Herr Albert, Sie beklagen, dass in vielen Firmen heute nicht mehr die reine Arbeit genügt, sondern dass die Beschäftigten gleich noch die Welt retten sollen. Wie kam es dazu?

Zum einen ist da die Amerikanisierung des Berufslebens. Viele Firmen orientieren sich an amerikanischen Tech-Unternehmen, die als dynamisch, innovativ und erfolgreich gelten. Man sieht es an der Raumarchitektur, bei der Start-up-Unternehmen nachgestellt werden, an den bunt gemischten Möbeln und der Freizeitkleidung. Man sieht es aber auch an diesen weltumfassenden Firmenmissionen, die früher bei uns nicht üblich waren, in den USA in einer bestimmten Szene aber schon. Zum anderen gibt es aber auch den Wunsch aus der Bevölkerung, dass Firmen sich engagieren sollen. All das trifft nun am Arbeitsplatz zusammen.

Ihr Buch kommt teilweise ganz schön gallig daher. Sie spotten darüber, dass Chefs fürs Fußvolk Großraumbüros anordnen, selbst aber gern im Einzelbüro sitzen...

Das sieht man überall. Wir haben einerseits diese egalitäre Attitüde, jeder trägt Kapuzenpulli und abends geht man gemeinsam zum Bowlen; andererseits wird aber sorgsam auf die Hierarchien geachtet. Davon sollte man sich nicht täuschen lassen.

Für jüngere Berufstätige ist es oft ein kleiner Schock, wenn sie auf einmal feststellen müssen, dass ihr befreundeter Chef ihnen ganz klare Anweisungen gibt. Ältere Arbeitnehmer erwarten das gar nicht anders, sie wissen, dass es sich um ein Unterstellungsverhältnis handelt.

In Ihrem Buch erzählen Sie von einem Mann, der über 50 war und der den Eindruck hatte, dass jüngere Frauen an ihm vorbeiziehen, und der das sehr ungerecht fand.

Grundsätzlich fällt auf, dass sich heute alle diskriminiert fühlen. Das ist ein bisschen Zeitgeist, jeder ist angeblich überlastet und unterschätzt. In diesem speziellen Fall ist eine gewisse Hartnäckigkeit gefordert, denn: Die Zeiten ändern sich. Ich kann nicht meine Aufstiegspläne von vor 20 Jahren ewig weiterverfolgen wollen. Ich muss mein Profil anschauen: Bin ich noch auf dem Laufenden? Junge Frauen sind in Führungspositionen unterrepräsentiert, und das ist eine Lücke, die manche Firmen gern schließen möchten, es zum Teil durch Gesetze auch müssen.

Heute kann man sich weniger auf Erfahrung berufen, sondern sollte sich fragen: Habe ich die aktuellen Kenntnisse? Kenne ich die richtigen Leute? Mache ich den Eindruck, dass ich im Leben stehe? Gelegentlich treffe ich Arbeitnehmer über 50, bei denen ich denke: Die haben sich seit 20 Jahren nicht weiterentwickelt. Man vergisst, wie die Welt draußen ist. Es ist wichtig, sich nicht in Nostalgie zu verlieren.

Sie sprechen regelrechte Psycho-Tricks mancher Chefs an, wie den Satz: „Wir müssen jetzt zusammenhalten“ oder indem sie Schuldgefühle vermitteln. Das ist ja ziemlich fies...

Es gibt natürlich psychologische Mittel, die gut sind. Wenn ich als Vorgesetzter ein Vorbild bin, jemanden ermutige, dann ist das begrüßenswert. Wenn aber jemand unter Druck gesetzt wird, man ihm Angst macht oder ihn einschüchtert, ist das negativ. Logischerweise ist es im Sinne des Unternehmens, dass der Mitarbeiter mehr leistet. Und der möchte wiederum nicht alles aus sich herausholen und muss sich deshalb abgrenzen. Das Ganze stimmt, wenn der Mitarbeiter sagt: Ich investiere hier etwas, bekomme aber auch etwas zurück.

Inzwischen läuft das aber oft sehr einseitig. Im Mittelstand kürzt schon auch mal die Firmenleitung in Krisenzeiten ihre Bezüge, in anderen Bereichen bezieht der Vorstand manchmal weiterhin ein zweistelliges Millionengehalt, während einfache Arbeitsplätze ausgelagert werden.

Daher die Empfehlung an Arbeitnehmer: Durchaus engagiert sein, aber darauf achten, ob die andere Seite das entsprechend würdigt.

Das Buch: „Ich will doch nur meinen Job machen. Warum man am Arbeitsplatz nicht immer gleich die Welt retten und mit allen ...
Das Buch: „Ich will doch nur meinen Job machen. Warum man am Arbeitsplatz nicht immer gleich die Welt retten und mit allen befreundet sein muss“. Redline-Verlag 2022, 224 Seiten, 15 Euro. | Bild: Redline-Verlag

Da gibt es ja auch Stellenanzeigen, die hauptsächlich davon sprechen, was die Firma erwartet, fordert und was man mitzubringen hat.

Ja, das ist auffällig, dass man versucht, diese harten Vorteile – ein gutes Gehalt, Urlaubstage – durch Dinge zu ersetzen, die schön klingen, aber nicht dem Gegenwert entsprechen, etwa kostenlose Getränke und Obst. Das kann man mal addieren und dann sind das im Monat vielleicht 50 Euro. Ist es das wirklich wert, dass ich dafür kein Tarifgehalt bekomme?

Es ist nicht verboten, sich besser darzustellen, als man ist; das macht man als Arbeitnehmer, und auch der Arbeitgeber verschweigt vieles. Aber man sollte schon schauen, was im Vertrag steht.

Sie empfehlen, das Nein-Sagen zu üben, wenn man zu viel auf dem Tisch hat. Und wenn der Chef dann sagt: „Das interessiert mich nicht!“?

Das kommt häufig vor, oder auch, dass alle Aufgaben angeblich Priorität 1 haben, oft verbunden mit dem Vorwurf, man sei eben nicht richtig organisiert. Ich nenne das „fake empowerment“ (fälschliche Übertragung von Verantwortung, d. Red.), also, dass man einem Mitarbeiter Aufgaben weiterreicht, ihm aber nicht die Ressourcen und Kompetenzen dafür gibt. Der soll das dann auffangen und sich noch schlecht fühlen, wenn er das Ganze kritisiert.

Mein Rat: Schreiben Sie mal über eine Woche in 15-Minuten-Schritten mit, welche Aufträge reinkommen und welchen Arbeitsaufwand Sie dafür benötigen. Mit einer solchen Aufstellung kann man schon realistischer mit dem Vorgesetzten reden, weil man einfach Daten hat. Dann kann man manche Aufträge reduzieren oder eine Aushilfe besorgen. Oder aber Sie stellen fest: Der Chef lässt sich nicht mit sich reden. Dann ist klar, dass man sich verändern muss, denn es läuft darauf hinaus, dass man ausgenutzt wird und das auch nicht ändern kann.

Man sollte eine solche Firma also verlassen?

Absolut. Man sieht doch, dass in gewissen Firmen immer die gleichen Positionen offen sind. Das ist kein Zufall, da ist etwas nicht in Ordnung. Es gibt manche Firmen, da sollte man einfach nicht arbeiten. Da sollte man sich nicht aufopfern oder denken, dass man das System von innen ändern kann. Da muss das Unternehmen lernen, dass das Arbeitsvolumen und die Stellen nicht zusammenpassen.

Wenn Menschen wegen Überforderung krank werden, ist das ja auch nicht im Sinne des Unternehmens.

Man hört oft, dass die Krankmeldungen wegen psychischer Probleme explodieren, bei der AOK etwa seit 2010 um 56 Prozent. Das ist ein hoher Kostenfaktor für alle Beteiligten. Man tut, als wäre das ein Naturereignis. Als Arbeitnehmer ist man aber in der Verpflichtung, auf sich selbst zu achten. Die Probezeit gilt schon für beide. Es ist nicht ehrenrührig, früh wieder zu wechseln. Ebenso nicht, nach 20 Jahren zu sagen: Es ist jetzt Zeit für ein neues Kapitel.

Man kann auch im mittleren Lebensalter etwas riskieren. Über 50 sind die Freiheiten eher größer, da ist es besser, mutiger zu werden statt immer ängstlicher, und die Zeit bis zur Rente nur noch abzusitzen.

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