Reporter hetzten mit Mikrofonen und Kameras durchs Foyer, Sicherheitsleute bewachten die Saalzugänge, vor dem Haus stand die Polizei: So viel Rummel war selten vor einer Premiere im Konstanzer Stadttheater. „Schauen Sie sich diesen Wahnsinn an“, sagte der Konstanzer Autor Gerhard Zahner, der mittendrin das Treiben beobachtete. „Ein Theater im Theater: So muss das öffentliche Interesse an der Bühne zu Goethes und Schillers Zeiten ausgesehen haben!“
Eine Woche lang hatte es Aufregung um Nazisymbole gegeben. Besucher seiner Inszenierung, so lautete die ursprüngliche Ankündigung von Regisseur Serdar Somuncu, bekämen Davidsterne und Hakenkreuze ausgehändigt. Wer bereit sei, letztere zu tragen, erhalte eine Freikarte. Für bezahlte Tickets gebe es den Davidstern. Weltweit berichteten Medien über die anstehende Inszenierung am Theater der sonst nicht so sehr beachteten Stadt.
Gestern Abend nun zeigte sich: Von dem so hitzig diskutierten Konzept ist so gut wie nichts mehr übrig geblieben. Zwar sind Hakenkreuze in der Inszenierung zu sehen. Besucher aber müssen sich diese Symbole ebensowenig anheften wie Davidsterne. Lediglich kurz vor Schluss fallen Schnipsel der bereits gedruckten Exemplare von oben aufs Publikum herab.

Wer eines aufsammelt und mitnimmt, wird am Ausgang per Plakat ermahnt, es nicht öffentlich zu tragen. Man könne sich damit strafbar machen, heißt es. Schilder gaben den Besuchern im Theaterfoyer den Hinweis.

Also lieber in den Papierkorb damit - zum Beispiel in diesen, der an einem Ausgang aufgestellt worden war. Darauf zu sehen ist das Symbol gegen Nazis.
Nach SÜDKURIER-Informationen hatte man sich für den Kniff mit dem Schnipselregen erst in allerletzter Sekunde entschieden. Die Premiere konnte erst nach einer halbstündigen Verzögerung beginnen. Gründe wurden nicht öffentlich genannt. Von Mitarbeitern des Theaters war lediglich zu erfahren, es gebe „technische Probleme“.
Auch wenn am Premierenabend selbst von der ursprünglichen und so heftig diskutierten Idee des Theaters, Hakenkreuz oder Davidstern zu tragen, wenig übrig blieb: Bei einer SÜDKURIER-Umfrage vor Premierenbeginn zeigte sich einer der Befragten grundsätzlich bereit, ein Hakenkreuz zu tragen. Außerdem wollten wir wissen, warum die Theatergänger sich für den Besuch des umstrittenen Stücks entschieden haben.
Meinungen des Publikums vor Beginn der Vorstellung von "Mein Kampf":
Nach der Vorstellung wollte Intendant Christoph Nix keinen Kommentar zur Inszenierung abgeben: „Heute Abend muss die Kunst für sich selbst sprechen“, sagte er lediglich. Dagegen äußerte sich Kulturbürgermeister Andreas Osner auf dem Weg zu einer anderen Veranstaltung am Theater vor zahlreichen Fernsehkameras und Reportermikrofonen. Er erklärte erneut, dass er die Inszenierung für geschmacklos halte und er sie deshalb boykottiere. Auch am Premierendatum 20. April erneuerte er seine Kritik.
Kulturbürgermeister Andreas Osner distanziert sich im Namen der Stadt von der Inszenierung:
Zum Datum der Aufführung - der 20. April ist Hitlers Geburtstag - äußerte sich Osner deutlich: "Das ist eine der größten Respektlosigkeiten und eine der größten Grenzüberschreitungen und eine der größten Geschmacklosigkeiten, die ich bis jetzt hier in meiner Zeit als Kulturbürgermeister erlebt habe."
Das rund eineinhalbstündige Stück wurde vom Publikum wohlwollend aufgenommen. Einige Besucher verließen das Theater während der Vorstellung, ein Mann schimpfte laut. Nach der Schlussszene gab es Applaus für die Schauspieler, aber auch der Regisseur und sein Team ernteten Beifall.
Meinungen des Publikums nach der Vorstellung von "Mein Kampf":
Zu Störungen oder Auseinandersetzungen kam es während des Abends nicht. Weil diese nach der Diskussion im Vorfeld und wegen des großen Medienechos nicht auszuschließen gewesen seien, war die Polizei mit mehreren Beamten im Einsatz. Ob auch die nächsten Vorstellungen unter Polizeischutz ablaufen, wolle man nach einer Analyse des Premierenabends bewerten, sagte Bernd Schmidt, der Sprecher der Polizeipräsidiums, dem SÜDKURIER.
Interview mit Bernd Schmidt, Sprecher des Polizeipräsidiums Konstanz:
Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Stück im Überblick
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Um was geht es?
"Mein Kampf" heißt nicht nur das Hetzbuch von Adolf Hitler, sondern auch eine Farce darauf von George Tabori, die auf dem Spielplan des Theater Konstanz steht. Der Kabarettist und Autor Serdar Somuncu, ein Freund des Theaterintendanten Christoph Nix, führt Regie. Angesetzt sind 14 Vorstellungen - und die Premiere am 20. April, dem Geburtstag Adolf Hitlers. Die Idee war, dass die Inszenierung schon an der Theaterkasse beginnt. Wer sich verpflichte, ein Hakenkreuz zu tragen, soll Freikarten bekommen. Wer reguläre Eintrittskarten kaufte, erwarb damit die Verpflichtung, einen Davidstern zu tragen. Das führte zu heftigen Protesten. -
Wie reagierte das Theater?
Es ruderte zurück - zumindest teilweise. Den Zuschauern, die eine Eintrittskarte zum regulären Preis erworben hatten, wird "freigestellt, den Davidstern als Zeichen der Solidarität mit den Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu tragen", hieß es in einer Pressemitteilung vom vergangenen Freitag. Zuschauer, die das Premierendatum - der Geburtstag von Adolf Hitler - als Provokation empfänden, könnten Karten umtauschen. Das Angebot, für eine Freikarte ein Hakenkreuz-Symbol zu tragen, bleibt. Nach Angaben des Theaters waren in den Tagen vor der Premiere bereits mehrere Anfragen für Freikarten eingegangen. Die Verantwortlichen jedenfalls fühlen sich missverstanden. "Nicht wir, sondern die Gesellschaft begeht einen Tabubruch", so Intendant Christoph Nix am Dienstag bei einer teils sehr emotional geführten Pressekonferenz. Am Premierenabend selbst blieb von dem ursprünglich angekündigten Konzept kaum etwas übrig.
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Wie reagieren die Zuschauer?
Jüdische Gemeinden und Verbände sowie die Theaterfreunde Konstanz hatten schriftlich ihren Protest eingelegt. Auch viele SÜDKURIER-Leser äußerten Unverständnis und empfinden die Aktion als geschmacklos. Es gibt aber auch Stimmen, die das anders sehen. So schrieb ein Nutzer auf suedkurier.de: "Wir leben in einem freien, demokratischen Land. Die Kunst ist frei, die Meinung ebenfalls, mit unserer Vergangenheit müssen wir leben und uns auseinandersetzen. Dazu muss es legitim sein, auch zu gewöhnungsbedürftigen Methoden zu greifen - denn die Kunst ist frei. Und wer am 20.4. nicht ins Theater gehen will, kann zu Hause bleiben oder ins Kino gehen."
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Was sagt die Staatsanwaltschaft?
Dass Zuschauer für eine Freikarte ein Hakenkreuz tragen sollten, berührte auch eine rechtliche Frage. Gemäß Paragraf 86 a des Strafgesetzbuchs ist es verboten, Kennzeichen verfassungswidriger Organe zu verwenden oder öffentlich zu verbreiten, herzustellen oder vorrätig zu halten. Bei der Staatsanwaltschaft Konstanz gingen deshalb mehrere Anzeigen ein. Die Freikarten-Idee ist nach Ansicht der Staatsanwaltschaft aber von der Kunstfreiheit gedeckt, teilte die Behörde am Mittwoch mit. Daher werde kein Ermittlungsverfahren gegen die Verantwortlichen des Stadttheaters eingeleitet.
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Was sagt die Stadt?
Kulturbürgermeister Andreas Osner verurteilt die Aktion: "Hier werden Grenzen in verantwortungsloser Weise überschritten, die auch im Namen der Kunst nicht überschritten werden dürfen. Die Symbole 20. April als Geburtsdatum Hitlers, Hakenkreuz und NS-Davidstern für diese Provokation zu instrumentalisieren, ist für mich nur schwer zu ertragen. Hier wird mit den Gefühlen unserer jüdischen Mitbürger gespielt und ich frage mich, ob dieser Preis für Publicity nicht zu hoch ist."
Auf Anfrage des SÜDKURIER erklärte die Stadtverwaltung, dass man die Aufführung nicht unterbinden werde, da die Aktion durch die Kunstfreiheit gedeckt ist und juristisch geprüft wurde.
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Um was geht es in dem Stück?
Das Stück von George Tabori ist angesichts der Debatte um den Kartenvorverkauf in den Hintergrund getreten. 1987 wurde es uraufgeführt. Es thematisiert die Wiener Jahre Adolf Hitlers als Bewohner eines Männerwohnheims. "Schräg, knallbunt und überhöht zeigt diese bitterkomische Theater-Karikatur, dass wir nicht von Ideologien befreit sind, die sich in einer Persönlichkeit konzentriert auch heute noch zu historischem Horror entwickeln können", beschreibt das Theater das Stück.