Es ist schon ein wenig bizarr: Die für Deutschland wohl wichtigste Wahl des Jahres findet ohne uns statt. 230 Millionen Amerikaner entscheiden kommenden Dienstag über ihren neuen Präsidenten – der Rest der Welt ist zum Zuschauen verdammt.

Für den wichtigsten Posten, den die Welt zu bieten hat, haben eben nur US-Bürger über 18 und ohne schwere Vorstrafen Stimmrecht. Dabei entscheidet der Mann oder die Frau im Weißen Haus über unser aller Schicksal. Wir sind daran nicht ganz unschuldig.

Nicht zuletzt ist für Europa entscheidend, welchen Weg die USA in Sachen Ukraine einschlagen. Wie es in dem von Russland angegriffenen Land weitergeht, ob es überhaupt weitergeht, hängt maßgeblich davon ab, ob Donald Trump oder Kamala Harris ans Ruder kommen.

Der Republikaner hat mehrfach angekündigt, dass mit ihm der Krieg binnen 24 Stunden Geschichte sei. Das geht nur, wenn man Russland extrem entgegenkommt. Von Harris darf man annehmen, dass sie Joe Bidens Linie fortsetzt – so lange die Abgeordneten die Mittel dafür genehmigen.

Trump könnte den Krieg zu einem sehr hohen Preis beenden

Das Szenario Trump kann man sich bildlich ausmalen: Trump, Selenskyj und Putin treffen sich – möglicherweise in der Türkei. Trump macht dem ukrainischen Präsidenten klar, dass dessen Land fortan nur noch mit finanziellen Hilfen rechnen kann, wenn es die Gegenwehr einstellt.

Putin muss sich auf den bereits eingenommenen Osten des Landes beschränken und bekommt dafür zugesichert, dass die Ukraine niemals in die Nato aufgenommen wird. Händeschütteln, der Deal steht!

Die Europäer bleiben selbstverständlich außen vor. Auch wenn sie es sind, die vorwiegend mit den Folgen zurechtkommen müssen: einer Ukraine, die immer weniger Menschen lebenswert erscheint, in der Folge viele Flüchtlinge – und die Aussicht darauf, dass Putin in ein paar Jahren erneut zuschlagen wird.

Vielleicht ist dann auch ein Nato-Staat dran, was Trump wenig kümmert – von der Nato hält er schließlich nichts. Der neue US-Präsident wird den Europäern ohnehin klarmachen, dass sie für ihre eigene Sicherheit alleine verantwortlich sind. Zölle auf die Einfuhr deutscher Produkte in die USA können zusätzlich überzeugend wirken.

Kaum ein Deutscher will Trump

Nein, wir haben wahrlich kein Interesse an einer zweiten Amtszeit Donald Trumps. Tatsächlich sind auch nur zwölf Prozent der Deutschen für Trump. Wir können nur hoffen, dass er nicht gewählt wird. So ermutigend für einige die Aussicht auf einen schnellen Frieden im Osten Europas sein mag – der wäre teuer erkauft und trügerisch, die Folgen potenziell katastrophal.

Beigetragen hat dazu aber auch Europa. Die Strategie, die Ukraine so gut auszustatten, dass sie Russland Paroli bieten kann, aber doch nicht so gut, dass Russland in die Niederlage gedrängt wird, kann nicht aufgehen. Das vorsichtige Deutschland hat sie mitgetragen und mit forciert.

Bleiben wir hart

Für eine mögliche zweite Amtszeit Trumps gilt es, nicht den Kopf in den Sand zu stecken. Ganz im Gegenteil. Trump liebt harte Hunde und verachtet Schwächlinge. Deals mag er nur mit Ersteren machen, die anderen lässt er links liegen. So herausfordernd das sein mag: Europa sollte sich diese Erkenntnis zunutze machen und Stärke und Einigkeit demonstrieren, wo es nur geht.

Auch in Sachen Sicherheit werden wir umdenken müssen. Zu lange hatten wir das Thema praktisch an die USA delegiert, das muss sich schleunigst ändern. Die EU muss selbst stärker werden.

America First: Bei Trump erst recht, aber nicht nur bei ihm

Trumps Devise, dass Amerika in allem zuerst kommen muss, betrifft nicht nur die Frage von Krieg und Frieden. Es geht auch eine Stufe weniger dramatisch – wenn auch nicht weniger gravierend: Die wirtschaftlichen Beziehungen sind als erstes betroffen, wenn Amerika Arbeitsplätze zuhause sichern will.

Dass er die Zölle hochsetzen will, hat Trump bereits angekündigt: 60 Prozent auf US-Importe aus China, 20 Prozent auf Importe aus der restlichen Welt. Das träfe gerade den Exportweltmeister ins Mark, auch die baden-württembergische Industrie.

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Betroffen wären davon nicht nur die großen Maschinen- und Autobauer oder die Pharmariesen. Das kann auch Auswirkungen auf den Arbeitnehmer haben: Wenn deutsche Konzerne dem Lockruf in die USA folgen, dort ihre Standorte ausbauen, um weiter am Autogeschäft in den Staaten zu partizipieren, schlägt das auch auf die Arbeitsmarktsituation in Deutschland durch.

Wobei „America first“ (Amerika zuerst) längst kein Alleinstellungsmerkmal des Republikaners ist. Biden hat dessen Politik schon fortgesetzt, Harris wird dies auch tun.

Egal wer künftig in den Staaten regiert, Deutschland muss wirtschaftspolitisch härtere Bandagen anlegen, mehr Verantwortung übernehmen für seine Sicherheit. Die Erkenntnis ist nicht neu – die Umsetzung aber fehlt.