Herr Bliestle, die Gemüsebauern stehen unter Druck. Gartenbaubetriebe geben auf, Anbauflächen gehen zurück. Was ist da los?

Wir Erzeuger stecken in einer Art Multi-Krise. Uns laufen die Kosten davon. In Folge des Ukraine-Kriegs sind die Preise für unsere Betriebsmittel stark angestiegen. Energie, die wir etwa zum Beheizen der Gewächshäuser brauchen, Treibstoff, Dünger, Pflanzenschutz, Setzlinge – da haben wir in den vergangenen zwei Jahren zweistellige Preissteigerungen gesehen.

Und wir haben zusätzlich die Herausforderungen durch den Klimawandel. Parallel setzt der Lebensmitteleinzelhandel uns Erzeuger in den jährlichen Preisverhandlungen immer stärker unter Druck. Anders ausgedrückt, es gelingt uns nur sehr beschränkt, die steigenden Kosten weiterzugeben.

Johannes Bliestle führt seit mehr als zwei Jahrzehnten die Geschäfte der Erzeugergenossenschaft auf der Reichenau. In dieser Zeit hat er ...
Johannes Bliestle führt seit mehr als zwei Jahrzehnten die Geschäfte der Erzeugergenossenschaft auf der Reichenau. In dieser Zeit hat er sowohl die Anbaumethoden als auch die Sorten modernisiert. | Bild: Rosenberger, Walther

Wo bleiben die Gewinne denn hängen? Immerhin ist Obst und Gemüse im Supermarkt in den letzten Monaten deutlich teurer geworden…

Bei uns Erzeugern jedenfalls nicht. Unsere Gewinnspannen sinken. Das betrifft die Gemüse-, aber auch die Obstbauern. Wenn man sich die Preisentwicklung der einzelnen Produkte anschaut, wird man sehen, dass Obst und Gemüse da nicht in vorderster Front stehen. Der Preisauftrieb bei Milchprodukten war in den vergangenen Jahren deutlich ausgeprägter.

Richtig ist, dass im Gemüsebereich die Preisschwankungen höher sind als anderswo. Das hängt aber schlicht damit zusammen, dass gerade bei Gemüse der Preis sehr stark von der Mengenverfügbarkeit abhängig ist. Das heißt: wenig Menge, hoher Preis.

Wer deutsche Spargel, Erdbeeren, Tomaten oder Gurken im Frühjahr kauft, wo die Mengen noch gering sind, zahlt einen deutlich höheren Preis. Im Verlauf der Saison und mit steigender Menge wird es dann deutlich günstiger. Ich kann den Verbrauchern daher nur raten, saisonal und gezielt einzukaufen. Da spart man viel Geld.

Paprika sind eines der wichtigsten wirtschaftlichen Standbeine der Reichenauer Gemüseerzeuger. Angebaut werden sie vor allem in großen ...
Paprika sind eines der wichtigsten wirtschaftlichen Standbeine der Reichenauer Gemüseerzeuger. Angebaut werden sie vor allem in großen Gewächshäusern auf dem Festland. | Bild: Zoch, Thomas

Unter den Landwirten gehörten Gemüse- und Obsterzeuger bisher zu den Gutverdienern. So eine Branche kann doch nicht durch ein, zwei schlechte Jahre aus der Bahn geworfen werden…

Wir haben ein strukturelles Problem, das sehr weitreicht und die landwirtschaftliche Erzeugung in Deutschland in vielen Branchen bedroht. Es gibt zwar einen EU-Binnenmarkt, aber es gelten trotzdem in jedem Land andere Regeln. Deutschland als Agrarstandort ist aufgrund der höheren Kosten dadurch im Nachteil.

Das müssen Sie erklären.

Ein wichtiger Kostenfaktor ist der Mindestlohn. Der ist in der EU mit Ausnahme von Luxemburg nirgends höher als bei uns. Und da wir eine sehr arbeitsintensive Branche sind, bei Erdbeeren etwa ist die Hälfte der Produktionskosten der Lohn, schlägt das Thema voll auf unsere Erzeuger durch.

Gleiches gilt für den Pflanzenschutz. Die EU plant den Einsatz von Pflanzenschutzmittel in Schutzgebieten aller Art weitestgehend zu verunmöglichen.

Südlichstes Gemüse-Anbaugebiet Deutschlands: 95 Prozent der Produktion auf der Gemüseinsel Reichenau findet in Gewächshäusern statt. Ein ...
Südlichstes Gemüse-Anbaugebiet Deutschlands: 95 Prozent der Produktion auf der Gemüseinsel Reichenau findet in Gewächshäusern statt. Ein Großteil davon wird als Bioware vermarktet. | Bild: Catharina Schulz

Aber das gilt doch dann für Ihre ausländische Konkurrenz gleichermaßen?

Das schon, aber kein anderes EU-Land hat so viele Schutzgebiete ausgewiesen wie Deutschland, und speziell auch wie Baden-Württemberg. Was für andere Agrarstaaten wie Spanien, Polen oder Frankreich noch tragbar ist, ist für uns existenzbedrohend.

Werden die die EU-Pläne so umgesetzt, wird Gemüse- oder Obstanbau in Schutzgebieten im Freiland wirtschaftlich nicht mehr möglich sein. Den Apfel aus der Nachbarschaft wird es also nicht mehr geben. Wir haben es also mit Wettbewerbsverzerrungen in der EU zu tun, die es für unsere heimischen Erzeuger fast unmöglich machen, im Wettbewerb zu bestehen.

Was ist die Konsequenz?

Bei Gemüse versorgt sich Deutschland heute noch zu knapp 40 Prozent selbst. Bei Obst sind es sogar nur 20 Prozent. Wenn wir nicht für gleiche Regeln für alle sorgen, werden wir künftig noch viel stärker auf Importe aus dem Ausland angewiesen sein.

Wir müssen bei solchen Themen auch immer an die Versorgungssicherheit denken. Wollen wir in Zukunft bei solch wichtigen und gesunden Produkten wie Obst und Gemüse nur noch vom Ausland abhängig sein?

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Malen Sie da den Teufel nicht an die Wand? Leere Gemüseregale wie in England sind doch hierzulande nicht absehbar…

Zumindest besteht die Gefahr, dass es für manche Sorten aus heimischem Anbau so kommt, wenn die Entwicklung so weitergeht wie bisher. Dafür wird es dann eben Tomaten aus Marokko oder Tunesien oder Äpfel aus China geben. Aber wollen wir das wirklich? Vor dieser Abhängigkeit warne ich, auch weil es dem ökologischen Gedanken zuwiderläuft.

Sie als Vertreter einer Erzeugerorganisation haben den Job, die Preise für Ihre Mitglieder gegenüber dem Lebensmitteleinzelhandel auszuhandeln. Kommen Discounter und Supermärkte den Bauern nicht entgegen?

Der aktuelle Wettbewerbsdruck vom Lebensmitteleinzelhandel ist sehr stark und damit wird mit niedrigen Angebotspreisen reagiert. Man muss nur die Werbung verfolgen. Der Preis steht im Fokus. Ein Entgegenkommen sehe ich daher aktuell nicht. Eher das Gegenteil. Die Preisverhandlungen sind sehr hart.

Es gibt aber auch Tendenzen, die Hoffnung machen. Aldi beispielsweise vermarktet in dieser Saison nur Spargel von deutschen Betrieben. Bei Erdbeeren wurde das auch schon angekündigt. Das ist ein gutes Beispiel wie sich der Handel auf die Seite der heimischen Erzeuger stellen kann und diese unterstützt. Wir brauchen mehr solche partnerschaftlichen Initiativen.

Kopfsalaternte auf der Reichenau. Die Gemüseinsel ist auch bekannt für ihre Spezialitäten, darunter besondere Tomaten und auch ...
Kopfsalaternte auf der Reichenau. Die Gemüseinsel ist auch bekannt für ihre Spezialitäten, darunter besondere Tomaten und auch exotisches Gemüse. | Bild: Patrick Seeger

Technische Innovationen sparen Kosten und stärken die Wettbewerbsfähigkeit. Wie sieht es mit Roboterisierung bei Sonderkulturen aus?

Vor allem unsere neuen Gewächshäuser sind schon gut durchautomatisiert. Etwa bei der Logistik oder der Temperatur- und Klimaregulierung. Spannend wird es bei der Ernte. Wie bei den Erdbeeren gibt es bei der Paprikaernte schon Tendenzen, Roboter einzusetzen. Die Frucht eignet sich recht gut dafür.

Ich kann mir gut vorstellen, dass wir mittelfristig auch bei anderen Kulturen auf Ernteroboter zurückgreifen. Zudem hält Künstliche Intelligenz immer stärken Einzug. Sie eignet sich gut, Ernteprognosen zu erstellen, auf deren Grundlage wir unsere Mengen und Preise besser kalkulieren können. Auch da wird sich in der Zukunft viel tun.

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir will die Mehrwertsteuer für gesunde Lebensmittel wie Obst und Gemüse abschaffen. Ist der Grüne derzeit ihr größter Verbündeter?

In diesem Punkt auf jeden Fall. Zumal er ja auch Vegetarier ist und unsere Produkte daher schätzt (lacht). Tatsächlich würde uns eine Entlastung bei der Mehrwertsteuer natürlich gut tun. Insofern unterstützen wir diesen Vorschlag. Ich erkenne beim Minister auch einen pragmatischen Ansatz beim Thema Pflanzenschutz und sehe, dass er unsere Bedenken ernst nimmt. Das geht in die richtige Richtung.