Der 3. Oktober ist der deutsche Nationalfeiertag, aber er bewegt weder Herz noch Seele. Die wichtigste Frage, die sich an diesen Tag stellt, ist, ob man ein verlängertes Wochenende freihat und sich ein Kurzurlaub im goldenen Herbst anbietet. Nirgends versammeln sich Leute, um freudig die Wiedervereinigung Deutschlands nach 40 Jahren Teilung zu feiern. Nirgends schwarz-rot-goldene Fahnen und ein Glas Sekt dazu.

Der Tag der Einheit ist ähnlich emotionslos wie die Beantragung eines Anwohnerparkausweises im Gemeindeamt. Genau daran erinnert er auch, an den Verwaltungsakt des Beitritts der ostdeutschen Bundesländer zur Bundesrepublik und ihrer Ordnung. Genauso hölzern gerät das jährliche Einheitsfest, bei dem Politiker mit ernster Miene dieselben Stanzen sprechen („viel erreicht, viel zu tun“). Nirgendwo Heiterkeit, Freude, Stolz oder Unbeschwertheit. Ein Feiertag, den niemand feiert, kann weg auch weg.

Von Anfang an ein Notnagel

Von Beginn an war er eine Verlegenheitslösung. Der 9. November als Tag des Mauerfalls schied wegen historischer Vorbelastung (Hitlerputsch, Reichspogromnacht) aus. Daraus resultiert auch das seltsame Doppel-Erinnern an den Wendeherbst. Dem staatstragenden, blutleeren Auftakt am 3. Oktober folgt der 9. November mit den ewig gleichen Bildern der Trabi-Kolonnen und Mauerspechten. Dazwischen zeigen die Fernsehsender Dokumentationen. Der 3. Oktober läuft voran, klappert aber gleichsam ein Jahr hinterher. In diesem Jahr jährt sich der Mauerfall zum 35. Mal, während nächstes Jahr das halbrunde Jubiläum der Wiedervereinigung ansteht.

Um dem Erinnern an die Revolution von 1989 und die Deutsche Einheit gefühlige Tiefe zu verleihen, wird seit einigen Jahren über eine Verlegung des Feiertages nachgedacht, beispielsweise auf den 9. Oktober, als seinerzeit in Leipzig das erste Mal Zehntausende gegen die DDR-Diktatur auf die Straße gingen. Dass dieser Terminwechsel etwas verändern würde, steht indes nicht zu erwarten.

Von Einheit ist ohnehin nicht mehr viel die Rede, spätestens seit Ost und West unterschiedlich wählen. Die AfD hat im Osten ihre Bastionen, das BSW schickt sich von hier aus an, das Parteiengefüge noch stärker durcheinanderzubringen. Der Soziologe Steffen Mau aus Rostock meint, dass sich die beiden Landesteile auseinander entwickeln, statt dass die frühere DDR der Bundesrepublik immer ähnlicher wird.

Die Machtverhältnisse kippen

Interessanterweise kehren sich dabei die Machtverhältnisse um: Der ökonomisch und vom Bevölkerungsanteil schmächtige Osten stellt die Wohlgeordnetheit des übermächtigen, alten Westens in Frage. Vergessen wird, dass die übersichtliche Welt der Bundesrepublik schon 1990 vorbei war, sich aber noch gute 30 Jahre konservieren ließ. Jetzt löst sie sich auf in der Zeitenwende des Ukraine-Krieges, des Klimawandels, der Migrationsströme und neuen ökonomischen Härten, wie zum Beispiel einer konkurrenzfähigen chinesischen Autoindustrie. Gemütlich war gestern.

In der Anerkennung der Unterschiedlichkeit zwischen Ost und West läge ein erster Schritt, um nicht immer müßig auf der Frage herumzukauen, warum der Ossi so komisch ist und so seltsam wählt. Kommt es zu diesem Einverständnis, braucht es erst recht keinen Feiertag mehr, der an eine Einheit erinnert, die sich nie ergeben hat.

Daraus leiten sich verschiedene Optionen ab: Der Feiertag fällt weg und durch die von allen geleistete Mehrarbeit werden die Sozialkassen entlastet. Oder die Deutschen erklären den Internationalen Frauentag am 8. März zum bundesweiten Feiertag, wie er heute schon in Berlin einer ist. Thüringen hat den Weltkindertag zum Feiertag gemacht, auch dieser Tag verspricht mehr Freude als der 3. Oktober. Übrigens: Der Autor dieses Textes stammt aus Ostdeutschland und ist mit der Gesamtsituation recht zufrieden.