und die Aufmerksamkeit von dem Ereignis weg gelenkt, das den Pariser Sommer dominieren, ja verzaubern sollte.
Nicht ärgern, sondern freuen
Bürgermeisterin Anne Hidalgo warf Macron vor, er mache „diesen schönen Moment kaputt“. Seit Monaten fordert sie die Menschen und die Medien dazu auf, nicht nur mögliche Ärgernisse wie die Einschränkung der Bewegungsfreiheit zu sehen – sondern vor allem Freude am gemeinsamen Feiern und den sportlichen Wettbewerben zu haben.
„Kleine Probleme gibt es bei einer solch großen Veranstaltung immer, aber es wäre doch schade, sich nur darauf zu konzentrieren“, sagt auch der Sterne-Koch Alexandre Mazzia, der mit Kollegen die Rezepte für die Gerichte, die im Olympischen Dorf serviert werden, ausgearbeitet hat. Wie alle, die an den Spielen beteiligt sind, klingt er enthusiastisch. „Das wird einmalig und unvergesslich, glauben Sie es mir.“