Soll Deutschland Geflüchteten aus der Ukraine weiterhin Bürgergeld zahlen – oder setzt die Politik künftig auf eine deutlich härtere Linie? CSU-Chef Markus Söder fordert einen radikalen Kurswechsel. Doch aus Berlin kommt heftiger Gegenwind. Hinter dem Streit steckt mehr als nur eine Debatte um Zahlen: Es geht um Integration, Grundrechte – und die Glaubwürdigkeit der deutschen Flüchtlingspolitik.
Söder gegen Bürgergeld für Ukrainer: CSU-Chef fordert radikale Kürzung der Sozialleistungen
CSU-Chef Markus Söder hat mit seiner jüngsten Forderung zur Streichung des Bürgergelds für alle ukrainischen Geflüchteten in Deutschland eine hitzige Debatte ausgelöst. Im Sommerinterview mit dem ZDF erklärte Bayerns Ministerpräsident, dass Deutschland „kein Land der Welt“ sei, das Kriegsflüchtlingen derart hohe Sozialleistungen gewähre – und forderte deshalb einen Systemwechsel.
Das Bürgergeld sei einer der Gründe, warum in Deutschland „so wenige Menschen aus der Ukraine in Arbeit“ seien, obwohl sie eine gute Ausbildung hätten. Zuletzt war laut Tagesschau-Informationen etwa ein Drittel der ukrainischen Geflüchteten hierzulande beschäftigt.
Söder will nun, dass künftig nicht nur neu eingereiste Ukrainer, sondern alle Geflüchteten aus der Ukraine nur noch die geringeren Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) erhalten. Damit geht er deutlich über den aktuellen Koalitionsvertrag von Union und SPD hinaus, der bereits festlegt, dass Ukrainer, die nach dem 1. April 2025 einreisen, kein Bürgergeld mehr erhalten sollen. Doch wie sehen die tatsächlichen Zahlen aus – und wie stichhaltig ist Söders Argumentation?
Bürgergeld für Ukrainer – Wie ist die Lage in Deutschland?
Aktuell leben etwa 1,14 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland, darunter rund 686.000 Menschen, die Leistungen aus der Grundsicherung beziehen, heißt es auf bundesregierung.de. Davon sind 471.000 erwerbsfähige Leistungsberechtigte, also Bürgergeldempfänger im engeren Sinn. Besonders hoch ist der Anteil an Frauen und Kindern: 60 Prozent der Flüchtlinge sind weiblich, 30 Prozent minderjährig. Laut Bundesagentur für Arbeit waren im November 2023 rund 113.000 ukrainische Geflüchtete in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, weitere 36.000 in Minijobs. Damit liegt die Erwerbsquote unter dem EU-Schnitt – in Polen oder Tschechien sind es WDR-Recherchen zufolge rund 66 Prozent.
Ukrainer haben in Deutschland nur Anspruch auf Bürgergeld, wenn sie kein oder nur ein geringes Einkommen erzielen, heißt es auf der Website der Bundesagentur für Arbeit. Allerdings erhalten sie, sofern sie für Bürgergeld berechtigt sind, monatlich mehr Geld als Asylsuchende.
Zum Vergleich: Ein alleinstehender Bürgergeldempfänger erhält aktuell 563 Euro pro Monat, während die Leistungen nach dem AsylbLG nur 441 Euro betragen. Hinzu kommen Unterschiede bei der Gesundheitsversorgung und der Arbeitsmarktintegration: Bürgergeldbezieher sind gesetzlich krankenversichert, während Asylbewerber nur eine Basisversorgung erhalten, wie der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) in einem Beitrag aufschlüsselte.
Herbe Kritik nach Söder-Vorschlag: „marktschreierische Forderungen“
Söder ist nicht der erste Politiker, der die höheren Leistungen für ukrainische Geflüchtete kritisiert. Zuvor hatte CSU-Politiker Stephan Mayer gefordert, das Bürgergeld gezielt für ukrainische Männer im wehrfähigen Alter zu streichen. Wer nicht arbeite, solle auch keine Leistungen erhalten, so Mayer im Interview bei Welt TV. Laut Bundesagentur für Arbeit bezogen im März 2025 rund 150.000 Männer dieser Gruppe Bürgergeld. Die ukrainische Botschaft betonte gegenüber Bild, dass ihr Aufenthalt rechtmäßig sei.
Doch Söders Sommerinterview hat der Debatte neuen Auftrieb gegeben. Denn nicht einmal innerhalb der Union scheint man sich eins zu sein, ob man die Zahlungen herunterschrauben sollte. CDU-Sozialpolitiker Dennis Radtke bezeichnete in einer Reaktion auf Söders Interview dessen Aussagen als „marktschreierisch“ und sprach von einem „Denken in Überschriften“, das zum „Arschgeweih der deutschen Politik“ geworden sei.
Die SPD-Fraktion warnte zudem vor überhöhten Erwartungen an die Einsparwirkung eines Bürgergeld-Stopps für Ukrainer und verweist auf den immensen Verwaltungsaufwand, der mit einer Umstellung auf das Asylbewerberleistungsgesetz verbunden wäre – inklusive neuer Schnittstellen, Software und Zuständigkeiten auf kommunaler Ebene. Zudem würde eine solche Maßnahme laut SPD die bewährten Integrationsinstrumente der Jobcenter untergraben, die derzeit über das Bürgergeld greifen, hieß es in einem Stern-Beitrag.
Die Jusos sowie die Grünen haben Söders Vorschlag ebenfalls scharf kritisiert. Juso-Chef Philipp Türmer nannte die Forderung des CSU-Chefs „gefährlich und populistisch“ – Söder wolle „Haushaltslöcher auf dem Rücken der Schwächsten stopfen“, sagte er der Augsburger Allgemeinen. Statt Leistungskürzungen forderte Türmer gezielte Maßnahmen zur Integration, etwa durch mehr Unterstützung bei Jobvermittlung, Kinderbetreuung und Spracherwerb. Auch Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch warf Söder „zerstörerischen Populismus“ vor. Dieser stelle Menschen, die vor Putins Krieg geflohen seien, als faul dar – und nehme ihnen zugleich die Chance auf Arbeit, hieß es in einem Bericht der Zeit.
Scharfe Kritik an Söders Vorstoß äußerte auch die ukrainische Botschaft: Botschafter Oleksii Makeiev nannte es im Deutschlandfunk „schwer nachvollziehbar“, dass ausgerechnet Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine nun zum innenpolitischen Sündenbock gemacht würden, obwohl sie unter europäischem Schutzrecht stehen und Deutschland ihnen gegenüber eine rechtlich und moralisch begründete Verantwortung trage.
Verwaltungsrechtlich wäre eine flächendeckende Umstellung von Bürgergeldempfängern aus der Ukraine übrigens sehr kompliziert. Ein Rückwechsel in das Asylbewerberleistungsgesetz erfordere tiefgreifende Gesetzesänderungen in mehreren Sozialgesetzbüchern, warnte das Sozialministerium in Sachsen-Anhalt bereits im Juni 2025 gegenüber dem MDR. Es drohe ein hoher bürokratischer Aufwand und die Entstehung von Doppelstrukturen, was gerade Kommunen massiv belasten würde.