Annalena Charlotte Alma Baerbock, geboren am 15. Dezember 1980. Als sie nach der Macht griff, wollte sie „nicht die Frau an Roberts Seite“ sein. Jetzt ist sie es doch. Es liegt eine feine Ironie darin, dass sie im internen Kandidatenduell einen Mann ausstach, weil sie das richtige Geschlecht hat, um dann komplett von ihm abhängig zu sein. Wegen ihrer Schwäche muss sie jetzt Habeck nach vorne schieben, damit ihre Partei nicht weiter in den Umfragen abschmiert.
Wie konnte es dazu kommen? Dafür gibt es strukturelle Gründe und persönliche. Annalena Baerbock hat Fehler gemacht. Zielsicher springt sie in Fettnäpfe wie ein Frosch in den nächsten Tümpel. Da waren die zu spät gemeldeten Honorare, die sie von ihrer Partei als Co-Vorsitzende für die Leistung in der Corona-Zeit erhalten hat. Da war der aufgeblasene Lebenslauf, in dem sie sich zur Büroleiterin erklärte, obwohl sie nur eine Vertretung war. Da war das zusammengeschusterte Buch mit zu vielen abgeschriebenen Passagen, um als intellektuell zu gelten.

Das alles von der Kandidatin einer Partei, die der organisierte erhobene Zeigefinger ist. Baerbock hat es geschafft, ihre Glaubwürdigkeit durch die stetige Produktion neuer Skandälchen zu ruinieren.
Ein Satz Schuldeingeständnis, nicht mehr
Könnten die Wähler den Kanzler direkt wählen, würden sich derzeit nur noch zwölf Prozent für die Kandidatin der Grünen entscheiden. Kurz nach ihrer gefeierten Kür im April waren es immerhin beinahe 30 Prozent. Das war zwar kein berauschender Wert, aber damit lag sie deutlich vor ihren Konkurrenten Armin Laschet und Olaf Scholz. „Ja, es gab Rückschläge auch in der Kandidatur“, sagt Baerbock heute über ihre Patzer. Sie bemüht sich, das Schuldeingeständnis in einem Satz abzuhandeln. Das haben ihr die Kommunikationsberater aufgeschrieben. Nach Pannen gilt es, vor der Öffentlichkeit den Kotau zu machen. Aber nicht zu tief, um im gleichen Atemzug auf die großen Herausforderungen zu verweisen, die es zu bewältigen gilt.
Bei den Grünen ist das die Erwärmung der Erde, die Dürren, Stürme und Fluten von Jahrhundertereignissen zur neuen Normalität werden lässt. Baerbocks Partei schreiben die Wähler ohne Zweifel die größte Kompetenz zu, den Kampf gegen den Klimawandel entschieden aufzunehmen. Doch angesichts von Katastrophen wie dem Hochwasser im Westen Deutschlands wünschen sie sich jemanden im Kanzleramt, dem sie zutrauen, unter extremer Belastung konzentriert und mit kühlem Kopf zu entscheiden. Dieses Gefühl kann Annalena Baerbock nicht vermitteln, was auch mit ihrem Charakter zu tun hat.
Ein kluger Kopf, aus dem die Gedanken sprudeln
Wer sie in Hintergrundgesprächen erlebt, wenn Mikros und Kameras ausgeschaltet sind, erlebt einen klugen Kopf, aus dem die Gedanken sprudeln. Sie redet ohne Punkt und Komma. Dabei passiert es, dass die Sätze kein Ende finden oder die Grammatik verrutscht. Zu Baerbock gehört es aber auch, dass sie mit den Gedanken schon woanders ist, wenn sie Wahlkampf macht, und sie deshalb Aussetzer hat, die sie dumm wirken lassen. In einer Rede schreibt sie die Einführung der sozialen Marktwirtschaft den Sozialdemokraten zu, als wäre der legendäre Wirtschaftsminister Ludwig Erhard in der SPD gewesen.
Ein Schnitzer passierte ihr auch Anfang August, als sie mit Habeck das erste Mal wieder gemeinsam auftrat. Der Termin war wichtig für die angeschlagene Kandidatin, denn es war die sichtbare Rückkehr Habecks an ihre Seite, auf die sie gerne verzichtet hätte. Es hätte gut ausgehen können. An einer Hütte der Naturfreunde bei Biesenthal im Norden Berlins verkündeten die beiden Grünen-Vorsitzenden ein Klimaschutzsofortprogramm.
Die kleine Wiese säumten hohe Buchen, ein Greifvogel ließ seinen Schrei hören. Ein Experte des Naturschutzbundes (Nabu) führte die beiden zum Abschluss durch das trockengelegte Moor, das die Naturschützer wieder unter Wasser setzen wollen. Baerbock hörte angeregt zu, unterhielt sich freundlich mit einem herbeigeeilten Stadtrat des Städtchens Biesenthal, der das sogenannte Verwässern des Moores mit gemischten Gefühlen sieht.
Habeck bemerkt den Klops sofort
Doch kurz vor dem Ende der Paartherapie im Grünen passierte es. Baerbock verortete sich selbst und das idyllische Fleckchen, auf dem sie gerade Wahlkampf machte, in den Oderbruch. Der Oderbruch liegt viel weiter östlich an der Grenze zu Polen. Habeck bemerkt den Klops sofort. Er weiß in solchen Momenten oft nicht recht, wohin mit sich. Er steckt die Hände in die Hosentaschen, atmet tief ein, blickt zur Seite, als sei ihm die Kanzlerkandidatin peinlich. Man muss dazu wissen, dass Baerbock früher Landesvorsitzende der Grünen in Brandenburg war.

Die Szene verdichtet das schwierige Verhältnis an der Spitze der Grünen. Der unterlegene Habeck muss den zweiten Offizier auf einem trudelnden Schiff geben, während er gerne Kapitän geworden wäre und die Wähler ihn auch für besser geeignet halten. Wenige Tage nachdem sich seine Co-Vorsitzende die Kandidatur mit der Frauenkarte gegriffen hatte, teilte er in einem ausführlichen Interview in der „Zeit“ seine Enttäuschung und seinen Schmerz mit der Öffentlichkeit. „Nichts wollte ich mehr, als dieser Republik als Kanzler zu dienen.“
Die Chancen für den Politik-Philosophen aus dem hohen Norden standen gut. Er ist beliebter als seine Parteifreundin, die ihm den schmerzhaftesten Tag in seiner Karriere zugefügt hat.
Die Wahlkampfmaschine gerät überraschend schnell aus dem Takt
Die persönlichen Schwächen der Kanzlerkandidatin sind das größte, aber nicht das einzige Problem des Grünen-Wahlkampfs. Sie werden durch die organisatorischen Probleme der Partei verdoppelt. Die anderen Parteien sind verdutzt und überrascht, dass die Grünen vollständig in die Defensive geraten sind. Drei, vier Schläge genügten, und die surrende Wahlkampfmaschine geriet aus dem Takt. Eigentlich wollten sie offen bleiben, hässliche Angriffe im Wahlkampf durch Ironie und Dialog parieren. Doch es geschah das Gegenteil und sie zogen sich in die Schützengräben zurück.

Bis dato galt Bundesgeschäftsführer Michael Kellner als brillanter Stratege, der es geschafft hatte, dass nichts vor der Zeit darüber nach außen drang, ob es Habeck oder Baerbock machen würden. Im geschwätzigen Berlin galt das als Meisterleistung. Doch weder hatte Kellner eine Antwort auf die erwartbare Benzinpreisdebatte parat noch prüfte er den Lebenslauf der Kanzlerkandidatin auf Ungereimtheiten. Beides sind Anfängerfehler.
Ihm und seinem Stab fällt derzeit nichts Zündendes ein, um wieder in die Offensive zu kommen. Für die jüngsten Versuche kassierten die Grünen nur noch Spott. In einem Wahlkampfvideo verhackstückten sie das Volkslied „Kein schöner Land“. Eine Schar Grünen-Anhänger sang in schiefen Tönen eigens gedichtete Textzeilen auf die bekannte Melodie. Habeck und Baerbock sangen nicht, sondern sprachen ihre Textfetzen ein. Selbst der Partei wohlgesonnene Journalisten schämten sich fremd. Das gemeinsame Trällern auf anderthalb Minuten war eine Reminiszenz an die Anfänge der Öko-Bewegung, als langhaarige Barden Politisches klampften.
Wohlsituierte Kernwählerschaft leistet sich Lastenrad und Auto
Nur kurz davor spielte das Hauptquartier die Forderung nach einer Förderung für Lastenräder aus. Eine Milliarde Euro soll es für das Lieblingsspielzeug der urbanen Großstadtfamilie geben. Im dazugehörigen Weltbild schaffen die Besitzer ihr Auto ab und betreiben aktiven Klimaschutz. In der Wirklichkeit leistet sich die studierte und wohlsituierte Kernwählerschaft der Grünen trotzdem einen Wagen, und zwar, weil sie es finanziell kann. In ländlichen Regionen hingegen sind Lastenräder ein exotisches Fortbewegungsmittel, und an die Abschaffung des eigenen Autos denkt ohnehin kein Mensch.
Es bleibt eine Distanz zum Wähler vom Land
Diese beiden jüngsten Wahlkampfmanöver zielen also auf die Stammkunden in den großen Städten. Eigentlich wollten die Grünen ein Angebot an alle Wähler machen, um am 26. September stärkste Kraft werden zu können. Doch dieser Ansatz ist nicht mehr durchzuhalten. In der Provinz sorgt man sich um steil steigende Spritkosten, wenn die Grünen wie geplant die CO2-Abgabe hochsetzen. Das Wahlprogramm sieht sogar ausdrücklich vor, dass jeder ein Energiegeld von 75 Euro bekommt, um die Mehrkosten für Tanken und Heizen ausgleichen können.
Doch was der 40-Jährigen nicht gelingt, ist, Programm und Person glaubhaft zu verschmelzen. Sie sagt zwar, sie wisse, „dass man im ländlichen Raum sein Auto braucht“, und betont, dass sie vom Dorf komme. Aber es bleibt eine Distanz zu der Wählerschicht, die mit den Grünen fremdelt. In der Psychologie spricht man davon, dass sie sich in Baerbock nicht spiegeln können.

Dass sie Habeck allein durch ihr Frausein beiseiteschieben konnte, hat nur funktioniert, weil es die Statuten so vorsehen. Im Frühjahr bestach das Argument, dass Baerbock die Frauen, die bisher Angela Merkel (CDU) gewählt haben, zu den Grünen ziehen werde. Das Argument ging so: Eine junge Frau führt die Nation und lebt die Gleichberechtigung vor, denn ihr Mann bleibt zu Hause und kümmert sich um die beiden Töchter. Dieser Mann heißt Daniel Holefleisch. Sollte seine Frau doch noch das Kanzleramt holen, gibt er seinen Posten als Lobbyist für die Deutsche Post auf und wird Hausmann.