Ein 8,6 Quadratkilometer dichtes, kaum zugängliches Waldgebiet, Steilhänge, Felsen, Schluchten, ein Höhenunterschied von bis zu 300 Metern – das ist das Gebiet, in dem die Polizei den flüchtigen Yves Rausch nördlich des Schwarzwaldstädtchens Oppenau (Ortenaukreis) vermutet. Seit Sonntag ist der 31-Jährige auf der Flucht, nachdem er bei einer Kontrolle in einer illegal von ihm bewohnten Gartenhütte vier Polizeibeamte entwaffnet hatte.
Mit täglich bis zu 450 Einsatzkräften, mit Sondereinsatzkommandos, der Hundestaffel, mit Polizeihubschraubern und Wärmebildkameras sucht die Polizei nach dem Mann – bisher allerdings vergebens, wie der Offenburger Polizeipräsident Reinhard Renter bei der Pressekonferenz in der Oppenauer Günter-Bimmerle-Halle einräumt. „Es wird vermutlich eine lange Suche werden“, sagt Renter. „Aber wir haben einen langen Atem.“ Auch am Mittwochmorgen geht die Suche nach dem Flüchtigen weiter.

In dem seit Sonntag praktisch im Straßenbild entvölkerten Ort ist am Dienstag etwas Leben zurückgekehrt, die Menschen fühlen sich durch die enorme Polizeipräsenz offenbar sicher. Es sind Kinder und Passanten auf der Straße, auch Kindergarten- und Schulbesuch war wieder freigestellt. Mit mäßigem Andrang, wie Bürgermeister Uwe Gaiser sagt. Dafür ist das Freibad gut besucht.
Oppenau ist durch den Fall bundesweit in die Schlagzeilen geraten. Die Meldungen über den Gesuchten schießen ins Kraut: Berichte verorten ihn im rechtsextremen Spektrum und bei den Reichsbürgern, bringen ihn in Zusammenhang mit Kinderpornografie und der Fremdenlegion. Praktisch nichts davon bestätigt Oberstaatsanwalt Herwig Schäfer, Leiter der Staatsanwaltschaft Offenburg. Doch wer ist der 31-Jährige, zuletzt Arbeits- und Wohnsitzlose, der seit Jugendtagen mehrfach auffällig wegen kleinerer Diebstahl- und Waffendelikte geworden ist, aber 2010 auch zu einer langen Jugendhaftstrafe wegen eines fast tödlichen Armbrust-Schusses auf eine Bekannte verurteilt wurde?
Wie gefährlich ist Yves Rausch, dessen seltsame Erscheinung vielen Bürgern in Oppenau geläufig war, der aber auch auf viele harmlos wirkte? Aggressiv sei er jedenfalls in Oppenau nicht in Erscheinung getreten, er habe auch soziale Kontakte gehabt, sagt Polizeipräsident Renter. Seit seiner voll verbüßten Haftstrafe wegen des versuchten Totschlags war er nicht mehr weiter auffällig, ausgenommen nach der Zwangsräumung seiner Wohnung im Herbst 2018, als sich dort Sprengmittel und Waffen fanden und er eine noch laufende Bewährungsstrafe erhielt.

„Es handelt sich bei Yves Rausch zweifelsohne um einen Waffennarr, er ist seit seiner Jugend sehr waffenaffin, ein Einzelgänger. Und er hält sich für eine Art Waldläufer, für jemanden, der draußen gut zurechtkommt und sich im Wald, wo er zuletzt auch gelebt hat, sicher fühlt“, schildert Schäfer das psychologische Profil des Mannes. Auch Polizeipräsident Renter bestätigt, dass die Ermittlungen ein sehr differenziertes Bild ergeben: „Manche halten ihn für harmlos, andere haben Angst davor, dass ein schwer bewaffneter Mann da draußen im Wald ist.“ Wie er sich bei einer Begegnung mit Wanderern verhalte, könne niemand vorhersagen. Unklar ist auch, ob der Flüchtige überhaupt weiß, mit welchem Ausmaß derzeit nach ihm gefahndet wird. Die Polizeibeamten jedenfalls sind auf eine Begegnung „mit allen Mitteln“ vorbereitet. „Es ist auch denkbar, dass er einfach aufgibt“, glaubt Renter. Bei einer Verurteilung wegen schwerer räuberischer Erpressung drohen dem 31-Jährigen fünf bis 15 Jahre Haft.
Doch das könnte dauern. „Der Gesuchte ist heimisch hier, kennt jeden Stein, der Wald ist sozusagen sein Wohnzimmer“, schildert Renter. Die Polizei glaubt daher auch, dass Rausch die Region nicht verlassen hat. „Er fühlt sich sicher.“ Die Polizei hat das Gebiet zwar eingegrenzt, aber eine Durchsuchung lässt das Gelände nicht zu. Schon gar nicht, wenn die Polizeibeamten mit Amokausrüstung dort unterwegs sind. 20 Kilogramm schleppen sie durch den Wald, die SEK-Kräfte sogar 30 bis 40 Kilo. Und in der Ortenau herrschen derzeit schwüle 30 Grad.
Zum Kochen aber bringt das Gemüt des Polizeipräsidenten etwas anderes: Die Häme, die sich im Netz seit Sonntag über die vier entwaffneten Beamten und die Polizei insgesamt ergießt. „Das macht mich wütend“, sagt Renter. Interne Ermittlungen hätten die Beamten entlastet. „Alle waren gut ausgebildet und erfahren. Jeder Einzelne von ihnen hat ausgesagt, Angst um sein Leben gehabt zu haben.“ Die zunächst entspannte Kontrollsituation in der Hütte, bei der Rausch sich völlig kooperativ verhalten habe, war gekippt, als ein Polizist Rausch nach Beschlagnahmung von Pfeil, Bogen und Speer durchsuchen wollte. „Ein Trigger“, vermutet Schäfer. Rausch habe urplötzlich eine mutmaßliche scharfe Schusswaffe gezückt, aus kürzester Distanz auf einen Polizisten gerichtet und von den Beamten verlangt, ihre Waffen abzulegen und sich zu entfernen. „Es ging allen darum, besonnen zu reagieren und die Situation nicht eskalieren zu lassen. Sie haben alles richtig gemacht. Das Leben ist das höchste Gut. Es wurde niemand verletzt“, sagt Renter. Betroffen ist Oberstaatsanwalt Schäfer vor allem von einer Aussage: „Der Beamte, der direkt bedroht wurde, rechnete in jeder Sekunde mit einem Schuss. Er glaubte, in der Gartenhütte sterben zu müssen.“