Fußball: Sportliche Großveranstaltungen liefern stets reichlich Diskussionsstoff, so auch die Europameisterschaft 2024. In Sachen Regeln gab es rund um das Turnier heftige Kontroversen, etwa über das Handspiel von Marc Cucurella beim Torschuss von Jamal Musiala im Viertelfinale zwischen Deutschland und Spanien. Doch von Beginn an stand die Kapitänsregelung im Mittelpunkt der Regeldiskussionen. Ist diese Neuerung überflüssig oder überfällig?

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Bei der EM 2024 waren die Erfahrungen sehr positiv, was dazu führte, dass die Verantwortlichen hierzulande beschlossen, die Regel zu Beginn der Saison 24/25 auch im gesamten deutschen Fußball anzuwenden. Wie aber sind die Erfahrungen nach einer Spielzeit?

Steigerung der Netto-Spielzeit

Ronny Zimmermann, als DFB-Vizepräsident sowohl für die Bereiche Schiedsrichter und Amateure verantwortlich, war überzeugt davon, dass diese Neuerung Sinn macht. Denn er erwartete schon vor der Saison: „Schnellere Spielfortsetzungen und ein erheblich respektvollerer Umgang miteinander, um nur zwei Aspekte zu nennen. Ich hoffe auf sehr viele positive Effekte, insbesondere im Amateurfußball.“ Sieht er nun die Erwartungen als erfüllt? „Es ist ruhiger geworden“, hat er beobachtet.

Ronny Zimmermann.
Ronny Zimmermann. | Bild: Arne Dedert

Und Gespräche mit Schiedsrichtern haben seine Hoffnungen bestätigt: „Es wurde in der Kommunikation besser“, so der DFB-Vize. Allerdings sieht er durchaus noch Luft nach oben. Hier stehen die Profiligen im Blickpunkt, denn das sind die Vorbilder, die nach unten wirken müssen. Allerdings hat man zunehmend den Eindruck, dass der Effekt der neuen Regel schon wieder verpufft, dass der Ton auf den Fußballplätzen wieder vergleichbar ist mit der Zeit vor der EM, vor der Einführung der Kapitänsregel.

„Im Grunde finde ich diese Regelung sinnvoll, ich habe aber das Gefühl, dass hier die Nachhaltigkeit fehlt“, stellt etwa Steffen Kautzmann, Trainer des südbadischen Landesligisten FC Radolfzell, fest und konkretisiert: „Zu Beginn der Saison hat man schon gemerkt, dass es ruhiger auf dem Platz geworden ist, sich die Kommunikation mit dem Schiedsrichter verbessert hat.“

Steffen Kautzmann.
Steffen Kautzmann. | Bild: Jürgen Rössler

Wurde das Instrument von den Schiedsrichter nicht konsequent genug genutzt? „Definitiv!“, so Kautzmanns Eindruck. „Jetzt ist es wieder so wie früher. Wenn das wirklich etwas bringen soll, dann braucht das Erziehung und Kontinuität!“, so der 32-jährige Trainer.

Mehr Respekt für den Schiedsrichter

Dennoch unterstreicht er, dass diese Regel, konsequent umgesetzt, sinnvoll wäre, denn dies wäre auch für die Spieler und die Qualität des Spiels ein Pluspunkt: „Man verliert mit den Diskussionen den Fokus auf das Spiel, das nimmt einem dann auch die Konzentration auf das Wesentliche!“

Er bezieht da durchaus das Coaching mit ein, das leidet, wenn er sich als Trainer mehr mit den Schiedsrichterentscheidungen als mit der Taktik befasst. Denn zu den Diskussionen auf dem Platz hat er eine klare Position, auch wenn er einräumt, sich selbst hier auch nicht immer ideal zu verhalten: „Das ist eine Unsitte im Fußball! Hier wäre mehr Respekt gegenüber den Schiedsrichtern wünschenswert. Sie müssen das aber auch über eine konsequentere Anwendung der Regeln einfordern!“ Und er verweist darauf, dass dies bei anderen Sportarten, im Handball etwa, auch funktioniere.

Handball-Vergleiche sind schwierig

Dem hält Ronny Zimmermann allerdings dagegen: „Es ist schwierig, Sportarten zu vergleichen!“ Im Fußball könnte eine Szene ein Spiel entscheiden, während beim Handball mehr Tore fallen, kritische Entscheidungen daher eventuell nicht so gravierend wären. Zudem geht es in anderen Sportarten eben schneller weiter.

Aber warum funktioniert das besser im Frauenfußball, wird hier weniger geredet? „Da können sich die Männer etwas von den Frauen abschneiden!“, räumt der Rechtsanwalt und Präsident des Badischen Fußballverbandes ein.

Ein anderer Aspekt, der den durchschlagenden Erfolg reduzierte, war – so Zimmermann – auch die rasche Einführung. Während dies bei einem Turnier wie der EM mit einer begrenzten Anzahl von Teams und Unparteiischen schneller möglich ist, dauert dies deutlich länger, bis die Erläuterungen und Fortbildungen bis in die untersten Ligen durchgesickert sind.

Aber wie sehen die Schiedsrichter die Neuerung? „Wir hatten gar keine großen Erwartungen. Die EM hat uns ein wenig darauf vorbereitet, wie das ablaufen kann und wir Schiris haben da gesehen, dass wir einen neuen Rahmen haben, den wir nutzen können. Ich denke, das hat sich gut etabliert!“, so Regionalliga-Schiedsrichter Timo Bugglin.

Timo Bugglin.
Timo Bugglin. | Bild: Scheibengruber, Matthias

Und er zeigt mögliche Situationen in der Spielpraxis auf, die nun stressfreier ablaufen: „In strittigen Situationen oder bei kritischen Entscheidungen, wie Strafstoß oder Rote Karte, gibt es uns nun die Gelegenheit, um kurz die Hintergründe der Entscheidungen darzulegen. Wenn vier oder fünf Spieler auf einen zu rennen, kommt man gar nicht in diese konstruktive Kommunikation.“

So oft ist ihm das in dieser Saison gar nicht passiert, dass er seinen Arm ausstrecken musste, um damit zu signalisieren, dass nun alle außer den Spielführern einen Mindestabstand von vier Metern halten sollen. Doch der Unparteiische, der für den TuS Binzen pfeift, sieht es bereits als positiv für den Spielverlauf, dass alle Beteiligten wissen, dass es dieses Instrument mit den entsprechenden Sanktionen gibt. „Das ist ein gutes Werkzeug, das wir jetzt anwenden können und ich habe das Gefühl, dass das von den Spielern gerne angenommen wird!“

Günter mit positivem Fazit

Aber auch die Rolle des Spielführers hat sich erweitert. „Man ist dann fast in jeder Szene involviert, um mit dem Schiri zu sprechen“, sieht sich etwa Christian Günter vom SC Freiburg nun mehr gefordert, muss er damit auch mehr Laufmeter im Spiel absolvieren.

Christian Günter.
Christian Günter. | Bild: Silas Stein

Denn, so der langjährige SC-Spielführer: „Früher gab es Situationen, da war dann eben ein anderer Spieler beim Schiri, dann bin ich nicht extra noch dazu. Mittlerweile läuft die Kommunikation vorwiegend zwischen dem Schiedsrichter und dem Kapitän.“ Sein persönliches Fazit: „Ich kann sagen, dass sich das für mich positiv ausgewirkt hat, dass ich ruhiger bin und dann eben mit einer gewissen Ruhe zum Schiri gehe.“

Über die Rolle des Spielführers hinaus sieht der Freiburg-Profi, der seit 2012 im Profikader des SC steht, die Neuerung durchweg positiv: „Ich glaube, dass gegenüber dem Schiedsrichter nicht mehr so viel gestikuliert wird, nicht mehr so viel auf ihn zu gesprintet wird. Jeder ist nun vorgewarnt und so ist das für den Schiri deutlich angenehmer.“

Schnelle Kommunikation

Und einer, der es wissen muss, bringt es auf den Punkt: „Der Grundgedanke dieser Regelung ist absolut richtig, nur die Umsetzung lässt aus meiner Sicht zu wünschen übrig“, so Konrad Matheis, der als Vorsitzender des Fußball-Bezirks Bodensee viel auf den Sportplätzen der Region unterwegs ist.

Aber wie lautet die Vorgabe denn nun? „Nach einer Entscheidung mit potenziell spielentscheidendem Charakter und möglichem Informationsbedarf zeigt der Schiedsrichter mit waagerecht ausgestrecktem Arm an, dass die Spieler auf einer Mindestdistanz von vier Metern bleiben sollen. Nur der Teamkapitän darf sich nähern und den Referee ansprechen. Verstößt ein Spieler gegen die Weisung des Schiedsrichters, wird er mit der Gelben Karte verwarnt.“

Und weiter heißt es dazu auf fussball.de: „Durch die neue Regelung soll eine zielgerichtete Information an die Mannschaft durch schnelle und direkte Kommunikation ermöglicht werden – dank klarer Strukturen und Verhaltensvorgaben für alle Beteiligten.“ Dies heißt aber nicht, dass der Unparteiische nun nur noch mit den Spielführern reden darf.