Mehr als sechs Wochen tobt der brutale Angriffskrieg Russlands in der Ukraine, und die Bilder, die uns aus den Kampfgebieten erreichen, zeigen nur einen Bruchteil des Leids und der grenzenlosen Verzweiflung der Menschen vor Ort. Um das Elend auch nur annähernd zu begreifen, reichen Worte kaum. Bilder verstärken und lösen Emotionen aus, sie rütteln auf. Aber braucht es diese Bilder aus Kriegsgebieten? Müssen Fotos von dem grauenhaften Massaker an Zivilisten in Butscha wirklich sein? Darf man Tote zeigen, denen die Hände auf dem Rücken gefesselt sind?

Zwei Polizisten tragen die Leiche eines getöteten Zivilisten in Butscha.
Zwei Polizisten tragen die Leiche eines getöteten Zivilisten in Butscha. | Bild: Efrem Lukatsky, dpa

Wir haben uns diese Fragen in der Redaktion mehrfach gestellt, denn der Grat zwischen Dokumentation und Sensationslust ist manchmal sehr schmal. Und wir kommen zu dem Schluss: Man darf die Bilder nicht nur zeigen, man muss sie zeigen.

Es heißt, dass in einem Krieg die Wahrheit zuerst stirbt. Es wird gelogen, vertuscht und in die Irre geführt. Und die Macht der Bilder wächst, weil Menschen in Echtzeit mit ihren Handys publizieren können – Soldaten können es, Zivilisten, Regierungsmitglieder. Und alle tun es. Vom Massaker in Butscha veröffentlichte zuerst die ukrainische Regierung Fotos, ohne jede Angabe von Quellen oder Bezügen. Doch wie wahrhaftig sind diese Dokumente? Überprüfen konnten wir es nicht.

Die Achtung der Würde des Menschen überdauert auch seinen Tod

Deshalb ist es wichtig, dass Reporter unabhängiger Medien vor Ort im Einsatz sind. Sie sind nicht Teil einer Kriegspropaganda, sondern auf der Suche nach Wahrheiten. Sie riskieren ihr Leben, um das Grauen zu dokumentieren und mit ihrem gefährlichen Job den vielen namenlosen Opfern einen Namen zu geben. Diese Reporter-Kollegen sind keine Heroen oder Helden, sie wollen es auch nicht sein. Alle Kriegsreporter, die ich bisher kennenlernen durfte, handelten aus dem Antrieb, Gräuel sichtbar zu machen, damit die Welt nicht vergisst.

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In den Redaktionen dieser Welt kommen jeden Tag Bilder an, die die eigene Vorstellungskraft weit übertreffen, auch beim SÜDKURIER. Viele Bilder zeigen tote Menschen, die in den Kriegswirren umgekommen sind. Wir zeigen einige diese Bilder. „Das ist grundsätzlich angemessen, um das Grauen des Krieges zu dokumentieren“, sagt Medienethiker Christian Schicha von der Uni Nürnberg-Erlangen. „Gleichwohl ist darauf zu achten, dass diese Menschen nicht zu identifizieren sind, um die Opfer und die Angehörigen zu schützen.“

Ein lebloser Körper eines Mannes mit auf dem Rücken gefesselten Händen liegt in Butscha auf dem Boden.
Ein lebloser Körper eines Mannes mit auf dem Rücken gefesselten Händen liegt in Butscha auf dem Boden. | Bild: Vadim Ghirda, dpa

Dieser Empfehlung folgen wir auch beim SÜDKURIER. Unser Grundsatz lautet: Wir zeigen keine Details, wir zoomen nicht auf Verletzungen und wir machen Gesichter unkenntlich. Denn die Achtung der Würde des Menschen überdauert auch seinen Tod.

Im Netz gibt es dieselben Bilder, aber ohne Erklärung

Opfern ein Gesicht zu geben, ohne ihr Gesicht zu zeigen, das ist auch die Empfehlung des Deutschen Presserats. Ziffer 11 des Pressekodex für Redaktionen empfiehlt, darauf zu achten, dass Opfer durch die mediale Darstellung nicht zusätzlich herabgewürdigt werden. Auch sei zu bedenken, dass die Platzierung bildlicher Darstellungen mögliche Wirkungen auf Kinder und Jugendliche hat.

So gibt es immer wieder Leserinnen und Leser, die sich deshalb bei der Redaktion melden und sich wünschen, Opferbilder nicht zu zeigen. Diese Kritik nehmen wir ernst. Wir wissen aber auch, dass gerade Jugendliche mit Bildern und Videos in den sogenannten sozialen Netzwerken permanent konfrontiert werden – meist ohne Kontext und Erklärung. Und wir hören die Menschen in den Kriegsgebieten, die den Journalisten-Kollegen vor Ort zurufen, dass sie alles fotografieren sollen, um es der Welt zu zeigen.

Wir wissen, dass es in dieser schwierigen Frage kein Richtig oder Falsch gibt. Wir versprechen aber, dass wir auch künftig unsere Entscheidungen sehr sorgfältig abwägen werden.