Angenommen, ein Filmemacher wäre auf die Idee gekommen, zum Abschied von Nils Petersen einen Film über dessen Leben und Wirken als Fußballprofi zu drehen, und als Höhepunkt hätte er einen finalen Treffer des Hauptdarstellers in seinem letzten Spiel vor euphorisierter Menschenmenge im heimischen Stadion ins Drehbuch schreiben lassen – wer hätte da nicht von Kitsch gesprochen, von einem Tränen melkenden Happy End, von einer Gute-Laune-Komödie weit entfernt von der Realität?
Und dann? Den Film gibt es nicht, aber das wahre Leben kann es manchmal sowieso am besten.
Denn Nils Petersen, der in Freiburg bejubelte, geliebte, vergötterte und von den Sport-Club-Fans folgerichtig zum „Fußballgott“ ernannte Stürmer, hat in seinem letzten Heimspiel tatsächlich dieses magische, von allen Seiten erhoffte, ja sehnlichst erwünschte Tor geschossen.
Fünf Minuten nach seiner Einwechslung in der 70. Minute trifft Petersen zum 2:0, nachdem nur vier Minuten zuvor der mit ihm aufs Feld gekommene Christian Günter das 1:0 erzielt hatte. Am Ende heißt es denn auch 2:0 im Spiel des SC Freiburg gegen den VfL Wolfsburg, aber nur weil der Videoschiedsrichter einen weiteren, von Feldschiri Bastian Dankert bereits anerkannten Petersen-Treffer wegen eines vorausgegangenen Foulspiels seines besten Kumpels Nicolas Höfler zurückholte.
Gänsehautzeile der Fans
Das Tor, die Sekunde danach: Nils Petersen hält die Hände vors Gesicht, auf der Tribüne bricht Ehefrau Carla in Tränen aus, vielen Fans im weiten Rund ergeht es ebenso, und selbst bei Christian Streich sammelt sich ein wenig Salzwasser in der Peripherie seiner Pupillen.

Oh, wie ist das schön – genau das singen die Fans nach Spielende. Nils Petersen steigt zu ihnen auf die Südtribüne, wird alsbald mit einem Bierbecher gesichtet („Nur Radler, nur Radler“) und einem Megaphon in der Hand. „Danke“ steht auf einem kleinen Plakat links, „Nils“ auf einem kleinen Plakat rechts.
Einer schwenkt eine riesige rote Fahne mit einer großen 18 und dem Namen Petersen drauf. Und unten an der Balustrade der Süd hängt eine grandiose Botschaft, auf die sich Nils Petersen Fußballgott wirklich was einbilden darf. Es ist eine wahre Gänsehautzeile, die die SC-Fans da formuliert haben: „Niemand ist größer als der Verein, aber du warst verdammt nah dran“. Boah!
Petersen liest, Petersen schreit ins Megaphon, Petersen lacht, Petersen steht Modell für Selfies, Petersen schreibt Autogramme auf Postkarten, Trikots und Tickets. Es dauert und dauert, erst eine Stunde nach Spielschluss tritt er grinsend vor die wartende Journaille mit den Worten „Braucht ihr mich?“
Ein Spiel wie aus dem Drehbuch
Und ob. Also erzählt Petersen, einigermaßen wild durcheinander. Das Wichtigste zuerst: „Wenn ich ein Drehbuch für diesen Tag hätte schreiben dürfen, dann genau so!“ Wahnsinn sei das, phänomenal, sagenhaft, „und dann haben die da noch diese beschriftete Fahne, die viel zu schwer war“. Es gibt nicht viele Fragen zu stellen, denn dieser glückliche Mann lässt eh nichts aus. Er habe sich gefreut, „dass ich bei 0:0 rein durfte, es ging ja um viel. Dann macht Günni das 1:0, und dass ich dann noch einen reinstolpere, das ist der Höhepunkt.“ Wie sich das anhört: reinstolpere. Man hätte es auch so sagen können: die Flanke von Roland Sallai frühzeitig antizipiert, den einen Schritt schneller gewesen als Gegenspieler Baku und eiskalt abgestaubt.
Bisschen Selbstironie darf sein
Gefreut hat es den Mann selbstredend riesig, dass ihm sein 69. Bundesligator und gleichzeitig das 34. als Joker gelungen ist. „Ist ja schon schön“, sagt Petersen, „dass man nicht mit einer Null aus der Saison geht.“ Dass ihm der zweite Treffer – laut Kollege Maximilian Eggestein „der schönere, weil er da seine ganzen Qualitäten gezeigt hat: richtig einlaufen, hochspringen, Kopfball platzieren“ – vom Videoreferee genommen wurde, ist Petersen schnuppe.
„Das war das erste Mal, dass mir das passiert ist“, sagt er, vom VAR halte er als Fußballromantiker wenig, ohne sei besser, denn: „Wahrscheinlich habe ich die Hälfte meiner Tore aus dem Abseits geschossen.“ Nein, natürlich nicht, aber der Fußballgott kann eben auch Selbstironie, und mit dem Profifußball hört er deshalb auf, weil es an der Zeit sei, auf die Wehwehchen des eigenes Körpers zu hören und „nicht mehr länger rumzustolpern“.
Herrlich. Eine letzte Frage? „Hast Du vorhin vor den TV-Kameras gesagt, Du hättest Angst, dass sie Dir jetzt noch mal einen Vertrag anbieten?“ Der Fußballgott stutzt, spielt für Sekunden den Ertappten und sagt dann: „Ja, hab ich.“ Pause. „Spaß, Jungs, Spaß.“
Wäre alles ein Film gewesen, käme nun der Abspann.