Nils Petersen ist Rekordjoker der Bundesliga, Rekordtorschütze des SC Freiburg – und Geschichte. Im Buch spannen Sie alle lange auf die Folter. Deshalb gleich die Frage: Liegt Ihre Zukunft in Freiburg und beim Sport-Club?
Ich habe nie weit vorausgeplant, weil ich in meinem Fußballerleben mehrfach erfahren habe, wie schnell sich die Dinge ändern. Ich habe zu meiner Werder-Zeit geglaubt, ich werde für immer ein Bremer sein. Davor hatte ich bei meinen Anfängen in Ostdeutschland gedacht, ich werde, auf deutsch gesagt, nie auf die andere Seite gehen. Es ist immer alles anders gekommen, als ich dachte. Ich sehe mich langfristig schon wieder im Fußballbereich – und, ja, auch beim SC Freiburg. Da geht‘s wohl nur um den richtigen Zeitpunkt.
Sie denken an ein Traineeprogramm?
Genau, ich will nichts geschenkt bekommen, sondern lernen, lernen, lernen. Wie ich als Fußballer schrittweise ausgebildet worden bin, will ich nun versuchen, dass ich irgendwann im administrativen Bereich tätig sein kann.
Der irische Schriftsteller Samuel Beckett schrieb „Warten auf Godot“. Der kam nie. Auch auf Sie wurde gewartet, und Sie kamen oft mit Erfolg. Ihr Buch heißt Bank-Geheimnis – eine Anspielung, dass Sie oft statt in der Startelf als Joker zum Einsatz kamen?
Ja, den Titel finde ich cool und passend. Wenn man Monate Zeit hat zu überlegen, dann kommt eben auch was Sinnvolles dabei heraus, wie das Bank-Geheimnis. Mir war es ganz wichtig, dass ich nicht sage: meine Biografie, meine Erfolge. Ich bin gar nicht so wichtig. Es geht um viele Bereiche, in denen ich Erfahrungen gemacht habe, die ich weitergeben möchte – und ein großer Part ist natürlich das Warten.
Weil ich als Joker für etwas Bestimmtes stehe, was mich auch populär gemacht hat. Es sind nicht meine 89 Tore, was viele andere schaffen. Es sind die Jokertore und das Geheimnis dahinter, wie man wirkungsvoll von der Bank kommen kann. Es gibt natürlich nicht den einen Aspekt, aber summiert viele Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit, als Joker erfolgreich zu sein, erhöhen.
Sie waren der Freiburger Fußballgott. Wie kamen Sie zu dieser Ehre?
Es ist ein Kompliment, ganz klar. Ich denke, das hat weniger mit Toren zu tun. Ich habe das Gefühl, dass es mit dem Abstiegsjahr 2015 begann, als ich mit in die 2. Liga gegangen bin. Das haben bis heute Viele in Freiburg nicht vergessen und immer wieder erwähnt, dass sie dankbar sind für die Art und Weise, wie ich mich mit dem Verein identifiziert habe. Die Menschen haben gespürt, der tut alles, um den SC voranzubringen. Ich habe es wohl ordentlich und authentisch hinbekommen.
Sie bezeichnen die Entscheidung, mit dem Sport-Club in der 2. Liga anzutreten, als „endgültige Ankunft“. Das hatte nicht nur mit dem Sportlichen zu tun?
Sportlich war das perspektivisch gedacht, schon wegen des Alters. Mache ich also Freiburg und erst mal 2. Liga, man wusste ja nicht, wie sich der Verein entwickeln wird. Es war einer meiner wichtigsten Verträge. Ich habe für vier Jahre unterschrieben, das ist im Fußball ja eine ewig lange Zeit. Aber wenn man erfolgreich und gewertschätzt ist, dann kann man am anderen Ende der Welt leben und ist trotzdem glücklich. Wenn aber noch privat jemand dazu kommt, wo es auch noch passt, dann ist es natürlich umso schöner. Meine Frau Carla kommt von hier, ich habe mich an diesem Standort wohlgefühlt und konnte so auch Phasen durchstehen, die nicht so cool waren. Carla hat mir immer geholfen, das Positive zu sehen.
Sie dachten, Sie ziehen Carla in Ihr Leben, aber es kam umgekehrt ...
Stimmt. Wir Fußballer sind doch alle mit 15 von zuhause weg, ziehen dann von Stadt zu Stadt und sind gefühlt heimatlos. Carla hat dafür gesorgt, dass ich hier einen Platz gefunden habe, wo
ich beruflich funktioniere und privat happy bin. Wo ich mich zurücklehnen kann, wo ich Freunde finden und treffen kann, die nichts mit Fußball zu tun haben. Heute zähle ich abseits des Fußballs viele Menschen zu meinem Freundeskreis, womit ich nie gerechnet hätte.

Sie sind am 6. Dezember 1988 geboren, haben die DDR nicht mehr erlebt, bezeichnen sich aber als „Wahl-Wessi mit Ost-Genen“. Wie ist das zu verstehen?
Mir sind bestimmte Werte in die Wiege gelegt worden, behaupte ich mal. Meine Familie hatte bis zu meiner Geburt ja nur die DDR kennengelernt und diese Prinzipien, die in der DDR
Usus waren – Demut, Bodenständigkeit, Geduld oder eine gewisse Genügsamkeit – wurden auch mir eingetrichtert. Noch wesentlich später habe ich mich bei Klubs im Westen wie etwa Werder Bremen wahnsinnig gut verstanden mit Spielern, die auch aus den neuen Bundesländern kamen. Das war kein Zufall, man hatte eine Verbundenheit. Es gibt ja die Diskussion, ob es noch gerechtfertigt ist, Ossi und Wessi zu sagen, ich nehme das mit Humor. Meine Familie pocht aber auf Bescheidenheit. Wenn meine Oma in Wernigerode angesprochen wird, „oh, Sie sind bestimmt stolz, ihr Enkel hat ein Tor geschossen“, dann ist ihr das unangenehm. Stolz ist sie schon, aber im Stillen.
Ein sehr ernstes Thema: Sie bekamen 2018 psychische Probleme. 18 Monate lang gingen sie wöchentlich zur Therapie. Wie fanden Sie wieder Halt?
In erster Linie habe ich gemerkt, ich bin irgendwie aus der Spur geraten und brauchte jemanden, der mich wieder aufs Gleis bringt. Das habe ich erst mit der Zeit geschafft. Als Leistungssportler weißt du: Wenn ich etwas tue, dran bleibe, bekomme ich das zurück. Doch das war letztlich kontraproduktiv, weil ich annahm, je mehr ich mich damit auseinandersetze, desto schneller bin ich wieder der Alte. Meine Frau hoffte jeden Tag, dass es besser wird, ich wollte sie nicht enttäuschen. Christian Streich hatte viel Verständnis und wissen wollen: „Wie geht‘s?“ Aber bei mir überwog die Ungeduld: Wann endet das?
Wie ist es möglich, kurz nach Saisonende ein Buch mit 176 Seiten vorzulegen?
Als mir jemand riet, nach Karriereende ein Buch zu schreiben, war ich erst skeptisch. Aber dann konnte ich bei Auswärtsfahrten im Hotel nachdenken. So kamen Kapitel zustande, vom Herder-Verlag kam Ermunterung. Ich kannte die Abläufe ja nicht, etwa dass man einen Lektor zugewiesen bekommt. Die Herausforderung an Autoren habe ich auch krass unterschätzt. Am Ende war es wieder Teamarbeit. Und das Buch ist vor allem ein Dankeschön an alle Wegbereiter und -begleiter.