„Eine Woche keine Sirenen und kein Luftschutzbunker, das ist für uns sehr ungewöhnlich“, sagt Marko Bondarenko (Name von der Redaktion geändert). „Luftalarm, Explosionen und Zerstörungen sind unser Alltag.“ Auch hier, irgendwo im beschaulichen Südwesten Deutschlands, schaut der 30-jährige Offizier der ukrainischen Armee immer wieder besorgt nach oben, wenn ein Flugzeug vorbeifliegt, reflexartig wird der Himmel nach Gefahren abgescannt.

Bondarenko ist der Leiter einer zehnköpfigen Delegation der ukrainischen Armee. Techniker, Fahrer und ärztliches Personal werden in der Bodenseeregion an einer medizinischen Rettungsstation ausgebildet. Hergestellt wurde sie im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland von Rheinmetall Mobile Systeme (RMS) in Meckenbeuren. Das Training durch die RMS-Mitarbeiter findet an einem geheimen Ort statt. Die ganze Aktion läuft äußerst diskret ab. Die Namen der Soldaten dürfen nicht genannt werden, fotografiert werden sie nur von hinten. Die SÜDKURIER-Redaktion bekommt einen exklusiven Einblick in das Training.

Auch eine Möglichkeit abzuschalten vom Krieg

„Wir möchten uns für den warmen Empfang bedanken, wir sind sehr beeindruckt von der Gastfreundschaft“, sagt Bondarenko. „Unsere Hauptaufgabe ist es natürlich, zu lernen, wie man mit diesem Equipment arbeitet, aber der Aufenthalt gibt uns die Möglichkeit, etwas anderes zu sehen und abzuschalten.“

Ukrainische Soldaten werden in Baden-Württemberg an der mobilen Rettungsstation von RMS ausgebildet.
Ukrainische Soldaten werden in Baden-Württemberg an der mobilen Rettungsstation von RMS ausgebildet. | Bild: Alexander Tutschner

Zum fünften Mal wird vor einigen Wochen eine mobile Rettungsstation von Rheinmetall an die ukrainische Armee übergeben. Zehn Soldaten werden von RMS-Mitarbeitern geschult. Sie müssen verschiedenste Qualifikationen mitbringen. „Es geht nicht nur um Medizintechnik, sondern auch um die Infrastruktur“, sagt Alexander Lutz, Head of Sales bei RMS.

Angereist sind demnach Mediziner aus den Bereichen OP-Technik, Intensiv-, Anästhesie- und Röntgenmedizin. Dazu kommen fünf Techniker, die die Qualifikation mitbringen, die Infrastruktur auf- und abzubauen und die sich in den Bereichen Klimatechnik, Wasser, Elektrik und Fahrzeugtechnik auskennen. Alle zehn Frauen und Männer sind Soldaten der ukrainischen Armee, die in Militärhospitälern arbeiten.

Teams sind aus Saporischschja, Odessa, Kiew, Irpin und Dnipro

Die ersten vier Teams kamen aus den Regionen Saporischschja, Odessa, Kiew und Irpin. Die aktuelle Mannschaft stammt aus Dnipro. Die mobilen Systeme werden zunächst an die dortigen Militärkrankenhäuser geliefert. „Keines der Systeme bleibt aber da, wo die Soldaten herkommen“, sagt Lutz, „letztlich entscheidet die Heeresführung, wo es gebraucht wird.“

Lutz betreut das Team rund um die Uhr, von der Anreise und Unterbringung über das Training bis zur Abreise und überwacht am Ende auch die Übergabe der Ausrüstung an die Ukraine. Er steht auch nach der Auslieferung in Kontakt mit den Teams. Schließlich kommen auch im Nachgang immer wieder Fragen zu den Systemen auf. Durch die intensive Trainingszeit rücke man zusammen, sagt Lutz.

20 bis 30 Kilometer hinter der Front

„Die mobile Rettungsstation kommt relativ nah ran an das Kriegsgeschehen“, sagt Lutz zum Einsatzgebiet. Er schätzt, dass es irgendwo 20 bis 30 Kilometer hinter der Front stationiert wird. Das Prinzip der Rettung sei, dass verletzte Soldaten zunächst im Schützengraben erstversorgt werden. Bei nächster Gelegenheit werden sie zur mobilen Rettungsstation transportiert. Von dort geht es dann nach einer weiteren Behandlung in ein stationäres Krankenhaus.

Der OP-Saal in der mobilen Rettungsstation.
Der OP-Saal in der mobilen Rettungsstation. | Bild: Alexander Tutschner

„Wir haben sehr gute Ärzte“, sagt Bondarenko, „sie vollbringen manchmal medizinische Wunder.“ Im Krieg müssten sie ihre Arbeit aber oft irgendwo auf dem blanken Boden tun, „jetzt bekommen sie dafür eine weitere qualifizierte Einrichtung.“ Diese Art von Ausstattung sei gerade in kleinen Dörfern an der Frontlinie völlig neu und erhöhe die Effizienz der medizinischen Hilfe um ein Vielfaches.

Retter werden von Russland bewusst attackiert

Das mobile System kann in kurzer Zeit abgebaut und verlegt werden. „Das muss es auch“, sagt Lutz, durch den Drohnenkrieg hätten sich die Verhältnisse im Krieg völlig verändert. „Wenn sie heute von einer Drohne entdeckt werden, haben sie maximal eine halbe Stunde um abzuhauen.“ Ukrainische Rettungskräfte hätten in diesem Krieg eine Sterblichkeitsrate von zirka 40 Prozent. Russische Drohnen würden Ziele oft eine Stunde nach der eigentlichen Attacke nochmals angreifen, weil klar sei, dass dann die Rettungskräfte vor Ort seien.

Marko Bondarenko trägt während des Trainings in seiner kurzen Zeit in Deutschland wie seine Kameraden eine Bundeswehruniform ohne Hoheitsabzeichen. Die zehn Männer und Frauen haben noch nie an einem solch komplexen System gearbeitet, alles ist neu. „Am ersten Tag haben wir gelernt, wie man das Krankenhaus komplett aufbaut“, sagt er. Anschließend folgte die Einweisung in die medizinische Ausrüstung. „Das Krankenhaus ist voll ausgestattet, wir haben die Möglichkeit, volle medizinische Versorgung zu leisten. Wir können Verletzte bergen, stabilisieren und chirurgische Eingriffe durchführen.“

Am Ende steht ein Krankenhaus im Kleinformat

Die mobile Rettungsstation umfasst insgesamt sechs Container, die auf drei LKW und Anhängern transportiert werden. Ein Container bildet das Technik-Modul mit Diesel-Stromgenerator und 4000-Liter-Wassertank. „Die Station funktioniert völlig autark“, sagt Lutz. Die Module werden am Einsatzort nach einem genauen Plan zusammengestellt und über Schleusen verbunden. Mehrere Container können auf beiden Seiten ausgefahren werden und damit ihre Arbeitsfläche verdreifachen. Am Ende entsteht ein komplettes Mini-Krankenhaus.

Wie läuft die Behandlung der Verwundeten ab? Am Anfang steht die Triage, hier ordnen Ärzte die Verwundeten nach ihrem Verletzungsgrad ein. Sie müssen zunächst entscheiden, ob eine Behandlung überhaupt noch Sinn macht. Für die, die es in die Station schaffen, gibt es zunächst zwei Erstbehandlungsplätze, erklärt Alexander Lutz: „Defibrillator, Beatmungsgerät, Absaugpumpe für Wundsekrete.“

Von hier führt eine Schleuse in den Röntgen-Shelter. Eine zweite direkt zur OP-Vorbereitung und von dort zum nächsten Container mit dem OP-Saal. Im letzten Raum der Station befinden sich schließlich drei Intensivbetten, hier können die Patienten nach der OP für eine kurze Zeit versorgt und stabilisiert werden. Anschließend müssen sie möglichst schnell in ein größeres Krankenhaus verlegt werden.

„Das System ist außerordentlich wichtig für uns“

„Es kommt vor, dass verwundete Soldaten ein oder zwei Wochen im Schützengraben ausharren müssen“, sagt Bondarenko. Der große Vorteil der mobilen Rettungsstation von RMS sei, dass sie näher an die Kampflinie gebracht werden könne. „Das System ist außerordentlich wichtig für uns“, sagt der Soldat. Der Offizier glaubt, dass es extrem schnell zum Einsatz kommt. Die Aufgaben und Befehle würden oft von heute auf morgen gestellt. Die Frontlinie bewege sich schnell. „Wir sind jederzeit bereit.“ Alternativ kann die mobile Krankenstation auch in Städten zum Einsatz kommen, wenn hier Krankenhäuser durch Bombenangriffe zerstört wurden.

Sicher verstaut: Das OP-Besteck im mobilen OP-Saal.
Sicher verstaut: Das OP-Besteck im mobilen OP-Saal. | Bild: Alexander Tutschner

Bondarenko ist ausgebildeter Apotheker. Vor dem Krieg war er Vertreter bei einer pharmazeutischen Firma, wie er sagt. Als der Krieg anfing, wollte er seine Kenntnisse der Armee zur Verfügung stellen und meldete sich freiwillig. Seine Aufgabe ist es seither, das Militär mit medizinischen Geräten und Medikamenten zu versorgen, im weitesten Sinn gehe es um Nachschub im Sanitätswesen. In diesen Bereich falle jetzt die Versorgung der Militärärzte und der medizinischen Fachkräfte mit der mobilen Rettungsstation.

Bedingungen wie im stationären Krankenhaus

Beim Rheinmetall-Konzern, der 2021 Zeppelin Mobile Systeme (ZMS) in Meckenbeuren übernommen hat, wurden mobilen Rettungsstationen immer weiter perfektioniert. „Reinraumklimaanlage und -filter sind dieselben wie in einem Krankenhaus“, sagt Alexander Lutz. Die Temperatur werde auf konstante 20 Grad eingestellt.

Ärzte und Sanitäter der ukrainischen Armee werden in der mobilen Rettungsstation von RMS ausgebildet.
Ärzte und Sanitäter der ukrainischen Armee werden in der mobilen Rettungsstation von RMS ausgebildet. | Bild: Alexander Tutschner

Der Raum erfülle die gleichen Anforderungen wie ein OP-Saal in einem stationären Krankenhaus. Die Ausstattung ebenfalls: Beatmungsmonitor, Elektrochirurgie, steriles OP-Besteck, laut RMS alles hochwertiges Material. Im Gegensatz zum stationären Krankenhaus, sind hier jedoch alle Geräte so abgefedert, dass sie beim Transport keinen Schaden nehmen. Außerdem muss die ganze Einrichtung auf eine wesentlich niedrigere Deckenhöhe angepasst sein, auf etwa 2,20 Meter anstelle von 3,50 Metern in einem OP.

Und die ganze Logistik ist auf Wiederverwertbarkeit ausgelegt, alles wird systematisch in transportablen Alu-Koffern verstaut. Im stationären Krankenhaus gibt es dagegen viele Einmalprodukte. „Das ist unser Knowhow“, sagt Lutz, „diese Dinge so zu verbauen, dass sie im Einsatz funktionieren.“

Beim Erscheinen dieses Artikels ist das neue mobile Rettungssystem vielleicht schon im Einsatz. Als kleiner Teil im Kampf der Ukrainer gegen den russischen Angriffskrieg. „Jeder gibt sein Bestes“, sagt Marko Bondarenko vor einigen Tagen zur Stimmung in der Armee gegenüber dem SÜDKURIER. „Alle sind bereit, weiter hart zu arbeiten, bis es zum Sieg kommt.“ Und: „Alle verstehen, dass sie ihre Heimat verteidigen und glauben an die Stärke der Armee“, sagt der Offizier. Luftalarm, Explosionen und Zerstörungen sind jetzt wieder sein Alltag.