Wenn Viola Auer in die Zukunft blickt, wird ihr mulmig. Sechs Kinder, ein Mann, der nicht voll arbeitsfähig ist und Ärger mit den Ämtern. Das Verdrießlichste aber: Sie hat keinen Job mehr. Mitte November vergangenen Jahres hat ihr Arbeitgeber, ein Singener Taxi- und Transportunternehmen, der Minijobberin gekündigt. Sie hoffe, im Januar irgendwo wieder als Fahrerin anfangen zu können, sagt sie. Aber ob das klappt?

Der Lockdown von Hotels, Gastronomie und Veranstaltungsbranche hat die Fahrdienstleister in die Knie gezwungen. Kneipengänger, Discobesucher und Geschäftsleute – sie alle lassen sich nicht mehr per Taxi kutschieren. Und weil es generell gilt, Kontakte zu minimieren, hat auch der Transportbedarf für Senioren, Behinderte und Schüler nachgelassen. „Ich weiß gerade nicht, wie es weitergehen soll“, sagt Auer.

Als erste vor der Tür – Minijobber

Wie Hunderttausende andere Minijobber gehört die 47-jährige ausgebildete Erzieherin zu jenem Heer an prekär Beschäftigten, die in der Corona-Krise besonders leiden. Oft sind die Betroffenen Azubis, Studenten, Hausfrauen oder Rentner, die sich etwas hinzuverdienen wollen.

Weil die Taxi-Branche am Boden liegt, braucht man keine Fahrer mehr.
Weil die Taxi-Branche am Boden liegt, braucht man keine Fahrer mehr. | Bild: Christin Klose, dpa

Sie machen sauber, kellnern in Restaurants, bewachen Gebäude, räumen im Supermarkt Regale ein oder verkaufen Waren im Einzelhandel. Auch für Arbeitnehmer, die geringer qualifiziert sind als der Durchschnitt der gut 44 Millionen Werktätigen, sind Minijobs oft das Mittel der Wahl etwas hinzuzuverdienen.

Krisenverlierer geringfügig Beschäftigte

Die Corona-Krise hat ihre Einkommensgrundlagen allerdings brüchig werden lassen. Kommt es hart auf hart, werden Minijobs oft als erstes gestrichen. Die Pandemie verstärke schon bestehende Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt, sagt Toralf Pusch, Arbeitsmarkt-Analyst beim Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.

Dass die Kluft zwischen Gut- und Geringverdienern speziell in der Krise wächst, belegen auch Zahlen. Laut einer aktuellen WSI-Studie waren Arbeitnehmer mit niedrigen Einkommen in der Corona-Pandemie deutlich häufiger von finanziellen Verlusten betroffen, als Menschen mit hohen Einkommen. So mussten 2020, während der ersten Corona-Welle, rund 40 Prozent der Haushalte mit Einkommen unter 1500 Euro netto im Monat finanzielle Einbußen hinnehmen. Bei gut situierten Familien mit einem Einkommen über 4500 Euro, waren es nur 26 Prozent.

Überdies trifft es die prekär Beschäftigten, zu denen neben den Minijobbern auch manche Selbstständige, sowie bestimmte Leiharbeits- oder Werkvertragsbeschäftigte zählen, härter. Nach WSI-Daten haben in Zeiten von Corona viele von ihnen mehr als die Hälfte ihrer Bezüge in den Wind schreiben müssen, etwa durch eine drastische Absenkung der Arbeitszeiten.

Ausgekellnert: Wenn Restaurants schließen, ist die Entlassung nicht fern.
Ausgekellnert: Wenn Restaurants schließen, ist die Entlassung nicht fern. | Bild: SEBASTIAN WILLNOW, dpa

Vielen Minijobbern wurde sogar vom Chef gleich ganz gekündigt – so wie Sammeltaxi-Fahrerin Auer. „Der Rückgang der Zahl der Minijobber in der Krise ist signifikant und liegt deutlich über der Entwicklung in anderen Beschäftigungsgruppen“, sagt Arbeitsmarktexperte Pusch. Nach Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ist die Zahl der Minijobs zwischen Juni 2019 und Juni 2020 um 850 000 oder 12 Prozent gefallen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs blieb fast konstant. Der Befund: Wer am unteren Rand der Lohnskala beschäftigt ist, ist der Gekniffene.

Arbeitgeber halten sich teils nicht an Gesetze

Das liegt auch an den Sitten auf dem Arbeitsmarkt. Zwar gelten für Minijobber die gleichen arbeitsrechtlichen Regeln wie für gewöhnliche Beschäftigte auch. In der Praxis würden Standards von den Arbeitgebern aber nicht selten umgangen, wie es von Gewerkschaftsseite heißt. Mit Urlaubsanspruch, der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sowie mit dem tariflichen Urlaubsgeld nähmen es einige Chefs bei ihren geringfügig Beschäftigten nicht so genau.

Manche Minijobber verfügten nicht einmal über Arbeitsverträge, heißt es beim DIW. Betroffen sind vor allem Angestellte in Klein- und Kleinstbetrieben bis maximal zehn Mitarbeiter. Arbeitsrecht würde hier „häufiger nicht eingehalten“ als in größeren Unternehmen, sagt Arbeitsmarktforscher Pusch. Betriebsräte, die die Vorgänge prüfen könnten, gibt es hier fast nie.

Abgabenprivileg wird zur Falle

Es gibt aber noch ein anderes Problem. Bei Minijobs muss der Werktätige keine Sozialabgaben abführen. In guten Zeiten ist das ein Pluspunkt, der die Jobs attraktiv macht. Immerhin gibt es monatlich mehr Netto vom Brutto. Wenn die Konjunktur einbricht, ist der Gang zum Sozialamt allerdings nicht fern. Denn Arbeitslosengeld gibt es für Minijobber nicht.

Und auch die Segnungen des Kurzarbeitergeldes, das in den vergangenen Monaten Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigte den Arbeitsplatz und einen Großteil des Normalverdienstes gesichert hat, werden den Minijobbern nicht zuteil. Nach Einschätzung des DIW ist dies neben einem gelockerten Kündigungsschutz einer der Hauptgründe, warum in der Krise Minijobs en masse abgebaut wurden.

Ausweg: Verdienstgrenzen absenken

Fachleute schlagen daher vor, das Steuer- und Sozialabgabenprivileg der Jöbchen zu kassieren. Zumindest sollte die Minijob-Verdienstschwelle von derzeit 450 auf 300 Euro pro Monat sinken, heißt es vom DIW. Das würde den Anreiz erhöhen, eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen. In Krisen würde das die Lage der Arbeitnehmer verbessern.

Viola Auer helfen die Reformvorschläge erst einmal nichts. Die Corona-Krise hat bei ihr voll durchgeschlagen. Auch die Gesundheit habe wegen der Situation gelitten, wie sie sagt. Ihr Ziel sei es jetzt erst einmal, irgendwie „über die Runden zu kommen“.