Fruchtbare, schwarze Böden, auf die in den nächsten Wochen normalerweise riesige Mengen Getreide, Zuckerrüben, Mais und Sonnenblumen ausgesät werden, liegen nun mitten im Kriegsgebiet. Landwirte, in denen als Kornkammern bekannten Gebieten zwischen den russischen Städten Sankt Petersburg und Irkutsk sowie der ukrainischen Hafenstadt Odessa kämpfen, statt ihre Felder zu bearbeiten.
Für die weltweite Ernährung wird das in den kommenden Monaten weitreichende Auswirkungen haben, fürchten Experten. Auch in Deutschland wird man die Folgen spüren. Damit ist konkret zu rechnen:

Sind Russland und die Ukraine so wichtige Getreideproduzenten?
Ja. Sie stellen gemeinsam 30 Prozent der Exporte bei Weizen – und damit doppelt so viel wie die EU. „Für die diesjährige Aussaat und Ernte erwarte ich in der Ukraine erhebliche Ernteausfälle“, sagt Klaus Josef Lutz, Chef der BayWa, dem größten Agrarhändler Deutschlands. Das werden vor allem Länder in Nordafrika und Arabien sowie die Türkei als Hauptimporteure spüren. Allein Ägypten bezieht gut 80 Prozent seines Weizenbedarfs aus Russland und der Ukraine. Engpässe bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln könnten die politische Lage in den nordafrikanischen Ländern weiter destabilisieren.
Hinzu kommt, dass mehr als die Hälfte der Nahrungsmittel, die das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen in Krisenregionen verteilt, eigenen Angaben zufolge aus der Ukraine stammt.
Bezieht auch Deutschland Weizen aus Russland oder aus der Ukraine?
Kaum. „Deutschland hat einen Selbstversorgungsgrad von 100 Prozent bei Weizen“, sagt Klaus Josef Lutz. Die EU ist der größte Weizenproduzent der Welt und nicht auf Brotweizen aus Russland und der Ukraine angewiesen. Dennoch sind die Speicher hier nicht so voll, dass die rund 30 Prozent Weltmarktanteil, die nun wegzubrechen drohen, einfach so aufgefangen werden könnten. „Deshalb rechnen wir mit weiteren Preissteigerungen“, sagt Klaus Josef Lutz. Eine unmittelbare Nahrungsmittelkrise oder Nahrungsmittelknappheit erwartet er in Deutschland und in Europa nicht.
Aber: „Die Bestände bei Mais und Raps, die auch wir in Europa wiederum aus der Ukraine beziehen, sind gering. Sollten wir kein Gas mehr bekommen, könnte sich dies zusammen mit den deutlichen Ernteeinbußen sehr negativ auf die Milch- und Fleischproduktion auswirken. Die gesamte Verarbeitungskette würde leiden.“

Auf was für Lebensmittelpreise müssen sich die Deutschen einstellen?
Schon in den letzten Wochen und Monaten haben die Preise für Grundnahrungsmittel hierzulande ordentlich angezogen. Bislang lag die Ursache auch in den hohen Energiekosten, die auch weiterhin hoch bleiben werden. Landwirte, die Getreide für ihre Tiere zukaufen müssen, werden die steigenden Preise spüren. Gleiches gilt für Düngemittel, deren Produktion stark am Gas hängt. „Ich könnte mir vorstellen, dass wir 15 bis 20 Prozent höhere Lebensmittelpreise sehen werden“, sagt deshalb BayWa-Chef Klaus Josef Lutz.
Ist mit Lieferproblemen bei Lebensmitteln zu rechnen?
„Viele Mitarbeiter auf Schiffen und viele LKW-Fahrer sind Ukrainer, die jetzt zum Kämpfen abberufen worden sind“, sagt Klaus Josef Lutz. Zusätzlich zu den Hafenblockaden gäbe es deshalb auch schon Schwierigkeiten dabei, Schiffe in der ukrainischen Hafenstadt Odessa zu beladen. „Die Lieferketten, die ja bereits unter Corona leiden, werden nun noch stärker unter Druck geraten“, so Lutz.

Welche Auswirkungen sind bei Dünger zu erwarten?
Das Problem ist, dass der Düngemittelmarkt schon vor dem Krieg als leergefegt galt und der Deutsche Bauernverband die teuren Preise für Stickstoffdünger beklagte. Denn viele Hersteller haben im zurückliegenden Herbst und Winter ihre Produktion zeitweise gedrosselt, weil sie aufgrund der hohen Erdgaspreise nicht mehr wirtschaftlich war. Gas wird als Rohstoff und Energielieferant bei der Produktion von Düngemitteln eingesetzt.
Die Europäische Union ist einer der Hauptabsatzmärkte für russische Düngemittel, weshalb hier eine hohe Abhängigkeit besteht. So ist Russland beispielsweise der größte Exporteur von Harnstoff und Mehr-Nährstoff-Düngern (Stickstoff, Phosphor, Kalium). Sollte bei weiteren russischen Sanktionen auch Dünger betroffen sein, könnte es zu Lieferproblemen kommen. „Aktuell ist die BayWa aber lieferfähig und kann die Landwirte in der jetzt startenden Düngesaison mit Dünger versorgen“, sagt Klaus Josef Lutz.