In der CDU Baden-Württemberg vermissen sie schon lange einen, der politischen Aschermittwoch kann. So richtig mit Schenkelklopfern, Spitzen gegen Parteifreunde, scharfem Schwert gegen den politischen Gegner, auch mit Männer-Sprüchen, die im Alltag heute gar nicht mehr gehen. Aber es gibt einen, der es kann und sich die Freiheit nimmt, auf nichts und niemanden Rücksicht nehmen zu müssen. Gestern kam er zum politischen Aschermittwoch der Landes-CDU nach Fellbach vor den Toren Stuttgarts, brachte 1500 Parteifreunde und prominente Amts- und Mandatsträger aus Europa, Bund und Land in der Alten Kelter des Weinstädtchens zum Johlen, dazu gab’s eine flammende Botschaft und eine klare Marschroute ins Europawahljahr und in die Zukunft der CDU überhaupt: Seine Exzellenz, Günther H. Oettinger.

Das könnte Sie auch interessieren

So lautet tatsächlich die formal korrekte Anrede für den schwäbischen EU-Haushaltskommissar, und so prangt es auch auf der großen Leinwand hoch über den Köpfen der CDU-Familie, auch wenn es mancher noch für einen verspäteten Faschingsscherz hält. Oettinger kommt zum Heimspiel nach Fellbach. Und der Sieg auf der ganzen Linie ist ihm gewiss. An den Tischen ist man zwischen Riesling und Weizenbier, zwischen Weißwurst mit süßem Senf und Linsen mit Spätzle, garniert mit Blasmusik der Feuerwehrkapelle, selig über so einen, der kein Blatt vor den Mund nimmt. „Ich liebe euch alle, und wer mich küssen will, soll nachher hinter die Bühne kommen“, ruft Oettinger, und die CDU lacht und liebt ihn dafür zurück. Das war ja nicht immer so in der Beziehung zwischen Oettinger und der Landespartei, die ihre Ministerpräsidenten gerne erst so richtig ins Herz schließt, wenn sie nicht mehr im Amt sind. Aber lang ist’s her.

„Eine Bütt, die nicht aneckt, ist keine Bütt!“

Undenkbar, dass erstens ein solcher Satz von Landeschef und Vize-Regierungschef Thomas Strobl fällt und zweitens solche begeisterten Reaktionen auslöst. Das fällt umso mehr auf, als Strobl in seiner Rede staatstragend und verbindlich bleibt, wie so oft die Einheit von Baden-Württemberg und der CDU beschwört, und sich zwar über Fahrverbote und den grünen Koalitionspartner mokiert, aber eben doch nur ein kleines bisschen. Schließlich, jeder weiß es, sitzt er ja mit im Boot.

Am leidenschaftlichsten wird der Heilbronner, als er die SPD für ihre Idee mit dem bedingungslosen Grundeinkommen geißelt und es um die Aufregung der „roten Pappnasen in Berlin“ über Kramp-Karrenbauers Stockacher Toiletten-Spruch geht. „Wo kämen wir denn hin, wenn nur noch weichgespülte Äußerungen in der Fasnet zulässig wären. Eine Bütt, die nicht aneckt, ist keine Bütt!“ Strobl wird höflich beklatscht, nicht bejubelt. Und dann kommt Oettinger und lässt es krachen. Aber nicht nur das, er hat auch einen Auftrag für seine Partei.

Die grenzenlose EU, der Euro und die Freizügigkeit

Vor 17 Jahren, als CDU-Bezirksvorsitzender Nord-Württemberg und CDU-Landtagsfraktionschef, hatte Oettinger die Veranstaltung in Fellbach selbst ins Leben gerufen. Vor zehn Jahren, damals als Ministerpräsident und auf dem Absprung nach Brüssel, war er zuletzt auf dem Aschermittwoch in Fellbach. Dass er 2019, im Jahr von Europa- und Kommunalwahlen zurückkehrt, ist kein Zufall. Oettinger sorgt sich um die EU, um die Zukunft von Deutschland und Baden-Württemberg darin. Er spannt den politischen Bogen des Kontinents vom 19. Jahrhundert zum Jahr 2050; mahnt – „die fetten Jahre sind vorbei“ – und macht doch Mut.

„2019 muss das Jahr Europas sein, ihr müsst kämpfen, wir müssen kämpfen, mehr, als wir es bis jetzt tun!“, fordert Oettinger, beschwört die grenzenlose EU, den Euro und Freizügigkeit, die europäischen Werte, die auch die der CDU seien. „Wir müssen das verteidigen, und die CDU muss dabei in erster Reihe sein.“ Oettingerverlangt Antwort auf Macrons Europa-Offensive, träumt von einer starken europäischen Armee und einer CDU, die überall vorangeht. Und die Südwest-CDU, sie träumt in Fellbach mit.Erst recht, als es um 2021 geht. Dann wird in Bund und Land gewählt und die CDU soll wieder Nummer eins werden im Südwesten. „Wir sind gut genug, um das zu schaffen“, ruft Oettinger. Nicht wenige in Fellbach dürften gestern bedauert haben, dass es nicht mit Seiner Exzellenz sein wird.