Herr Brücker, in Deutschland wird zuletzt viel über eine Arbeitspflicht für Flüchtlinge diskutiert. Teilweise dürfen die aber gar nicht arbeiten. Müssten wir nicht also eher über Arbeitsberechtigungen reden?

Grundsätzlich unterliegen Flüchtlinge während der Asylverfahren einem Beschäftigungsverbot, maximal jedoch früher für neun Monate, seit den jüngsten Änderungen für sechs Monate. In den ersten drei Monaten gilt das Beschäftigungsverbot absolut, danach kann die Beschäftigung durch die Ausländerämter nach Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit erlaubt werden.

Das ist aber sehr bürokratisch und unattraktiv für Arbeitgeber, weil der Ausgang des Asylverfahrens noch ungewiss ist. Fairerweise muss man sagen: Die wenigsten Geflüchteten würden in dieser Zeit einen Job finden. Wir beobachten, dass mit Abschluss der Verfahren die Beschäftigung deutlich zunimmt. Deshalb sind schnelle Asylverfahren so wichtig.

Damit man nicht jemanden anlernt, der kurz darauf das Land verlassen soll?

Genau. Anders als häufig angenommen, haben die allermeisten Menschen, die herkommen, ein berechtigtes Schutzinteresse – ihre Anträge werden also angenommen. Nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes haben 86 Prozent der Schutzsuchenden, die heute in Deutschland leben und über deren Anträge final entschieden wurde, einen anerkannten Schutz- und Aufenthaltsstatus. Wenn wir die Fälle herausrechnen, die Deutschland direkt aufgenommen hat, oder die aufgrund besonderer Integrationsleistungen einen Aufenthaltsstatus bekommen haben, sind es immer noch 80 Prozent.

Das scheint auf den ersten Blick der Entscheidungsstatistik des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zu widersprechen, dort liegt die Anerkennungsquote bei gut 50 Prozent. Aber das täuscht, weil es dort nur um erstinstanzliche Entscheidungen und Asylfolgeanträge geht. Auf dem Instanzenweg, durch Gerichtsverfahren und außergerichtliche Entscheidungen werden noch viele anerkannt.

Prof. Dr. Herbert Brücker ist seit 2005 Leiter des Forschungsbereichs Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung am ...
Prof. Dr. Herbert Brücker ist seit 2005 Leiter des Forschungsbereichs Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung | Bild: Wolfram Murr

Derzeit werden die Flüchtlinge dann nach dem Königsteiner Schlüssel verteilt und kommen so oftmals in Orte ohne Beschäftigungsmöglichkeiten. Es entsteht der Eindruck, dass nicht nach der sinnvollsten Unterbringung gesucht wird, sondern nach der mit dem geringsten Widerstand. Verteilen wir also überhaupt nach den richtigen Kriterien?

Die Verteilung ist in der Tat ineffizient. Der Königsteiner Schlüssel richtet sich nach Bevölkerung und Steueraufkommen. Wir haben das aber mal nachgerechnet: Weil das Steueraufkommen stark von der Bevölkerungszahl abhängt, richtet sich die Verteilung im Grunde nur nach der Bevölkerung. Dann verteilen die Länder die Menschen weiter, und zwar dorthin, wo der Wohnraum billig ist, also in strukturschwache Regionen.

Im Endergebnis wurden die Geflüchteten dorthin verteilt, wo die Arbeitslosenquote überdurchschnittlich hoch ist. Wir wissen aus unserer Forschung: Wenn die Arbeitslosenquote an einem Ort einen Prozentpunkt höher ist als im Bundesdurchschnitt, sinkt die Erwerbstätigkeitswahrscheinlichkeit Geflüchteter mittelfristig um fünf Prozentpunkte. Das ist ein enormer Hebel.

Noch einmal zum Verständnis: Wo es eh schon viele Arbeitslose gibt, bleiben auch Geflüchtete eher arbeitslos?

Exakt. Und wir verteilen diese Menschen in Regionen, in denen es nicht so richtig gut läuft und halten sie danach mit der Wohnsitzauflage dort fest. Das ist im Prinzip ziemlich dumm. Natürlich können wir auch nicht alle Menschen in Hamburg, München, Berlin oder Stuttgart unterbringen. Aber bei der Verteilung sollten Arbeitsmarktkriterien berücksichtigt werden. Dann ginge vieles schneller.

In den Ballungsgebieten gibt es aber das Problem der Wohnungsknappheit – wie kann es also gehen?

Als der Ukraine-Krieg ausbrach, haben wir ein Modell entwickelt. Dabei werden Arbeitsmarktlage, Mietmarkt und Kinderbetreuung als Indikatoren berücksichtigt. Würden wir danach verteilen, könnten wir die Erwerbstätigenquote um drei bis vier Prozentpunkte erhöhen.

Es gibt inzwischen Vorschläge für Programme, die auf Basis von Algorithmen oder per App die Verteilung intelligent organisieren könnten.

Ja, da ist viel Bewegung drin. Dabei spielen dann auch Erkenntnisse aus der Arbeitsmarktforschung eine Rolle. Wir wissen etwa, dass Migranten eher in größere oder mittlere Städte gehen, allein schon, weil es da mehr verschiedene Jobs gibt: alles von der Dönerbude bis zum hoch qualifizierten IT-Manager. Das gibt es auf dem Land nicht. Es kommen sehr viele hoch qualifizierte Menschen mit akademischen Abschlüssen hier her und viele Menschen ohne berufliche Ausbildung. Beide Gruppen finden in Städten ein besseres Angebot.

In Baden-Württemberg und auch in Bayern ist die Erwerbstätigenquote unter den Geflüchteten höher als andernorts in Deutschland. Wie kommt das?

Das liegt natürlich an den geringen Arbeitslosenquoten und der guten Wirtschaftslage in diesen Bundesländern. Das setzt sich, wie schon gesagt, bei den Geflüchteten fort. Leider sind in beiden Ländern weniger Schutzsuchende untergebracht, als es etwa der Verteilung nach dem Königsteiner Schlüssel entspräche. Wir wissen nicht genau, woran das liegt.

Ob von diesen Ländern schon in der Anfangsverteilung weniger Geflüchtete aufgenommen wurden, oder ob einige der Geflüchteten dort trotz Wohnsitzauflage weggezogen sind. Nachweisen kann man das nicht. Aber das wirkt sich natürlich nachteilig auf die Arbeitsmarktintegration im deutschen Durchschnitt aus.

Die Bundesregierung hat Gesetze auf den Weg gebracht, die Fachkräfteeinwanderung erleichtern sollen. Müsste Deutschland nicht viel mehr darauf setzen, die zu Fachkräften zu machen, die schon hier sind – also die Geflüchteten?

Da gilt es zweierlei zu beachten. Erstens: Die zu qualifizieren, die schon hier sind oder auf dem Weg der Flucht noch kommen, ist absolut sinnvoll. Da hilft jeder – übrigens auch die, die keine Fachkräfte sind. Aber auch die, die keine abgeschlossene Berufsausbildung haben, sind für den Arbeitsmarkt wichtig.

Die Arbeitsnachfrage und Beschäftigung wächst in Deutschland in den sogenannten Helfertätigkeiten überdurchschnittlich, also beispielsweise Servicetätigkeiten im Gaststättengewerbe, bei Sicherheits- oder Lieferdiensten. Aber: 70 Prozent der Geflüchteten arbeiten als Spezialisten und Experten. Die übrigen 30 Prozent in solchen Helfertätigkeiten; in der Gesamtbevölkerung liegt der Anteil bei zehn Prozent.

Und zweitens?

Die Fluchtmigration wird unser Arbeitskräfteproblem nicht lösen. Dafür kommen schlicht zu wenige. Das mag jetzt für manchen überraschend klingen, aber die Fluchtmigration ist ein relativ kleines Phänomen. Ohne die Menschen aus der Ukraine entfielen in den vergangenen zehn Jahren nur 15 Prozent der Zuzüge und 20 Prozent des Wachstums der ausländischen Bevölkerung auf Geflüchtete. Etwa 50 Prozent der Menschen kamen aus der Europäischen Union. Der allergrößte Teil kommt also auf anderen Wegen. Und die Einwanderung aus der EU geht inzwischen stark zurück.