Mal ehrlich: Wenn ich Landwirt wäre, wenn ich einen Traktor hätte, wahrscheinlich wäre ich auch dabei beim Bauernprotest. Es ginge dann immerhin um mein Interessen, mein Geld. Nachvollziehbar also, dass die Betroffenen für ihre Sache einstehen. Doch genau so sollte man das dann auch bewerten. Und damit tragen auch sie ihren Teil dazu bei, dass die politische Meinungsbildung in Deutschland derzeit einer Großraumdisco gleicht, nur schlimmer.

Apotheker, Ärzte, Lokführer, Gastronomen und eben Landwirte, aus allen Ecken wummern die Bässe. Gestreikt wird, lahmgelegt wird möglichst die ganze Gesellschaft, nur weil einzelne politische Entscheidungen nicht genehm sind. Jeder spielt seine Hymnen auf maximaler Lautstärke ab – und trifft die ohnehin schon gereizten Nerven der Bürger.

Erstaunlich ist deren Reaktion. Mit Ausnahme von Feindbild Weselsky können sich Dehoga, Bauernverband, ja selbst Ärzteverband darauf verlassen, von den Menschen in diesem Land eher als die Guten gesehen zu werden. Das Motto: die Bösen in Berlin, die Guten vor Ort. Ein seltsamer Schluss.

Es ist nichts anderes als Lobby-Arbeit

Davon abgesehen, wie berechtigt einzelne Forderungen sein mögen, muss man doch erkennen: Die Branchen, die derzeit protestieren, verfügen über eine herausragende Lobby-Arbeit, auch finanziell. Das sind keine neutralen Experten, müssen sie auch nicht sein. Aber so müssen wir sie erkennen: Als Akteure, die für die eigene Sache trommeln, mit den Argumenten, die ihnen passen. Es gibt keinen Grund, einen Bauernverbandspräsidenten weniger kritisch zu hinterfragen als einen Politiker.

Umso seltsamer ist der schwache öffentliche Gegenwind, da es seitens der Protest-Gruppen zu groben und gröbsten Entgleisungen kommt. Die Ampel am Galgen, wie sie Landwirte an manchen Ortseingängen errichtet haben, kann man mit ganz viel gutem Willen noch als plumpe Geschmacklosigkeit abtun.

Eine Ampel am Galgen, hier in Grenzach-Wyhlen.
Eine Ampel am Galgen, hier in Grenzach-Wyhlen. | Bild: Badische Zeitung (BZ)

Seltsame Ausladung von Özdemir

Eigenartig ist es dann schon, wenn ein Aalener Brauereichef mit einer kurzfristigen Ausladung Cem Özdemir brüskiert. Solidarität mit den Landwirten soll das gewesen sein. Solidarität ist also, wenn man öffentlichkeitswirksam eine einzigartige Gesprächsmöglichkeit mit einem streicht, der etwas bewegen kann? Das ist zumindest irritierend.

Die Landwirte und die Trittbrettfahrer, die Robert Habeck am Fähranleger auflauerten und auch dort ein Gesprächsangebot ablehnten, sind ohnehin jenseits von Gut und Böse unterwegs. Hier wird die Schmerzgrenze der politischen Streitkultur weit überschritten.

Wütende Bauern hindern Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) in Schlüttsiel in Schleswig-Holstein am Verlassen einer Fähre.
Wütende Bauern hindern Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) in Schlüttsiel in Schleswig-Holstein am Verlassen einer Fähre. | Bild: NEWS5/dpa

Wer hört die Leisen?

Diese unerträgliche Lautstärke ist aber noch aus einem anderen Grund eine Gefahr. Sie droht, das politische Hörvermögen dauerhaft zu schädigen. Denn längst nicht jeder hat das Geld und die Macht, so für seine Interessen einzustehen. Kinder etwa, von Bildungsmisere bis Grundsicherung, wer soll für sie kämpfen? Alle Eltern, indem sie nicht zur Arbeit erscheinen? Kraftvoll wäre das, ist nur völlig unrealistisch.

Und wie sollen benachteiligte Kleingruppen unserer Gesellschaft einen ähnlichen Wirbel erzeugen? Arme, Abgehängte, Vergessene, sie haben keine Traktoren, sie haben keine gut bezahlten Lobbyisten in Berlin, sie können nichts lahmlegen – sie gehen unter im Lärm.

Immer wenn nur derjenige gehört wird, der brüllt, stirbt ein Stück Demokratie. Denn es ist die edelste Eigenschaft dieser Staatsform, dass sie jenen am aufmerksamsten zuhört, die nicht laut sein können, deren Leiden ein stilles ist.

Das Versagen der Ampel

Bitter ist umso mehr, dass die Ampel in Berlin unfähig ist, den Lärm zu stoppen. Sie fördert ihn sogar: SPD, Grüne und FDP wirken längst selbst wie drei sich stets widersprechende Lobbyvereinigungen, denen es auch nur um Einzelinteressen geht. Da schreit man sich lieber gleich gegenseitig an, und wenn irgendeine Lobby zu laut wird, naja, dann gibt man ihnen halt doch, was sie wollen.

Ein Kanzler, der nichts sagt, ist auf offene Ohren ohnehin nicht angewiesen. Und da wundert sich noch einer, wenn am Ende nur Populisten-Schreihälse gehört werden?