Mit Lärm und Elan starteten die Frauen in der Schweiz in ihren großen Tag. In Zürich schlugen sie um Mitternacht Töpfe, fuhren hupend in einem Autocorso durch die Bankenmetropole. In Basel blockierten sie Straßen und in Lausanne stimmten sie feministische Hymnen an. Um 11 Uhr legten viele Frauen ihre Arbeit nieder, danach hielt ein „rollendes Programm“ die Bevölkerung weiter in Atem: Protestzüge versammelten sich, Frauenparlamente tagten und sogar die Kirchenglocken läuteten. „Ich war bei einem kreativen Workshop für Frauenrechte“, erzählt Karin Müller, die in der Genfer Kantonsverwaltung arbeitet, dieser Zeitung. „Bei uns waren wahrscheinlich ein Drittel der Beschäftigten im Ausstand.“ Insgesamt machten Zehntausende Menschen beim „Frauenstreik“ in der Schweiz mit.

Der Protest gegen Diskriminierung und für gleiche weibliche Rechte in Wirtschaft und Gesellschaft war unüberhörbar und unübersehbar. Das Motto lautete: Lohn. Zeit. Respekt. „Unser Protest läuft sehr gut“, zog die Streikkoordinatorin Anne Fritz vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund gegenüber dieser Zeitung eine Zwischenbilanz. Mit ihrem Streik ermutigten die Schweizerinnen auch andere Frauen in Europa zum Aufbegehren – denn fast überall auf dem Kontinent muss der weibliche Teil der Bevölkerung noch Benachteiligung erdulden. „Kameradinnen aus Österreich und aus Spanien sind zu uns in die Schweiz gereist, um mit uns zu streiten“, sagte die Koordinatorin Fritz.

Eine Frau protestiert in Bern mit einer überdimensionalen Trillerpfeife für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt.
Eine Frau protestiert in Bern mit einer überdimensionalen Trillerpfeife für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt. | Bild: STEFAN WERMUTH

Angezettelt hatten linke Gewerkschaftlerinnen aus der französischen Schweiz den Protesttag – die Romandie gilt gesellschaftspolitisch progressiver als die Deutschschweiz. Die Organisatorinnen verbreiteten eine klare politische Botschaft: Das herrschende „patriarchale kapitalistische System“ betrachte das „Männliche“ und das „Weibliche“ nicht als gleichwertig, schreibt das nationale Streikkomitee in einem Aufruf. Das führe dann auch zu den unfairen Löhnen für Frauen.

Eine Schweizer Mutter zeigt in Luzern ihren Bauch mit der Aufschrift „I gave life“ (Ich habe Leben gegeben).
Eine Schweizer Mutter zeigt in Luzern ihren Bauch mit der Aufschrift „I gave life“ (Ich habe Leben gegeben). | Bild: Alexandra Wey

„Frauen verdienen immer noch deutlich weniger als Männer, je nach Erhebungsmethode zwischen 12 und 19 Prozent“, heißt es von der Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst, VPOD. Das Bundesamt für Statistik nennt in etwa die gleichen Zahlen.

Konkret verlangen die Frauen deshalb: Gleiche Bezahlung für gleichwertige Arbeit. Der Staat müsse Lohnkontrollen und Sanktionen bei Lohndiskriminierung einführen. Berufe mit vielen Frauen müssten finanziell aufgewertet werden. Dabei haben die Gewerkschaftlerinnen besonders die Pflege im Blick: In Schweizer Krankenhäusern etwa besteht das Pflegepersonal zu 85 Prozent aus Frauen.

Neben einer besseren Bezahlung stehen weitere Punkte auf dem Forderungskatalog der Frauen: Von familienverträglicheren Jobs über kürzere Arbeitszeiten bis hin zu einer härteren Vorgehensweise gegen sexuelle Übergriffe und besseren Karrierechancen.

Schlechte Karrierechancen

Dass vielen weiblichen Kräften noch immer der Aufstieg verwehrt wird, belegt der Schillingreport über Schweizer Führungsgremien. Danach liegt der Anteil der Frauen in den Geschäftsleitungen der Unternehmen bei unter zehn Prozent. In mehr als der Hälfte der Firmen sitzt überhaupt keine Frau in der Geschäftsleitung. „Nach wie vor bleibt ein ausgewogener Gender Mix in den Geschäftsleitungen ein Generationenprojekt“, urteilt der Herausgeber des Reports, Guido Schilling. Ebenso ernüchternd sieht es im Politikbetrieb aus. In beiden Kammern des nationalen Parlaments herrscht jeweils eine erdrückende Männermehrheit. In der Regierung, dem Bundesrat, stehen vier Minister drei Ministerinnen gegenüber.

Viel länger als in anderen europäischen Ländern übten die Männer in der Schweiz eine uneingeschränkte Herrschaft aus. Erst im Jahr 1971 öffnete sich das Alpenland dem 20. Jahrhundert und gewährt den Frauen auf nationaler Ebene das Wahlrecht. Noch länger waren die Frauen von kantonalen Abstimmungen ausgesperrt, etwa in Appenzell-Innerrhoden. Das Schweizerische Bundesgericht ordnete 1990 an, dass auch die weibliche Bevölkerung Appenzell-Innerrhodens wählen darf.

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Ein Jahr später, 1991, bliesen die Schweizerinnen zum ersten landesweiten Frauenstreik: Hunderttausende Frauen gingen auf die Straße und pochten auf mehr Mitsprache. Nur langsam lenkte das männliche Establishment ein. So führte die Schweiz erst 2005 den bezahlten Mutterschaftsurlaub ein. Immerhin signalisieren zum Frauenstreik 2019 etliche Politiker ihre Unterstützung für die Wählerinnen. Innen- und Sozialminister Alain Berset prangert die Missstände bei der Gleichstellung offen an: „Wir müssen das endlich ändern“, fordert der Sozialdemokrat.

Nur die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP) scheint dem Frauenprotest kaum etwas abgewinnen zu können. Ein Repräsentant der SVP, die immer noch unter der Fuchtel des Milliardärs Christoph Blocher steht, rastete sogar aus: Der Berner SVP-Abgeordnete Erich Hess. Er riss ein Plakat des Frauenstreiks wiederholt vom Pult des Berner Stadtparlaments.